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Augenwischerei in der Tränenschmiede
oder Worte über das Aufgießen, Austanzen und Wegputzen
"Der Navara hat mir dieses Mal
gut gefallen. Der hat sich nur einmal das Auge gewischt."
(Peter Paul im Hotel Alexandra über die Bundesligapartie
Navara gegen Bacrot)
Quentin Tarantino: "Ich
sag’ euch, worum’s in ‚Like a virgin’ geht. Dieser
Song handelt von einem Mädchen, das auf’n Kerl mit’m
großen Schwanz scharf ist. Das Ganze ist eine Metapher
über große Schwänze."
Michael Madsen: "Es ist
doch alles Unsinn. Es geht um ein sehr verwundbares
Mädchen, das auf ’n paar Kerle hereingefallen ist
und einen sehr sensiblen Typen kennen lernt."
Quentin Tarantino: "Nein,
das ist ja nur die Version für Kerle, die sich die
Hose mit der Kneifzange anziehen."
Eddie Bunker: "Tobi, wer
zum Teufel ist Tobi?" (Reservoir Dogs)

Führung muss sichtbar sein, und
also stand Michael Preussner noch einmal von seinem
bereits eingenommenen Platz auf, um sich Gehör
zu verschaffen, nämlich daran zu erinnern, unbedingt
die kleinen Telefone auszuschalten, diese renitenten,
multiplen Störenfriede, und wie durch einen kollektiven
Ankerreiz durchzuckte es plötzlich die Delitzscher
Hände, die nun fremdbestimmt - in einer Mischung
aus Hektik und Sucht - verlangend unter den Tischen
verschwanden und danach suchten, das mobile Geschlechtsteil
zu entsichern, ein jeder sein eigenes, denn wer immer
erreichbar ist, kann auch nicht so wichtig sein, schon
gar nicht für Spielereien, die sich normalerweise
auf dem Tisch abspielen.
Und was es dort nur ein paar Augenblicke
später zu beobachten gab, bewegte sich zwischen
Sizilianisch, Jänisch-Gambit, Holländisch,
Geschlossenem Italienisch, Französisch und natürlich
Schottischem Gambit, aber es war eben nur so eine Art
Sizilianisch, ein Quäntchen Jänisch-Gambit,
ein Auszug vom Holländischen, Geschlossenes Italienisch
in einer ersten Annäherung, Französisch für
Anfänger und Schottisches Gambit in der naturgemäßen
Plauener Variante, die nach nur wenigen Zügen nach
dem Geist Steffen Ranfts ruft, lediglich ein Hauch dieser
verschiedenen Eröffnungen war also zu erkennen,
bald durchdrungen von eigenwilligen Interpretationen,
von jedem ein bisschen, wenn auch wenigstens nicht miteinander
vermischt, die verschiedenen Eröffnungen, sondern
eher so wie bei einer Latte Macchiato, wenn man meint,
Kaffee getrunken zu haben, während sich der Kaffeekenner
vom eben begangenen Vulgarismus nur noch angewidert
abwenden kann. Nur ein paar Meter entfernt, hinter der
geöffneten Tür, hatte Lutz Espig gerade noch
anhand einer kürzlich in Bad Wörishofen gespielten
Partie gegen Felix Levin erklärt, dass Turmendspiele,
anscheinend selbst die verlorenen, immer remis sind,
weil selbst manchem Großmeister ganz eigenartige
Sachen passieren. Nur ein anderer Zug als der seines
großmeisterlichen Kollegen, ein ganz simpler Königszug
zur Brettmitte hin, und er hätte dagestanden wie
ein Ochs in der Sonne. So etwas Solides wie
Turmendspiele war nach dem Verlauf der Eröffnungen
im Hotel Alexandra allerdings kaum zu erwarten.
Nach reichlich zwei Stunden unterbrach
Christof Beyer die inzwischen eingekehrte Ruhe mit einem
Remisangebot, das aber noch ungefähr eine halbe
Stunde auf Gegenliebe warten musste, denn was sein Gegner,
Jürgen Friedrich, bei seinem Rundgang auf
den anderen Tischen erblickte, konnte ihm nicht gefallen
haben. Wenigstens ein halber Punkt, mochte er danach
gedacht haben. Und das dieser frühe halbe Punkt
keinen entscheidenden Einfluss auf das Mannschaftsergebnis
haben würde, hatte er wohl schon zu diesem Zeitpunkt
geahnt, vermutlich auch Michael Preussner, der Jürgen
Friedrich freie Wahl ließ, das Angebot anzunehmen,
und also nach der Punkteteilung zu greifen. Nur einen
Moment später beendete am Brett dahinter ein Turmopfer
das Geschehen. Etienne Engelhardt hatte nach langer
Durststrecke, lediglich zwei Remis holte er aus seinen
letzten fünf Partien, endlich wieder einmal eine
Partie gewonnen, die selbst eingeredete Überforderung
hatte er offensichtlich geballt in dieses krachende
Finale gelegt. Andreas Götz baute die Führung
anschließend auf zwei Punkte aus. Dabei hatte
er im Springerendspiel mit einem Sieg zunächst
gar nicht gerechnet, aber dann gelang es ihm, den gegnerischen
König an die ewige Verteidigung des so wichtigen
b7-Bauern zu binden, während der eigene König
sich auf den Weg machte, seelenruhig über die schwarzen
Felder zu schlendern, anschließend im gegnerischen
Lager eindrang und die notwendigen Tempi reservierte,
um schließlich nach dem Springerabtausch nur noch
ein kurzes Bauernendspiel zuzulassen. Am Plauener Spitzenbrett
war es das Signal, die zweite Punkteteilung an diesem
Tag herbeizuführen. Lion Pfeufer hatte mit Schwarz
bereits nach ein paar Zügen die Partie problemlos
unter Kontrolle, zu passiv die Eröffnungsbehandlung
seines Gegners. Die schwarze Initiative hatte inzwischen
auch Christian Hörr an sich gerissen, aus seinem
gnadenlosen Schlussangriff hatte sich ein Mehrturm kondensiert;
als sich Hörr außerdem gelassen, ganz in
Kasparovmanier, die Armbanduhr wieder anlegte,
musste es den Gegner gefröstelt haben. Bei aller
Schachliebe darf eben auch die kostbare Lebenszeit
nicht vergessen werden. Durch diesen Drei-Punkte-Vorsprung
stand das Match kurz vor der Entscheidung, der Punktabstand
aber sollte dieses Mal noch opulenter werden, obwohl
die Delitzscher am dritten Brett zunächst noch
einmal auf 4:2 verkürzen konnten. In seinem geliebten
Holländisch fühlte sich Johannes Titz dieses
Mal nicht wie zu Hause, dafür hatte Sergej Lozovoy
seine anfängliche Unsicherheit im Jänisch-Gambit
gegen Michael Preussner Zug um Zug ablegen können,
die Partie entwickelte sich zur spannendsten des Tages.
Das beiderseitig abgebrannte taktische Feuerwerk endete
nach der Zeitkontrolle in einem Endspiel, in dem der
Plauener die Oberhand behielt.
Tobias Franz konnte sich am letzten Brett
gegen Christin Reinsdorf nun vollends dem Partiegenuss
hingeben. Immer wenn er durch taktische Schläge
die Partie zu beenden drohte, legte er eine strategische
Streicheleinheit ein. Das Aroma der Mehrqualität
wollte er möglichst lange auskosten, aufsaugen,
vollends inhalieren. Und immer dann, wenn er sich in
der Schönheit (der Stellung) zu verirren drohte,
stach er plötzlich wieder zu, um danach wieder
von seiner Gewalt abzulassen, wie ein Reservoir Dog,
der seinem bewegungslosen Opfer gelegentlich Backpfeifen
verteilt. Qual durch zunehmenden Verfall. Für Tobias
Franz war es der erste Sieg in der 1. Landesklasse,
für Christin Reinsdorf das erste Mal als Ersatzspielerin,
und sie hatte währenddessen unerträgliche
Schmerzen zu erleiden. Ein tränenreiches Debüt.
Für ne schnelle Nummer ist sich Tobias Franz
ohnehin viel zu schade.

In der vorletzten Saisonrunde können
es die Könige nun ganz gelassen angehen, fünf
Punkte vom Aufstiegsplatz und vom Abstiegsplatz
entfernt, so mittendrin, aber trotzdem auf dem zweiten
Platz, und so freut sich Andreas Götz schon ein
ganz kleines bisschen auf Neu-Oelsnitz, weil er sich
gern an die heißen Schlachten der Vergangenheit
erinnert, ihm da die wichtigsten drei Dinge sofort einfallen.
Dass es danach immer noch mal zum Tanz ging. Jede
Menge Weiber. Natürlich. Getanzt wurde zwar
nie, dafür aber unglaublich gern aufgegossen.
Und der Kühnrich war besonders fürs Wegputzen
bekannt, gerade weil er so ein ganz sensibler Mensch
war. Und Roland Därr verlor einmal an der Haltestelle
im Nebel die Orientierung, der hatte ja schon damals
, aber diese Geschichte mitten aus dem Wald wird
erst das nächste Mal erzählt.
Like a virgin ist nicht die
Geschichte irgendeines sensiblen Mädchens, das
einen netten Kerl kennen lernt. Darum geht es in dem
Song True blue, doch das hatte Quentin Tarantino
nie bestritten.
SK König Plauen II
|
|
ESV Delitzsch
|
6
|
:
|
2
|
Pfeufer,
Lion |
2105
|
|
Friedrich,
Andreas |
2001
|
½
|
:
|
½
|
Lozovoy,
Sergej |
1937
|
|
Preussner,
Michael |
2047
|
1
|
:
|
0
|
Titz,
Johannes |
2013
|
|
Sachse,
Dirk |
1966
|
0
|
:
|
1
|
Götz,
Andreas |
2062
|
|
Plisch,
Thomas |
1983
|
1
|
:
|
0
|
Beyer,
Christof |
1957
|
|
Dr.
Friedrich, Jürgen |
1897
|
½
|
:
|
½
|
Engelhardt,
Etienne |
1883
|
|
Dietrich,
Heiko |
1814
|
1
|
:
|
0
|
Hörr,
Christian |
1869
|
|
Laube,
Sören |
1688
|
1
|
:
|
0
|
Franz,
Tobias |
1722
|
|
Reinsdorf,
Christin |
1577
|
1
|
:
|
0
|
|
|