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Das Spiel mit dem Dauerfeuer
oder gelobt sei, was hart macht
"Uniformträger regen ihn
auf. 'Ich hasse die Polizei, die Gendarmerie, das
Militär, sogar die Feuerwehr.' Das alles bringt
ihn auf sexuelle Zwangsvorstellungen, die er lieber
nicht hat. Er wird nicht fertig mit ihnen, mit den
Eisenbahnbediensteten, den Kriegsmenschen. Offiziere
stoßen ihn ab. Auch wegen ihrer Unmenschlichkeit,
die sie 'künstlich noch hochzüchten'."
(Thomas Bernhard, Frost)
"Is des Tokio Hotel? Des sei doch
Wilde, die müssen zur Armee."
(Peter Paul)

Kaum hatte Etienne Engelhardt den Eröffnungszug
ausgeführt, seinem Königsbauern zum Doppelschritt
verholfen, stellte sich ihm auch schon der gegnerische
entgegen, aber nicht etwa zum Kampf bereit, sondern
verbunden mit einem sofortigen Friedensangebot, so dass
der Krieg in Gefahr geriet, bevor er überhaupt
richtig beginnen konnte, weil es ja ohnehin um nichts
mehr gehen würde, wie zumindest Siegfried Kadner
die Lage einschätzte, er an diesem Tag ohnehin
keine Lust auf mehr als einen einzigen Zug verspürte.
Eine vollkommen andere Sicht auf die Dinge hatte jedoch
Andreas Götz, dass es nämlich noch um sehr
viel ginge, gerade nach den beiden hohen 6:2-Siegen
gegen Delitzsch und Neu-Oelsnitz schwebte ihm zum Saisonabschluss
noch etwas Besonderes vor, etwas ganz Totales ging ihm
durch den Sinn, beispielsweise ein so genanntes Liebschwitz-Ergebnis
zu versuchen oder aber wenigstens den zweiten Tabellenplatz
mit ausreichend Mannschaftspunkten zu würdigen,
auf jeden Fall die Siegesserie fortzusetzen, am besten
mit Dauerfeuer im Minimalelektrotakt, so dass aus dem
Sommer wieder einmal Winter werde, dieses Mal möglichst
bald auf allen acht Brettern, das würde ihm sehr
gut gefallen. Wenn doch nur für dieses Vorhaben
nicht Rebecca Reh gefehlt hätte. Dass sie nicht
schon ein paar Tage vorher stündlich angerufen
wurde, um sie an den heimischen Kühlschrank
zu erinnern, nicht etwa mit der billigen Absicht,
den Körper ständig der ferngesteuerten Mast
zuzuführen, das phlegmatische Fleisch zu sättigen,
sondern vielmehr mit dem hehren Ziel, den Geist immer
wieder in Bewegung zu setzen, in diesem Fall das Gedächtnis
aufzufrischen, und zwar mindestens im stündlichen
Rhythmus, weil genau dort, an jenem heimischen Kühlschrank
auf einem angebrachten Zettel, neben den Verfallsdaten
auch alle Wettkampftermine hätten leicht in Erfahrung
gebracht werden können, wird nun schwer verzeihlich,
dass dieses Hilfsmittel der Erinnerung einfach verpasst
wurde, sich als folgenschweres Versäumnis erwies,
und also begann das Plauener Vereinsderby für die
Könige mit einem frühen Handikap.
Am ersten Brett waren nach 17 Zügen
Bettelgeräusche um das Remis zu vernehmen. Gerade
Lion Pfeufer hat für solche Art von Schnorrerei
überhaupt kein Ohr, aber der schnaufenden Zugwiederholung
seines Gegners konnte er nicht mehr ausweichen, denn
mit bereits einem Bauern weniger drohte die forcierte
Abwicklung ins verlorene Endspiel, der er sonst nicht
mehr hätte entgehen können, so dass es dem
Zuschauer Detlev Mende vor lauter Unverständnis
den Kopf schüttelte, er sogar kurzzeitig erwog,
wieder mit Schach anzufangen, weil er mit ansehen musste,
wie ängstlich Roland Därr hier von der gewonnenen
Stellung desertierte. Dass dabei womöglich Absicht
im Spiel gewesen sei, lediglich ein Köder ausgelegt
wurde, um den früheren VSC-Spieler endlich aus
dem Garten zu locken, der ihn schon viel zu oft hart
gemacht hat, damit er nun wieder an das Schachbrett
zurückkehren möge, im Bessermachen
seinen neuen Rauschzustand findet, aber das wollte er
wiederum kaum glauben.
Die Punkteteilung am Brett dahinter ging
dagegen völlig in Ordnung. Zwar verfügte Sergej
Lozovoy
über einen Mehrbauern, den aber Stefan Merkel für
die Initiative bereits in der Eröffnungsphase geopfert
hatte - und für den er jederzeit Kompensation erhielt.
Das aktive Schwerfigurenendspiel endete im Dauerschach.

In der Zwischenzeit hatte Christof Beyer
lange nachgedacht, wie er wohl am liebsten die gereiften
Früchte aus der zeitigen Eröffnungsmisshandlung
seines Gegners ernten könnte. Seinen Überfall
ästhetisch zu beenden, hatte er sich nun vorgenommen.
Doch er gab sich viel zu lange dem Stellungsgenuss hin,
bis ihn schließlich das Unglück ereilte,
weil er glaubte, einen zweiten Gewinnweg entdeckt zu
haben, so dass er plötzlich zunehmend Gefallen
daran fand, ausgerechnet den unlogischen Weg zu probieren,
in den Fatalismus zu verfallen, den weißen König
nach 25.
Dh2-h1+ 26. Kf1-e2 Dh1xg2
noch einmal aus dem eisernen Würgegriff zu entlassen.
Stattdessen dem berühmten ersten Gedanken zu folgen,
hätte ihm nach 25.
d4-d3 (!!) 26. Te5xe7+
Ke8-f8 27. f2-f3 g4-g3 (27.
Dh2-g3)
28. Db4-d4 Dh2-h1+ 29. Dd4-g1 d3-d2
das gesuchte Schönheitsideal beschert. Auf dem
eingeschlagenen Irrweg wurde er aber bald bitter bestraft,
zunächst mit seiner ersten Saisonniederlage und
außerdem mit der verpassten, zu diesem Zeitpunkt
vielleicht schon letzten Möglichkeit, seiner Mannschaft
zum Ausgleich zu verhelfen. Denn in den restlichen vier
Partien wurden die Anzeichen eines unvorhergesehenen
Endergebnisses immer deutlicher. Der Partiegewinn von
Andreas Götz in einer Stellung, die wenige Züge
davor noch als ausgeglichen galt (danach überrumpelte
er Vaceslav Ananev derartig taktisch, dass dieser sich
sogar noch von einem einzügigen Matt überraschen
ließ), sollte der einzige volle Punkt für
die Plauener Könige an diesem Tag bleiben. Christian
Hörr hatte zuvor seine Gewinnversuche gegen Felix
Zeuner eingestellt. Und nachdem die Stellung von Johannes
Titz unter dem Dauerdruck von Frank Bicker zusammenbrach,
war die Entscheidung zum 2,5:4,5 gefallen. Vielleicht
war es auch eine Geste der Anerkennung, dass Teamchef
Etienne Engelhardt endlich dem Remiswunsch Siegfried
Kadners nachgab, denn das Turm-Läufer-Springer-Endspiel
hätte nur noch weniger chirurgischer Fingerfertigkeiten
bedurft, lediglich die Fesslung in der schwarzfeldrigen
Läuferdiagonalen hätte der weiße König
noch verlassen müssen, um die einzige schwarze
Remischance zu zerstören: Kg1-g2 statt Kg1-f2.
Der VSC Plauen 1952 gewann verdient,
nachdem er die unprofessionelle Mannschaftsaufstellung
und die spielerischen Schwächen der Plauener Könige
konsequent ausgenutzt hatte. Und wieder kämpfte
Frank Bicker am Ende mit sich selbst, die Tränen
zurückzuhalten: Freudentränen dieses Mal,
weil er Johannes Titz nicht noch einmal entkommen ließ.
Für einen kurzen Moment liebäugelte er sogar
mit einer guten Tabellenplatzierung, aber da hatte er
wohl den Saisonverlauf schon vergessen.


Jay-T, spiels noch mal, spiel noch
mal für uns. Happiness is a warm gun. In a-Moll.
Tausche die Hand am Abzug gegen den Barrégriff
und flüchte vor der staatlich anerkannten
Ausbildung zum Massenmörder. Am besten mit Dauerfeuer.
Happiness is a warm gun. Es reicht aus, wenn sich alle
Wilden in die Massenmordanstalt begeben. Denn wo
die Uniform anfängt, hört der Mensch auf.
SK König Plauen II
|
|
VSC Plauen 1952
|
3
|
:
|
5
|
Pfeufer,
Lion |
2105
|
|
Därr,
Roland |
1974
|
½
|
:
|
½
|
Lozovoy,
Sergej |
1937
|
|
Merkel,
Stefan |
1952
|
½
|
:
|
½
|
Titz,
Johannes |
2013
|
|
Bicker,
Frank |
1942
|
0
|
:
|
1
|
Götz,
Andreas |
2062
|
|
Ananev,
Vaceslav |
1866
|
1
|
:
|
0
|
Beyer,
Christof |
1940
|
|
Klassen,
Alexander |
1964
|
0
|
:
|
1
|
Engelhardt,
Etienne |
1883
|
|
Kadner,
Siegfried |
1910
|
½
|
:
|
½
|
Hörr,
Christian |
1869
|
|
Zeuner,
Felix |
1611
|
½
|
:
|
½
|
Reh,
Rebecca |
1722
|
|
Schulze,
Stefan |
1714
|
|
:
|
+
|
|
|