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1. LANDESKLASSE St. B – Saison 2006/2007
 

Das Spiel mit dem Dauerfeuer
oder gelobt sei, was hart macht

"Uniformträger regen ihn auf. 'Ich hasse die Polizei, die Gendarmerie, das Militär, sogar die Feuerwehr.' Das alles bringt ihn auf sexuelle Zwangsvorstellungen, die er lieber nicht hat. Er wird nicht fertig mit ihnen, mit den Eisenbahnbediensteten, den Kriegsmenschen. Offiziere stoßen ihn ab. Auch wegen ihrer Unmenschlichkeit, die sie 'künstlich noch hochzüchten'."
(Thomas Bernhard, Frost)


"Is des Tokio Hotel? Des sei doch Wilde, die müssen zur Armee."
(Peter Paul)


Kaum hatte Etienne Engelhardt den Eröffnungszug ausgeführt, seinem Königsbauern zum Doppelschritt verholfen, stellte sich ihm auch schon der gegnerische entgegen, aber nicht etwa zum Kampf bereit, sondern verbunden mit einem sofortigen Friedensangebot, so dass der Krieg in Gefahr geriet, bevor er überhaupt richtig beginnen konnte, weil es ja ohnehin um nichts mehr gehen würde, wie zumindest Siegfried Kadner die Lage einschätzte, er an diesem Tag ohnehin keine Lust auf mehr als einen einzigen Zug verspürte. Eine vollkommen andere Sicht auf die Dinge hatte jedoch Andreas Götz, dass es nämlich noch um sehr viel ginge, gerade nach den beiden hohen 6:2-Siegen gegen Delitzsch und Neu-Oelsnitz schwebte ihm zum Saisonabschluss noch etwas Besonderes vor, etwas ganz Totales ging ihm durch den Sinn, beispielsweise ein so genanntes Liebschwitz-Ergebnis zu versuchen oder aber wenigstens den zweiten Tabellenplatz mit ausreichend Mannschaftspunkten zu würdigen, auf jeden Fall die Siegesserie fortzusetzen, am besten mit Dauerfeuer im Minimalelektrotakt, so dass aus dem Sommer wieder einmal Winter werde, dieses Mal möglichst bald auf allen acht Brettern, das würde ihm sehr gut gefallen. Wenn doch nur für dieses Vorhaben nicht Rebecca Reh gefehlt hätte. Dass sie nicht schon ein paar Tage vorher stündlich angerufen wurde, um sie an den heimischen Kühlschrank zu erinnern, nicht etwa mit der billigen Absicht, den Körper ständig der ferngesteuerten Mast zuzuführen, das phlegmatische Fleisch zu sättigen, sondern vielmehr mit dem hehren Ziel, den Geist immer wieder in Bewegung zu setzen, in diesem Fall das Gedächtnis aufzufrischen, und zwar mindestens im stündlichen Rhythmus, weil genau dort, an jenem heimischen Kühlschrank auf einem angebrachten Zettel, neben den Verfallsdaten auch alle Wettkampftermine hätten leicht in Erfahrung gebracht werden können, wird nun schwer verzeihlich, dass dieses Hilfsmittel der Erinnerung einfach verpasst wurde, sich als folgenschweres Versäumnis erwies, und also begann das Plauener Vereinsderby für die Könige mit einem frühen Handikap.

Am ersten Brett waren nach 17 Zügen Bettelgeräusche um das Remis zu vernehmen. Gerade Lion Pfeufer hat für solche Art von Schnorrerei überhaupt kein Ohr, aber der schnaufenden Zugwiederholung seines Gegners konnte er nicht mehr ausweichen, denn mit bereits einem Bauern weniger drohte die forcierte Abwicklung ins verlorene Endspiel, der er sonst nicht mehr hätte entgehen können, so dass es dem Zuschauer Detlev Mende vor lauter Unverständnis den Kopf schüttelte, er sogar kurzzeitig erwog, wieder mit Schach anzufangen, weil er mit ansehen musste, wie ängstlich Roland Därr hier von der gewonnenen Stellung desertierte. Dass dabei womöglich Absicht im Spiel gewesen sei, lediglich ein Köder ausgelegt wurde, um den früheren VSC-Spieler endlich aus dem Garten zu locken, der ihn schon viel zu oft hart gemacht hat, damit er nun wieder an das Schachbrett zurückkehren möge, im Bessermachen seinen neuen Rauschzustand findet, aber das wollte er wiederum kaum glauben.

Die Punkteteilung am Brett dahinter ging dagegen völlig in Ordnung. Zwar verfügte Sergej Lozovoy
über einen Mehrbauern, den aber Stefan Merkel für die Initiative bereits in der Eröffnungsphase geopfert hatte - und für den er jederzeit Kompensation erhielt. Das aktive Schwerfigurenendspiel endete im Dauerschach.

In der Zwischenzeit hatte Christof Beyer lange nachgedacht, wie er wohl am liebsten die gereiften Früchte aus der zeitigen Eröffnungsmisshandlung seines Gegners ernten könnte. Seinen Überfall ästhetisch zu beenden, hatte er sich nun vorgenommen. Doch er gab sich viel zu lange dem Stellungsgenuss hin, bis ihn schließlich das Unglück ereilte, weil er glaubte, einen zweiten Gewinnweg entdeckt zu haben, so dass er plötzlich zunehmend Gefallen daran fand, ausgerechnet den unlogischen Weg zu probieren, in den Fatalismus zu verfallen, den weißen König nach 25. … Dh2-h1+ 26. Kf1-e2 — Dh1xg2 noch einmal aus dem eisernen Würgegriff zu entlassen. Stattdessen dem berühmten ersten Gedanken zu folgen, hätte ihm nach 25. …d4-d3 (!!) 26. Te5xe7+ — Ke8-f8 27. f2-f3 — g4-g3 (27. … Dh2-g3) 28. Db4-d4 — Dh2-h1+ 29. Dd4-g1 — d3-d2 das gesuchte Schönheitsideal beschert. Auf dem eingeschlagenen Irrweg wurde er aber bald bitter bestraft, zunächst mit seiner ersten Saisonniederlage und außerdem mit der verpassten, zu diesem Zeitpunkt vielleicht schon letzten Möglichkeit, seiner Mannschaft zum Ausgleich zu verhelfen. Denn in den restlichen vier Partien wurden die Anzeichen eines unvorhergesehenen Endergebnisses immer deutlicher. Der Partiegewinn von Andreas Götz in einer Stellung, die wenige Züge davor noch als ausgeglichen galt (danach überrumpelte er Vaceslav Ananev derartig taktisch, dass dieser sich sogar noch von einem einzügigen Matt überraschen ließ), sollte der einzige volle Punkt für die Plauener Könige an diesem Tag bleiben. Christian Hörr hatte zuvor seine Gewinnversuche gegen Felix Zeuner eingestellt. Und nachdem die Stellung von Johannes Titz unter dem Dauerdruck von Frank Bicker zusammenbrach, war die Entscheidung zum 2,5:4,5 gefallen. Vielleicht war es auch eine Geste der Anerkennung, dass Teamchef Etienne Engelhardt endlich dem Remiswunsch Siegfried Kadners nachgab, denn das Turm-Läufer-Springer-Endspiel hätte nur noch weniger chirurgischer Fingerfertigkeiten bedurft, lediglich die Fesslung in der schwarzfeldrigen Läuferdiagonalen hätte der weiße König noch verlassen müssen, um die einzige schwarze Remischance zu zerstören: Kg1-g2 statt Kg1-f2.

Der VSC Plauen 1952 gewann verdient, nachdem er die unprofessionelle Mannschaftsaufstellung und die spielerischen Schwächen der Plauener Könige konsequent ausgenutzt hatte. Und wieder kämpfte Frank Bicker am Ende mit sich selbst, die Tränen zurückzuhalten: Freudentränen dieses Mal, weil er Johannes Titz nicht noch einmal entkommen ließ. Für einen kurzen Moment liebäugelte er sogar mit einer guten Tabellenplatzierung, aber da hatte er wohl den Saisonverlauf schon vergessen.

Jay-T, spiel’s noch mal, spiel noch mal für uns. Happiness is a warm gun. In a-Moll. Tausche die Hand am Abzug gegen den Barrégriff und flüchte vor der staatlich anerkannten Ausbildung zum Massenmörder. Am besten mit Dauerfeuer. Happiness is a warm gun. Es reicht aus, wenn sich alle Wilden in die Massenmordanstalt begeben. Denn wo die Uniform anfängt, hört der Mensch auf.

 

SK König Plauen II
VSC Plauen 1952
3
:
5
Pfeufer, Lion
2105
Därr, Roland
1974
½
:
½
Lozovoy, Sergej
1937
Merkel, Stefan
1952
½
:
½
Titz, Johannes
2013
Bicker, Frank
1942
0
:
1
Götz, Andreas
2062
Ananev, Vaceslav
1866
1
:
0
Beyer, Christof
1940
Klassen, Alexander
1964
0
:
1
Engelhardt, Etienne
1883
Kadner, Siegfried
1910
½
:
½
Hörr, Christian
1869
Zeuner, Felix
1611
½
:
½
Reh, Rebecca
1722
Schulze, Stefan
1714
:
+

 

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letzte Änderung: 05.12.2022