Castrop-Rauxel.
Seit dem vergangenen Samstag vereint sich Europas Denkelite wieder in der
Schachbundesliga, um den 22. Deutschen Schach-Mannschaftsmeister zu ermitteln. Erstmals tritt dabei eine Mannschaft, nämlich der Titelverteidiger Lübecker SV,
komplett ohne deutsche Spieler an. Je nach finanzieller Ausstattung verringert der Europa-Anteil zugunsten deutscher Prominenz, wobei die Zahl der eingesetzten
Europäer fast schon als Merkmal für die Stärke der Mannschaft gelten kann.
Betrachtet man die Mannschaftsaufstellungen, stellt man schnell fest, dass nur ein Team über
vier deutsche Großmeister verfügt, nämlich König Plauen mit Klaus Bischoff, Uwe Bönsch, Stefan Kindermann und Lutz Espig. Spieler aus anderen
Ländern sind eben billiger. Ob das dem deutschen Spitzenschach zu weiteren Erfolgen verhilft, sei dahingestellt.
Diese vier Deutschen sollten es also zusammen mit Superstar Alexander Beliavsky, Neuzugang Tomasz Markowski und den Einheimischen Michael Kuraszkiewicz und Sven Schaller richten. Aber der Saisonauftakt gegen den SV Wattenscheid geriet zum Debakel. Dabei ließ sich das Ganze recht vielversprechend an. Nach drei Spielstunden war der Ausgang des Kampfes noch völlig unklar. Uwe Bönsch konnte nach einem Fehler im frühen Mittelspiel noch den Remishafen erreichen, Stefan Kindermann besaß einen Mehrbauern, aber Klaus Bischoff sah sich unter starkem Druck des Dänen Peter Heine Nielsen. Die anderen Stellungen waren völlig unklar. So hatte Lutz Espig einen frühen Angriff des Nachwuchskaders Florian Handke abgewehrt und in der Perspektive gute Gewinnchancen, sein Gegner besaß aber noch unmittelbare Drohungen. Sven Schaller hingegen hatte eine Figur für gute Angriffschancen gegeben. Beliavsky und Markowski versuchten, mit positionellen Mitteln zum Erfolg zu kommen, bei Kura stand eine dynamische Stellung auf dem Brett.
Doch vor der ersten Zeitkontrolle wendete sich das Blatt komplett gegen
Plauen. Erst verfehlte Schaller eine gute Möglichkeit, sein Angriff blieb stecken. Auch Kuraszkiewicz geriet nach einem taktischen Schlag seines Gegners
Holger Ellers auf die Verliererstraße. Kindermanns Mehrbauer war zu wenig für den Sieg, also remis. Das gleiche Resultat am Spitzenbrett, als der Armenier
Aronian in schwieriger Stellung seine Dame opferte und mit Turm und Läufer eine
Festung errichten konnte. Schließlich übersah Espig bei seinen Gewinnversuchen
ein kleines gegnerisches Bäuerlein, welches plötzlich mit Riesenschritten der Umwandlung in eine neue Dame entgegeneilte. Somit stand es nach vier Stunden
5½:1½ für Wattenscheid. Markowski versuchte noch, seinen in der Zeitnotphase
erspielten Bauernvorteil zum Sieg zu führen, sah sich jedoch nach einem fragwürdigen Manöver starkem gegnerischen Druck ausgesetzt, der dem Russen
Rustemov den Rückgewinn des Bauern ermöglichte. Dadurch geriet der Russe in psychologischen Vorteil und wollte nun den Sieg. Markowskis Friedensangebot
wurde abgewiesen, der Freibauer auf den Weg gebracht. Aber während Rustemov
seine Bemühungen auf die von ihm aus gesehen linke Bretthälfte konzentrierte, verlor er plötzlich auf der anderen Seite seine gesamte restliche Streitmacht.
So holte Tomasz Markowski in seinem ersten Bundesligaeinsatz gleich den ersten Sieg. Für ihn sicherlich psychologisch wichtig, der Mannschaft half es
allerdings nicht mehr.
SV Wattenscheid 1930 | - | SK König Plauen | 5½ | : | 2½ | ||
GM Aronian, Levon | 2541 | - | GM Beliavsky, Alexander | 2645 | ½ | : | ½ |
GM Nielsen, Peter-Heine | 2529 | - | GM Bischoff, Klaus | 2570 | 1 | : | 0 |
GM Rustemov, Alexander | 2569 | - | GM Markowski, Tomasz | 2573 | 0 | : | 1 |
IM Hall, Jesper | 2524 | - | GM Bönsch, Uwe | 2575 | ½ | : | ½ |
IM Holzke, Frank | 2476 | - | GM Kindermann, Stefan | 2523 | ½ | : | ½ |
IM Handke, Florian | 2397 | - | GM Espig, Lutz | 2400 | 1 | : | 0 |
IM Ellers, Holger | 2415 | - | FM Kuraszkiewicz, Michael | 2312 | 1 | : | 0 |
FM Straeter, Timo | 2293 | - | FM Schaller, Sven | 2306 | 1 | : | 0 |
Somit geriet das Plauener Team bereits nach der ersten Runde unter Druck. Denn eine zweite Niederlage am Sonntag und die Aussicht auf drei Kämpfe ohne Beliavsky und Bönsch Ende November in Erfurt hätten schon wieder den Abstiegskampf akut werden lassen. So ging es in die zweite Begegnung gegen den SV Castrop-Rauxel. Dieses Match ließ sich schon bedeutend ruhiger an. Unübersichtliche Stellungen waren anfangs nicht zu sehen. Nach zwei Stunden war klar, dass Kuraszkiewicz den Anzugsvorteil seines Gegners Volkmar Dinstuhl nicht würde ausgleichen können. Dafür verfügten Klaus Bischoff gegen den Litauer Eduardas Rosentalis und Lutz Espig gegen den Holländer Jeroen Bosch mit den weißen Figuren über ähnlich vorteilhafte Stellungen. Alexander Beliavsky, seit dem Erscheinen der neuesten Rangliste die Nr. 26 der Welt, musste sich einigen Druckes der Weltranglisten-Nummer 18, dem Bulgaren Kiril Georgiev, erwehren. Die restlichen Partien standen etwa gleich.
Entscheidungen fielen wie immer vor der ersten Zeitkontrolle nach vier Stunden: Kura hielt dem Druck nicht stand und musste aufgeben. Im Gegenzug führte Espig seine Position zum Sieg, nachdem der Holländer eine gute Ausgleichsmöglichkeit in Zeitnot nicht gesehen hatte. Markowski erspielte ein Remis gegen den holländischen Neu-Großmeister Dennis de Vreugt, Bischoff büßte nach und nach seine Vorteile ein. Sven Schaller erreichte gegen den Holländer Oscar Lemmers eine siegverheißende Position, übersah dann aber mehrmals Gewinnzüge und musste ins Remis einwilligen.
Zum Matchwinner avancierte Stefan Kindermann, der den Pirmasenser Ralf Appel in beiderseitiger Zeitnot auskontern konnte und Plauen in Führung brachte. Nach Bischoffs Remis hing alles von der Begegnung an Brett 1 ab. Georgiev hatte sich mittlerweile einen Mehrbauern erspielt, die Verwertung war aber im Turmendspiel nicht einfach. Nach jedem Zug der beiden Schachrecken änderte sich die Meinung der Zuschauer. Brachte Georgiev einen starken Zug aufs Brett, hieß es "Castrop-Rauxel erreicht das Unentschieden". Nach Beliavskys Antwort war der Tenor "jetzt ist die Partie remis". Selbst so erfahrene Spieler wie Kindermann und Bischoff waren sich uneins über den Ausgang des Endspiels. Aber Alexander hielt stand und sicherte nach sechseinhalb Stunden zwei wichtige Mannschaftspunkte.
SK König Plauen | - | SV Castrop-Rauxel | 4½ | : | 3½ | ||
GM Beliavsky, Alexander | 2645 | - | GM Georgiev, Kiril Dimitrov | 2647 | ½ | : | ½ |
GM Bischoff, Klaus | 2570 | - | GM Rozentalis, Eduardas | 2535 | ½ | : | ½ |
GM Markowski, Tomasz | 2573 | - | GM de Vreugt, Dennis | 2372 | ½ | : | ½ |
GM Bönsch, Uwe | 2575 | - | IM Döttling, Fabian | 2459 | ½ | : | ½ |
GM Kindermann, Stefan | 2523 | - | IM Appel, Ralf | 2528 | 1 | : | 0 |
GM Espig, Lutz | 2400 | - | IM Bosch, Jeroen | 2410 | 1 | : | 0 |
FM Kuraszkiewicz, Michael | 2312 | - | FM Dinstuhl, Volkmar | 2396 | 0 | : | 1 |
FM Schaller, Sven | 2306 | - | IM Lemmers, Oscar | 2398 | ½ | : | ½ |
In sieben Wochen
erwartet die Plauener eine Dreierrunde. Dann geht es gegen Gastgeber Erfurter SK, den starken Aufsteiger aus Stuttgart und den ehemaligen Reisepartner
Tegernsee. Leider stehen wegen einer Fehlplanung des Deutschen Schachbunds und der damit verbundenen Überschneidung mit der Weltmeisterschaft in Moskau
Beliavsky, Gdanski und Bönsch nicht zur Verfügung. Leider ein klarer Fall von
organisierter Wettbewerbsverzerrung, der das Unternehmen Klassenerhalt für die Könige dramatisch erschwert.
Gunter
Sandner
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Hörr. Aktualisiert am 07. August 2002.