RUBRIKEN
Home
Verein
2. Bundesliga
Teams II - V
Nachwuchs
Metachess
BEYOND CHESS
Metachess
weitere Artikel
SPONSORING

1. LANDESKLASSE St. B – Saison 2006/2007
 

Augenwischerei in der Tränenschmiede
oder Worte über das Aufgießen, Austanzen und Wegputzen

"Der Navara hat mir dieses Mal gut gefallen. Der hat sich nur einmal das Auge gewischt."
(Peter Paul im Hotel Alexandra über die Bundesligapartie Navara gegen Bacrot)


Quentin Tarantino: "Ich sag’ euch, worum’s in ‚Like a virgin’ geht. Dieser Song handelt von einem Mädchen, das auf’n Kerl mit’m großen Schwanz scharf ist. Das Ganze ist eine Metapher über große Schwänze."

Michael Madsen: "Es ist doch alles Unsinn. Es geht um ein sehr verwundbares Mädchen, das auf ’n paar Kerle hereingefallen ist und einen sehr sensiblen Typen kennen lernt."

Quentin Tarantino: "Nein, das ist ja nur die Version für Kerle, die sich die Hose mit der Kneifzange anziehen."

Eddie Bunker: "Tobi, wer zum Teufel ist Tobi?" (Reservoir Dogs)


Führung muss sichtbar sein, und also stand Michael Preussner noch einmal von seinem bereits eingenommenen Platz auf, um sich Gehör zu verschaffen, nämlich daran zu erinnern, unbedingt die kleinen Telefone auszuschalten, diese renitenten, multiplen Störenfriede, und wie durch einen kollektiven Ankerreiz durchzuckte es plötzlich die Delitzscher Hände, die nun fremdbestimmt - in einer Mischung aus Hektik und Sucht - verlangend unter den Tischen verschwanden und danach suchten, das mobile Geschlechtsteil zu entsichern, ein jeder sein eigenes, denn wer immer erreichbar ist, kann auch nicht so wichtig sein, schon gar nicht für Spielereien, die sich normalerweise auf dem Tisch abspielen.

 

Und was es dort nur ein paar Augenblicke später zu beobachten gab, bewegte sich zwischen Sizilianisch, Jänisch-Gambit, Holländisch, Geschlossenem Italienisch, Französisch und natürlich Schottischem Gambit, aber es war eben nur so eine Art Sizilianisch, ein Quäntchen Jänisch-Gambit, ein Auszug vom Holländischen, Geschlossenes Italienisch in einer ersten Annäherung, Französisch für Anfänger und Schottisches Gambit in der naturgemäßen Plauener Variante, die nach nur wenigen Zügen nach dem Geist Steffen Ranfts ruft, lediglich ein Hauch dieser verschiedenen Eröffnungen war also zu erkennen, bald durchdrungen von eigenwilligen Interpretationen, von jedem ein bisschen, wenn auch wenigstens nicht miteinander vermischt, die verschiedenen Eröffnungen, sondern eher so wie bei einer Latte Macchiato, wenn man meint, Kaffee getrunken zu haben, während sich der Kaffeekenner vom eben begangenen Vulgarismus nur noch angewidert abwenden kann. Nur ein paar Meter entfernt, hinter der geöffneten Tür, hatte Lutz Espig gerade noch anhand einer kürzlich in Bad Wörishofen gespielten Partie gegen Felix Levin erklärt, dass Turmendspiele, anscheinend selbst die verlorenen, immer remis sind, weil selbst manchem Großmeister ganz eigenartige Sachen passieren. Nur ein anderer Zug als der seines großmeisterlichen Kollegen, ein ganz simpler Königszug zur Brettmitte hin, und er hätte dagestanden wie ein Ochs’ in der Sonne. So etwas Solides wie Turmendspiele war nach dem Verlauf der Eröffnungen im Hotel Alexandra allerdings kaum zu erwarten.

 

Nach reichlich zwei Stunden unterbrach Christof Beyer die inzwischen eingekehrte Ruhe mit einem Remisangebot, das aber noch ungefähr eine halbe Stunde auf Gegenliebe warten musste, denn was sein Gegner, Jürgen Friedrich, bei seinem Rundgang auf den anderen Tischen erblickte, konnte ihm nicht gefallen haben. Wenigstens ein halber Punkt, mochte er danach gedacht haben. Und das dieser frühe halbe Punkt keinen entscheidenden Einfluss auf das Mannschaftsergebnis haben würde, hatte er wohl schon zu diesem Zeitpunkt geahnt, vermutlich auch Michael Preussner, der Jürgen Friedrich freie Wahl ließ, das Angebot anzunehmen, und also nach der Punkteteilung zu greifen. Nur einen Moment später beendete am Brett dahinter ein Turmopfer das Geschehen. Etienne Engelhardt hatte nach langer Durststrecke, lediglich zwei Remis holte er aus seinen letzten fünf Partien, endlich wieder einmal eine Partie gewonnen, die selbst eingeredete Überforderung hatte er offensichtlich geballt in dieses krachende Finale gelegt. Andreas Götz baute die Führung anschließend auf zwei Punkte aus. Dabei hatte er im Springerendspiel mit einem Sieg zunächst gar nicht gerechnet, aber dann gelang es ihm, den gegnerischen König an die ewige Verteidigung des so wichtigen b7-Bauern zu binden, während der eigene König sich auf den Weg machte, seelenruhig über die schwarzen Felder zu schlendern, anschließend im gegnerischen Lager eindrang und die notwendigen Tempi reservierte, um schließlich nach dem Springerabtausch nur noch ein kurzes Bauernendspiel zuzulassen. Am Plauener Spitzenbrett war es das Signal, die zweite Punkteteilung an diesem Tag herbeizuführen. Lion Pfeufer hatte mit Schwarz bereits nach ein paar Zügen die Partie problemlos unter Kontrolle, zu passiv die Eröffnungsbehandlung seines Gegners. Die schwarze Initiative hatte inzwischen auch Christian Hörr an sich gerissen, aus seinem gnadenlosen Schlussangriff hatte sich ein Mehrturm kondensiert; als sich Hörr außerdem gelassen, ganz in Kasparovmanier, die Armbanduhr wieder anlegte, musste es den Gegner gefröstelt haben. Bei aller Schachliebe darf eben auch die kostbare Lebenszeit nicht vergessen werden. Durch diesen Drei-Punkte-Vorsprung stand das Match kurz vor der Entscheidung, der Punktabstand aber sollte dieses Mal noch opulenter werden, obwohl die Delitzscher am dritten Brett zunächst noch einmal auf 4:2 verkürzen konnten. In seinem geliebten Holländisch fühlte sich Johannes Titz dieses Mal nicht wie zu Hause, dafür hatte Sergej Lozovoy seine anfängliche Unsicherheit im Jänisch-Gambit gegen Michael Preussner Zug um Zug ablegen können, die Partie entwickelte sich zur spannendsten des Tages. Das beiderseitig abgebrannte taktische Feuerwerk endete nach der Zeitkontrolle in einem Endspiel, in dem der Plauener die Oberhand behielt.

 

Tobias Franz konnte sich am letzten Brett gegen Christin Reinsdorf nun vollends dem Partiegenuss hingeben. Immer wenn er durch taktische Schläge die Partie zu beenden drohte, legte er eine strategische Streicheleinheit ein. Das Aroma der Mehrqualität wollte er möglichst lange auskosten, aufsaugen, vollends inhalieren. Und immer dann, wenn er sich in der Schönheit (der Stellung) zu verirren drohte, stach er plötzlich wieder zu, um danach wieder von seiner Gewalt abzulassen, wie ein Reservoir Dog, der seinem bewegungslosen Opfer gelegentlich Backpfeifen verteilt. Qual durch zunehmenden Verfall. Für Tobias Franz war es der erste Sieg in der 1. Landesklasse, für Christin Reinsdorf das erste Mal als Ersatzspielerin, und sie hatte währenddessen unerträgliche Schmerzen zu erleiden. Ein tränenreiches Debüt. Für ’ne schnelle Nummer ist sich Tobias Franz ohnehin viel zu schade.

In der vorletzten Saisonrunde können es die Könige nun ganz gelassen angehen, fünf Punkte vom Aufstiegsplatz und vom Abstiegsplatz entfernt, so mittendrin, aber trotzdem auf dem zweiten Platz, und so freut sich Andreas Götz schon ein ganz kleines bisschen auf Neu-Oelsnitz, weil er sich gern an die heißen Schlachten der Vergangenheit erinnert, ihm da die wichtigsten drei Dinge sofort einfallen. Dass es danach immer noch mal zum Tanz ging. Jede Menge Weiber. Natürlich. Getanzt wurde zwar nie, dafür aber unglaublich gern aufgegossen. Und der Kühnrich war besonders fürs Wegputzen bekannt, gerade weil er so ein ganz sensibler Mensch war. Und Roland Därr verlor einmal an der Haltestelle im Nebel die Orientierung, der hatte ja schon damals …, aber diese Geschichte mitten aus dem Wald wird erst das nächste Mal erzählt.

 

’Like a virgin’ ist nicht die Geschichte irgendeines sensiblen Mädchens, das einen netten Kerl kennen lernt. Darum geht es in dem Song ’True blue’, doch das hatte Quentin Tarantino nie bestritten.

 

SK König Plauen II
ESV Delitzsch
6
:
2
Pfeufer, Lion
2105
Friedrich, Andreas
2001
½
:
½
Lozovoy, Sergej
1937
Preussner, Michael
2047
1
:
0
Titz, Johannes
2013
Sachse, Dirk
1966
0
:
1
Götz, Andreas
2062
Plisch, Thomas
1983
1
:
0
Beyer, Christof
1957
Dr. Friedrich, Jürgen
1897
½
:
½
Engelhardt, Etienne
1883
Dietrich, Heiko
1814
1
:
0
Hörr, Christian
1869
Laube, Sören
1688
1
:
0
Franz, Tobias
1722
Reinsdorf, Christin
1577
1
:
0

 

Copyright © 2001- 2025 by Christian Hörr
letzte Änderung: 05.12.2022