Nachdruck mit freundlicher Genehmigung
von Holger Seiling (Schachlinks.com). Das Original finden
sie hier: http://www.schachlinks.com/cgi-bin/admin/hp_link.cgi?action=interview_anzeigen&interview_id=14
Frau
Hafenstein, maßgeblich bestimmt wurde Ihr Leben
durch die Horrordiagnose "Krebs". Der Tumor
zwang Sie zu unzähligen Behandlungen und operativen
Eingriffen. Dass Sie noch leben, verdanken Sie nach
eigenem Bekunden jedoch vor allem dem Schachspiel.
Es ist richtig. Ich sage immer wieder,
dass mir das Schachspielen geholfen hat. Ich begann
es mit 6 Jahren. Ich lernte, was es heißt, Ausdauer
zu haben, Disziplin und vor allem das Kämpfen.
Dieses versuche ich mir jetzt zu Nutze zu machen. Schach
ist kein Sport, in dem man nur 10 Top-Jahre hat wie
beim Fußball. Schach kann man sein ganzes Leben
lang spielen und so gibt es mir Hoffnung immer mal ein
Turnier mitzuspielen und dabei gut abzuschneiden. Man
taucht in andere Welten ein und in diesen Momenten vergesse
ich um mich herum (fast) alles, sogar auch meinen Schmerz.
Meine letzte OP war im April. Es ist nunmehr die 20igste
in einem Zeitraum von 3½ Jahren. Es ist ein so
seltener und dazu sehr aggressiver Krebs, wo man leider
noch nicht absehen kann, wie viele OPs noch folgen werden.
Wer hatte die Idee zu Ihrem autobiographischen
Buch "Schach dem Tumor"? Wie kam es zur Zusammenarbeit
mit dem Co-Autor Jörg Seidel ?
Es war meine Idee. Wenn man dass Buch
gelesen hat, kommt man vielleicht darauf, warum es geschrieben
wurde. Mir ist einfach zu viel zugestoßen. Die
Schicksalsschläge nahmen ihren Lauf. Ich hatte
das Gefühl ich platzte gleich. Ich musste mich
öffnen, um es besser verarbeiten zu können.
Gleichzeitig merkte ich, dass es noch viele andere Personen
gibt, denen es so oder ähnlich passierte wie mir.
Ich sprach vielen aus der Seele und ich half auch vielen
aus ihrem Schneckenhaus raus zu kommen um den Kampf
auf zu nehmen. Ich sage immer wieder, ich bin nicht
auf die Welt gekommen, um jetzt schon abzudanken. Man
hat nur das eine Leben, also bleibt einem nichts weiter
übrig ,als zu kämpfen. Ich halte mir immer
wieder vor Augen, wer kämpft kann verlieren, wer
nicht kämpft, hat verloren. Der Co-Autor Jörg
Seidel half mir lediglich. Der Rahmen drum herum und
das Philosophische ist von ihm, aber alles andere ist
von mir. Mein Lebenspartner hatte seine Tochter Maria
trainiert. Daher kennen wir uns. Sie wohnen aber seit
ein paar Jahren in England. Ich bin richtig glücklich,
Jörg Seidel an meiner Seite gehabt zu haben.
In einem Verlagstext zu Ihrem Buch
heißt es, Sie würden darin ähnlich betroffenen
Menschen Mut machen. Wir können uns kaum vorstellen,
das Sie dieses Buch nur für Patienten geschrieben
haben?! An welche Leserschaft wendet sich Ihr Buch und
welche Kernbotschaften sind darin enthalten?
Ich hatte leider keinen Verlag für
mein Buch. Ich bekam nur Absagen (Bastei, Lübbe
usw.). So hat sich meine Tageszeitung "Freie Presse"
bereit erklärt, das Cover immer kostenlos zu schalten.
Sie besorgten mir auch eine Druckerei. Süddruck-Neumann
nahm sich meiner an und gestaltete mein Buch. Die Idee
für das Cover ist vom mir. Denn Schach hat mit
Kopf zu tun und Kopf hat mit Schach zu tun. Die Freie
Presse hat eine Auflage von über 500.000 Lesern.
Die Druckerei mit Betriebsleiter Herrn Rüffer ist
auch aus Plauen. So haben wir (Marco und ich) eine eigene
Homepage erstellt und das Buch darüber verkauft.
Es wurden einige Rezensionen geschrieben, so dass man
feststellte, dass das Buch in drei verschiedenen Regalen
(Rubriken) stehen könne (Biographie, Schach und
Krankheit). Ich hatte eine Auflage von 1500 Stück.
Trotz Ihrer Medienpräsenz (Fernsehen,
Presse, Internet) und der Ihnen entgegengebrachten Wellen
an Symphatie hatten Sie sich mit ganz irdischen Problemen
herum zu schlagen. So bemühten Sie sich lange vergebens
um die Anerkennung Ihrer Invalidität und hatten
mehrfach Sorgen mit der Kostenübernahme seitens
der Krankenkasse. Sind diese Probleme inzwischen vom
Tisch oder ist mit Ihrer Erkrankung zwangsläufig
auch ein sozialer Abstieg verbunden?
Es stimmt, man muss um alles kämpfen.
Ich hatte doch nun einen Gehirntumor, einen Schlaganfall
und dazu den unheilbaren Krebs, aber wer nun denkt,
man sei mir deshalb entgegengekommen, der täuscht
sich. Man sagte mir sogar, ich sehe zu gesund aus für
meine Krankheiten. Dabei bin ich froh darüber,
dass man mir meine Erkrankung nicht schon von 100 Metern
Entfernung ansieht .Andere sitzen leider am längeren
Hebel und so muss man sich so etwas schon mal gefallen
lassen. Es ist leider nicht möglich, sich auf seine
Genesung zu konzentrieren. Dafür sorgen die Behörden
schon, denn sie sind es letzten Endes, die einen kaputt
machen. Die vielen Formulare, die man ausfüllen
muss um etwas zusätzliches zu bekommen, machen
einen noch mehr krank. So bin ich immer wieder gezwungen,
jedes Jahr neu Rente zu beantragen. Das Geld, was für
die Gutachter gezahlt wird, hätte mir schon einige
Jahre weitergeholfen. (Ich hörte, dass ein Gutachter
so um die 5000 Euro erhält. Das eine Jahr hatte
ich davon fünf.)
Sie sind nicht nur die Mutter zweier
Kinder, sondern auch "Schachmutter" und "Maskottchen"
der Schachfreunde vom SK König Plauen. Sie haben
die 1. Männermannschaft begleitet und betreut.
An Ihrem Schicksal nahm man dort regen Anteil. Eigens
für Sie hat man sogar ein Spendenkonto eingerichtet.
Der Aufstieg unserer Männermannschaft
war eine Sensation. Ich bin tatsächlich ein Jahr
mit herum gereist. Ich möchte keine Sekunde davon
missen. Man hat viel dabei gelernt. Es waren viele Persönlichkeiten,
die man miterleben konnte. Es stellte sich heraus, wie
unterschiedlich doch die Schachspieler sein können.
Einer trug z.B. immer einen roten Schal, der andere
hielt sich seine Ohren zu, ein anderer hatte immer einen
gelben Pulli an usw. Auch was die Berufe angeht. Manche
haben Mathe studiert - was dem Schach wohl sehr nahe
kommt- aber es gibt auch einfache Facharbeiter. Ich
habe in diesem Jahr 3 Bilder-Alben angefertigt in dem
jedes Spiel unserer Männer festgehalten wurde einschließlich
dem Schiedsrichtergespann und natürlich den Gegnern
mit Namen und Zeitpunkt. Es hat großen Spaß
gemacht, meine Männer zu betreuen. Es stellte sich
ja auch heraus, dass ich gebraucht wurde. Einer wollte
nach 2 h eine Tasse Kaffee, ein anderer nach 3 h einen
Tee, wieder ein anderer nahm 2 Schokoriegel der nächste
wollte einen Saft oder eine Banane. An diese Zeit denke
ich gern zurück. Der Mannschaftsleiter G. Sandner
hatte die Spendenaktion ausgerufen, da es mit der Krankenkasse
Probleme gab. Es sollte eine Untersuchung stattfinden,
die sehr viel Geld kostete. Der Antrag bzw. die Bewilligung
hätte viel Zeit in Anspruch genommen, die ich leider
nicht hatte. Dennoch habe ich leider einige Außenstände.
Ich hatte dass Glück, dass sich der Prof. der HNO
sehr für mich einsetzte und die Untersuchung wegen
erhöhter Dringlichkeit möglich machte. Mein
Lebensgefährte Marco Schaarschmidt ist auch Mitglied
beim SK König. Er ist dort Trainer der Mädchen.
Da lag es ja wohl nahe wohin ich gehe.
Sie spielen derzeit in der Damen-
Bundesliga bei den Rodewischer Schachmiezen, hatten
in der letzten Saison jedoch nur einen einzigen Einsatz.
Besteht die Aussicht, Sie demnächst wieder öfter
am Brett zu sehen?
Es stimmt. Die Zahl meiner Einsätze
war gering. Aber bei 20 Operationen ist es schon schwierig
häufiger zu spielen. Ich habe teilweise OPs so
legen lassen, dass ich spielen kann und dennoch verlief
die Genesung nicht gemäß meinen Vorstellungen.
Ich habe einen Freiplatz für die diesjährige
DM der Frauen. Vom 14.-24.07.05 in Bad Königshofen
erhalten. Das ist mein nächstes Ziel. Dabei zu
sein und durchzuhalten. Denn nach dem Schlaganfall habe
ich eine Kurzzeitgedächtnisstörung.
Welche waren Ihre bisher größten
Erfolge im Schach?
Wie in meinem Buch bereits erwähnt,
der Einzelsieg als Schülerin gegen Wolfgang Uhlmann.
1998 belegte ich nach 15 Jahren Schachpause und 6 Wochen
nach meiner Gehirnoperation den 10. Platz. bei den Frauen.
Voriges Jahr den 7. Platz nach OP Nr. 17.
Auf Ihrer Homepage gibt es Genesungswünsche
etlicher Großmeister. Man kennt Sie offenbar in
der Schachszene. Auch Sie kennen viele prominente Größen
persönlich. Welche dieser vielen Begegnungen war
besonders beeindruckend?
Immer wenn ich in Dresden war, kam es
zu einem Treffen mit Wolfgang Uhlmann. Er ist nach wie
vor mein Vorbild. Er kennt meine Geschichte und ist
stolz , das ich es soweit geschafft habe. Ebenso geprägt
wurde ich durch meinen damaligen Trainer, der auch mein
Schuldirektor war. Helmut Hartmann und seine Frau waren
wie meine zweiten Eltern für mich. Ich habe auch
heute noch sehr guten Kontakt zu ihnen. Meine Teilnahme
an der EM in Dresden 2004 war natürlich der Höhepunkt.
Ich habe ein Autogramm von GM Kasparow bekommen. Ich
kam von der Operation und es stellte sich heraus, dass
die Teilnehmerzahl ein Ungerade war und so konnte ich
noch kurzfristig mitspielen. Ich wurde die erste Runde
"genullt", habe aber trotzdem 5 aus 11 geholt.
Das Bild von der Autogrammstunde mit Kasparow, Dr. Dirk
Jordan und meiner Wenigkeit (ich hatte noch einen Verband
im Gesicht) hängt in unserer Wohnung.
Was haben Sie für die Zukunft
geplant? Wird es zu Ihrem Buch möglicherweise noch
eine Fortsetzung geben?
Ich kann leider nicht planen. Ich sehe
immer nur bis zum nächsten Tag, da die Schmerzen
immer schlimmer werden und ich deshalb mehr Medikamente
nehmen muss. Ich freue mich einfach über Kleinigkeiten
und möchte auch nicht bemitleidet werden. (Rollstuhlfahrer
auch nicht) Es soll jeder so genießen dürfen
wie er es kann und sollte dafür auch respektiert
werden. Ich habe im September 2001 in Hannover angefangen,
ein Tagebuch zu schreiben. Es ist nun ein zweites Buch
geplant, aber ich brauche jemanden, der es für
mich zu Ende schreibt. Vielleicht kennt ihr ja jemanden??
Die ganze Sache ist ja passiert als der Terroranschlag
in New York war. Mein Prof. bekam keinen Rückflug
und so hat sich der Krebs leider ausbreiten können,
da die OPs mehrfach verschoben werden mussten. Der Titel
steht schon. "Matt dem Krebs".
Schachlinks.com bedankt sich für
das Gespräch.
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