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Über ungleichfarbige und paarige Läufer
oder der Apfel als Süßspeise zwischen Olymp und Hades
"Auch den Kerberos sah ich, mit
bissigen Zähnen bewaffnet, böse rollt er die
Augen, den Schlund des Hades bewachend. Wagt es einer
der Toten, an ihm vorbei sich zu schleichen, so schlägt
er die Zähne tief und schmerzhaft ins Fleisch der
Entfliehenden und schleppt sie zurück unter Qualen,
der böse, der bissige Wächter." (Aus
Homers "Odyssee")
"Mein lieber junger Mann, wissen
Sie das nicht? Wenn eine Stellung mit ungleichen Läufern
gewonnen ist, dann ist es so schrecklich gewonnen, ohne
Gegenchancen."
(Gedeon Barcza nach seiner Partie gegen Heikki Westerinen,
Leningrad 1967)

Beim Hunde so wie einst Sokrates
darauf hätte Mathias Paul auf keinen Fall
schwören können, denn irgendwie musste Sergej
Lozovoy die Sache mit der Grünfeld-Indischen Verteidigung
völlig falsch eingeschätzt haben, weil gerade
gegen schwächere Gegner spielt sich diese Eröffnung
viel leichter als gegen stärkere Gegner, und zwar
sehr viel leichter - und eben nicht viel
schwerer, wie es stattdessen die Lozovoysche These
vertrat, die Mathias Paul keine Ruhe mehr ließ,
so dass er über deren Widerlegung noch einmal gründlich
nachgedacht hatte, allein schon deshalb, weil sich der
Leipziger Thomas Gempe für die Partie in der zweiten
Bundesliga ausgerechnet auf diese Eröffnung
vorbereitet zu haben schien, und also nicht mit dem
Königsbauern eröffnete, sondern auffällig
zum Damenbauern griff. Im Angesicht dieses imposanten
weißen Läuferpaars, einige Züge später,
hätte Mathias Paul für einen Moment am liebsten
jener Eröffnung für immer abgeschworen, höchstens
damit in der 1. Landesklasse erneut auszuhelfen, hätte
er sich noch vorstellen können, zumal gegen Grimma
dieses Mal gleich drei Leute nicht zur Verfügung
standen. Bereits nach dem dritten Spieltag gibt es nur
noch drei Stammspieler, die bisher immer dabei waren,
die also nahezu hoffnungslos renitent sind, denen beispielsweise
noch nicht der Hals gekratzt hat, die währenddessen
keine Projekte am Laufen haben, die sich noch
nicht in den Hades begeben wollen, vielleicht auch nur
aus großer Angst, womöglich am Sonntagmorgen
das Wort Familienplanung ins Ohr geflüstert
zu bekommen, das so gar keine Phonetik besitzt, ein
Wort, bei dem sich nicht der Takt mit den Füßen
schlagen lässt, auch wenn man währenddessen
ganz ambitioniert und andächtig gestreichelt wird.
Wenn der weiße König im Mittelspiel
nach einem gegnerischen Einschlag erschrocken auf der
dritten Reihe umherirrt, einer Odyssee ein großes
Stück näher ist als einer Wanderung, sich
mehr auf der Flucht befindet als bei einem Ausflug,
weil er, der weiße König, plötzlich
nicht mehr weiß, wo er zu Hause ist, außerdem
auf dem Brett davor sichtbar wird, dass im Endspiel
ein Bauer weniger seine Arbeit verrichtet als beim Gegner,
kann es auf Plauener Seite schon fast nicht mehr trösten,
dass wiederum sechs Bretter dahinter, also am vorletzten
Brett Daniel Butzke bereits die in der Eröffnung
entstandene Stellung fest im Griff hatte, bis er schließlich
deutlichen Materialvorteil erreichte und bald darauf
die Partie unangestrengt zum 1:0 gewann. Aber die Führung
war nicht von langer Dauer, denn die beiden Niederlagen
von Olaf Hilbig und Sergej Lozovoy, der abwegige König
einerseits, das abgängige Endspiel andererseits,
ließen düstere Erinnerungen an den völlig
verkorksten Saisonauftakt wach werden. Und doch war
dieses Mal einiges anders als zum besagten Saisonbeginn,
das Entscheidende war anders endlich wurden frühe
Remisangebote abgelehnt, wie im Fall von Johannes Titz,
dem immer noch die Spielpraxis fehlte, aber eben nicht
die Spielfreude, und im Fromms Gambit, beim besten Willen,
da kann er gar nicht anders, der Johannes, das Friedliche
löst sich in ihm auf, ist dann ganz und gar nicht
mehr seine Sache, da schlägt er gern seine Zähne
in das Fleisch des Entfliehenden, bis der ruhelose König
keine Rast mehr findet, im Feld getroffen umfällt.
Und nachdem Christof Beyer in einer durch und durch
strategischen Partie den Vorteil des Läuferpaars
gegenüber dem Springerpaar mit einer kleinen taktischen
Raffinesse ausspielte, drehte sich das Match zwar zu
Gunsten der Plauener Gastgeber, aber die drei noch laufenden
Partien ließen den endgültigen Ausgang weiterhin
völlig offen.
Mario Tunger verschmähte in der
Eröffnung einen Mehrbauern, erreichte aber trotzdem
eine riesige Stellung, während sich Etienne Engelhardt,
wie im letzten Jahr, wiederum im Caro-Kann gegen Daniel
Schröder zu verteidigen hatte. Mit einem kleinen
Vorteil auf seiner Seite schlug Andreas Götz indes
das gegnerische Remisangebot aus. Mario Tunger verdarb
schließlich seine gute Position auf die rustikalste
Art und Weise, statt eines Mehrbauern geriet er in eine
Stellung mit zwei Bauern weniger ohne jegliche
Kompensation. Etienne Engelhardt hielt dagegen dieses
Mal dem Angriffsdruck seines Gegners stand. Die Punkteteilung
sollte die einzige an diesem Tag sein und zugleich die
Wegbereiterin für einen äußerst knappen
Mannschaftssieg. Andreas Götz heckte während
der sich verschlimmernden Zeitnot seines Gegners immer
neue Mattmotive aus. Irgendwie wollte er beweisen, dass
bei ausgeglichenem Material ungleichfarbige Läufer
sehr ungerecht werden können, zumal wenn einer
der Könige nicht sicher genug steht. Und dann war
es auf einmal passiert eines der Mattbilder entwickelte
sich zur Abschiedskulisse. Immer hatte er die Übersicht
bewahrt, bis er plötzlich die Früchte seiner
Arbeit in der Hand hielt. Remis abgelehnt. Partie gewonnen.
Mannschaftssieg gerettet. Manchmal ist Andreas Götz
nicht zu fassen. Und dann freut er sich am meisten darüber,
wie die anderen gewonnen haben. Schön, wie
du das mit dem Läuferpaar behandelt hast. Das war
eine ganz feine Klinge. Bei mir das warn ungleichfarbige
Läufer, aber ich saß immer am längeren
Hebel, und mein König stand viel sicherer, das
ist in solchen Situationen oftmals ganz entscheidend.
Ich sags immer wieder. Das stürzte
selbst jeden leicht zur Ungnädigkeit neigenden
Beobachter in seiner Ungeduld in einen Begeisterungstaumel.

Springerpaar gegen
Läuferpaar. Stellung nach dem
24. Zug ... Ld5-h1! 25. Sd2f3 (25. Se5-f3
Lg7xd4)
Tc8xc1 26. Tf1xc1 Lg7xe5 27. Kg1xh1
Le5xd4
Auch wenn dieser holprige Mannschaftserfolg
eher an einen steilen Weg als eine steile Karriere erinnerte,
so stolpern die Plauener Könige sogar bis an die
Tabellenspitze. Hauchdünn zwischen Olymp
und Hades verbleibt nicht viel Zwischenraum. Was hat
denn der Lion mit den Hunden gemacht? Andreas Götz
war einfach ein zu aufmerksamer Wächter. Kerberos,
nicht weinen.
SK König Plauen
II
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|
SV 1919 Grimma
|
4½
|
:
|
3½
|
Lozovoy,
Sergej |
1937
|
|
Collini,
Carsten |
2050
|
0
|
:
|
1
|
Hilbig,
Olaf |
2063
|
|
Trott,
Mario |
2013
|
0
|
:
|
1
|
Beyer,
Christof |
2003
|
|
Marquardt,
Alexander |
1945
|
1
|
:
|
0
|
Götz,
Andreas |
2061
|
|
Schröter,
Samuel |
1874
|
1
|
:
|
0
|
Engelhardt,
Etienne |
1884
|
|
Schröder,
Daniel |
1810
|
½
|
:
|
½
|
Titz,
Johannes |
1956
|
|
Könze,
Peter |
1800
|
1
|
:
|
0
|
Butzke,
Daniel |
1933
|
|
Lausch,
Steffen |
1793
|
1
|
:
|
0
|
Tunger,
Mario |
1873
|
|
Pohl,
Gunnar |
1722
|
0
|
:
|
1
|
|
|