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Unter dem Eisen des Pyrrhussieges
oder warum Schachgeheimnisse
im Trivialen liegen
"Noch so ein Sieg, und wir sind
verloren." (Pyrrhus, König von Epirus)
"Habt ihr bei euch Gewinnverbot?"
(Jürgen Heinz, ESV Nickelhütte Aue)

Die Verwunderung begann bei Andreas Götz
schon eine knappe Viertelstunde vor dem Heimspiel gegen
Lok Leipzig-Mitte, denn wiederum hatte Christof Beyer
den Weg ins Hotel Alexandra auffällig früh
gefunden, nur um das zu beherzigen, worauf John Nunn
in vergangener Zeit schon längst mit dem Finger
gezeigt hatte, dass er also genau das endlich in sein
Herz geschlossen habe, für die so wichtige Zeit
davor, und das für alle Zeit, sagte er, und das
konnte Andreas Götz vor Erstaunen kaum fassen,
dass man die jungen Leute immer noch mit den alten Sachen
überraschen könne, dass man sie also noch
über die grundlegenden Dinge aufklären müsse,
über die Zeitnot vor einer Schachpartie beispielsweise.
Mit dem Internet dagegen, da würden sie sich auskennen,
die jungen Leute, weil sie da plötzlich zu viel
Zeit haben, so Andreas Götz, ihn darüber aufzuklären,
sei nicht mehr notwendig, nicht weil er sich auf diesem
Gebiet ebenfalls zu den Aufklärern zähle,
sondern weil er das Internet einfach nicht mehr bräuchte
in seinem Alter, wie er feststellte. Ausschließlich
auf die alten Sachen kommt es ihm an, nur die kuscheln
sich in der Überlieferung und künden vom Charme
der Ewigkeit.

Gegen Dirk Gerhardts Pirc-Aufbau hatte
Christof Beyer etwas ganz Positionelles gebastelt. Erst
im 16. Zug verließ auf beiden Seiten jeweils ein
Springer das Brett, zwischendurch immer wieder diese
ganz zarten Bauernschrittchen h2h3, a2a3,
b2b3 und g2g3 auf leisen Sohlen, und nachdem
fünf Züge später der erste Bauer getauscht
wurde, konnte bei fast vollem Brett die schwarze Position
schon nicht mehr repariert werden, so dass der Leipziger
ungläubig seinen Kopf bewegte, denn was ihm gerade
so schnell widerfahren war, was er eigentlich falsch
gemacht hatte, warum jene schwarze Stellung von einem
zum anderen Augenblick so kolossal einstürzte,
konnte er selbst in der nachträglichen Analyse
noch nicht begreifen.

Ausgehebelt.
21. exd5 cxd5 (21.
exd5 22. Lf4) 22. a4!
22.
Dxb4 23. Tb1 Dd6 24. axb5 g4
25. bxa6 Lxe3?
(25.
Lxa6 26. Lxa6 Dxa6 27. Ta1
Db7 28. Teb1 +)
26. Txb7+ 10.
Doch die frühe Plauener Führung
war nicht von langer Dauer. Kaum hatte Sergej Lozovoy
die Eröffnung abgeschlossen, zündete er auch
schon das Brett mit einem zweifelhaften Bauernopfer
an, das lediglich mit gutem Willen an einen verspäteten
Englischen Angriff erinnerte. Solidität ist einfach
nicht seine Sache, den Gegner unvorbereitet anspringen,
da findet er schon eher seine Bestimmung. Der Angriff
trudelte in ein verlorenes Endspiel, in dem beiderseits
Turm, Springer und ein paar Bauern verblieben waren,
der ehemals geopferte Bauer fehlte jetzt schmerzlich
und kostete schließlich die Partie. Und auch was
Daniel Butzke gegen die um ungefähr vierhundert
DWZ-Punkte leichtere Gisa Sonntag auf dem Brett probierte,
demonstrierte nicht gerade eine Plauener Mannschaft
mit unerschütterlichen Aufstiegsambitionen. Der
Eröffnungszug g3 erinnerte einerseits an die Verneinung
des weißen Anzugsvorteils, anderseits hatte Daniel
Butzke dieses zaghafte Eröffnungssystem schon oft
gewählt, und zwar viel zu häufig, um nach
15 Zügen nur noch eine halbe Stunde Restbedenkzeit
zur Verfügung zu haben, während seine Gegnerin,
ohne ernsthafte Probleme gestellt zu bekommen, insgesamt
nur eine halbe Stunde verbrauchte, um ganz locker mitzuspielen.
Das Remis von Lion Pfeufer war hingegen eher das schwer
erkämpfte Ergebnis, den erlittenen Eröffnungsnachteil
im Moskauer System nach dessen unpräziser Behandlung
doch noch kompensiert zu haben. Wenn man sich wie Etienne
Engelhardt schon das sechste Mal hintereinander in dieser
Saison mit Schwarz verteidigen muss, fast ausschließlich
die selbe Eröffnung aufs Brett bekommt, dann kondensieren
sich irgendwann aus einer Wettkampfpartie plötzlich
Trainingsmomente, die auf einmal ungeahnte Sicherheit
geben, selbst mit dem Engelhardtschen Dauerschmerz
zum Erfolg vorstoßen zu können. Dessen Caro-Kann-Konstruktion
brachte die Plauener jedenfalls wieder in Front
und dann lächelten beim Teamchef vor allem die
Augen, als hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht
als seine Mannschaft mit Caro-Kann zum Sieg zu führen.
Und beim Stand von 3:2 rückte dieses Vorhaben immerhin
in Reichweite. Olaf Hilbig begann gegen die gern in
Zeitnot kommende Anet Gempe die Initiative zu übernehmen,
Christian Hörr lavierte im geschlossenen Sizilianer,
erst im 22. Zug wurde hier ein erster Bauer verabschiedet,
und Andreas Götz hatte inzwischen eine Qualität
erobert, nachdem er sich in der Eröffnung noch
unachtsam einen Bauern entführen ließ. Aber
spätestens die nächste Punkteteilung, am Brett
von Olaf Hilbig, kam viel zu früh. Als Christian
Hörr danach die Entscheidung erzwingen wollte,
stellte er ausgerechnet eine Leichtfigur ein, verlor
perspektivlos weitere Bauern und spielte letztlich nur
noch weiter, um Andreas Götz noch für eine
Weile Gesellschaft zu leisten, denn wie schon gegen
Grimma sollte dessen Partie nun den Ausgang der Begegnung
bestimmen, ob also noch ein Sieg oder wenigstens ein
Unentschieden gegen den an ausnahmslos allen Brettern
schwächer besetzten Tabellenletzten möglich
erschien. Das nach dem Damentausch entstandene Doppelturm-gegen-Turm-und-Läufer-Endspiel
blieb kompliziert, denn für die Mehrqualität
besaß Weiß zwei verbundene Freibauern. Als
sich Andreas Götz nach einem Schachgebot selbst
der Initiative beraubte, den König auf e6 zurückzog
statt auf c4 einzudringen, gewann Weiß plötzlich
die Oberhand. Fast wehrlos streckte er ein paar Züge
später die Waffen. Wo er das Zaubern gelernt habe,
wurde Gegner Hannes Münch von seinen Mannschaftskollegen
bei der Gratulation zum Sieg gefragt. So blieb am Schluss
Ungläubigkeit auf der einen und Ratlosigkeit auf
der anderen Seite.

Ein Endspiel so zu verderben, ein gewonnenes
dazu, das war Andreas Götz schon lange nicht mehr
passiert. Aber wenn man wiederholt als Letzter auf Gewinn
spielen muss, und also unter Druck steht, weil längst
beendete Partien viel zu früh remis gegeben wurden,
man doch erst dann Remis hergeben darf, wenn die Mannschaft
bereits die so wichtigen vier Punkte erbeutet hat, genau
das sind ja gerade diese alten trivialen Sachen, die
Andreas Götz vorher erwähnte, die man den
jungen Leuten noch beibringen muss, dann passiert eben
so etwas, was gern als unnötige Niederlage bezeichnet
wird, stellte er ganz verwundert fest, die Figuren aufbauend,
als würde alles noch einmal von vorn beginnen.
Dieses Mal hatten ihn einfach die Kräfte verlassen.
Zu einem solchen Kraftakt - wie gegen Grimma - fühlte
er sich dieses Mal nicht mehr fähig.
Die Könige befinden sich nach dieser
schmerzlichen Niederlage mit 9:5 Mannschaftspunkten
zwar weiterhin einsam auf dem zweiten Platz, was allerdings
den Aufstieg betrifft, da ist die Saison schon für
sie beendet - viel zu weit ist er gegenwärtig,
der Weg für die Plauener in die Sachsenliga. Sobald
sie ihm ganz nahe kommen, zerbrechen sie daran und leiden
unter dem Fluch vergangener Siege. Pyrrhussiege sind
der Hohn der Vergeblichkeit.
SK König Plauen II
|
|
Lok Leipzig-Mitte III
|
3½
|
:
|
4½
|
Pfeufer,
Lion |
2069
|
|
Sonntag,
Hermann |
1972
|
½
|
:
|
½
|
Lozovoy,
Sergej |
1984
|
|
Beyer,
Till |
1959
|
0
|
:
|
1
|
Hilbig,
Olaf |
2063
|
|
FM
Gempe, Anet |
1909
|
½
|
:
|
½
|
Beyer,
Christof |
2003
|
|
Gerhardt,
Dirk |
1897
|
1
|
:
|
0
|
Götz,
Andreas |
2061
|
|
Münch,
Hannes |
1808
|
0
|
:
|
1
|
Hörr,
Christian |
1889
|
|
Baumgarten,
Thomas |
1800
|
0
|
:
|
1
|
Engelhardt,
Etienne |
1884
|
|
Steiner,
Albrecht |
1623
|
1
|
:
|
0
|
Butzke,
Daniel |
1933
|
|
Sonntag,
Gisa |
1557
|
½
|
:
|
½
|
|
|