"Kasparov bricht mit allen Gesetzen des Schachspiels"
(Michael Stean)
Garry Kasparov, 13. Weltmeister der
Schachgeschichte (nach FIDE-Version von 1985 bis1993). Kasparov ist seit
dem 1.1.1984 bis heute (2001) fast ununterbrochen die Nummer 1 der
Weltrangliste und wird selbst von einigen seiner Konkurrenten als der
Spieler mit dem universellsten Schachverständnis aller Zeiten bezeichnet.
Kasparov hatte mit seinem dynamisch ausgerichteten Stil epochalen Einfluss
auf die Entwicklung des Turnierschachs am Ende des 20. Jahrhunderts.
Nach dem frühen Tod seines deutschstämmigen Vaters hatte
Kasparovs armenische Mutter Klara den Familiennamen Weinstein in die
russifizierte Form ihres Namens ändern lassen. Kasparov ging den für
sowjetische Nachwuchstalente typischen Weg durch die berühmte Botwinnik-Schule
und lebte bis 1990 in seiner aserbaidschanischen Geburtsstadt Baku. Hier
absolvierte er sein Anglistikstudium am pädagogischen Institut für
Fremdsprachen. Später wurde Kasparov ein
Anhänger von Michail Gorbatschow, für dessen Perestrojka-Politik er sich
ebenfalls einsetzte. Als es 1990 für ihn dort aufgrund politischer
Unruhen zu gefährlich wurde (zwischen moslemischen Aserbaidschanern und
christlichen Armeniern ereigneten sich blutige Auseinandersetzungen) flüchteten
er und seine Familienangehörigen von Baku nach Moskau und nahm dort die
russische Staatsbürgerschaft an. Von dieser Zeit an lehnte er
Gorbatschows Politik zunehmend ab.
Außergewöhnliches Talent gepaart mit Fleiß, unbändiger
Willenskraft und einem enormen Gedächtnis bilden die Grundlage für
Kasparovs Ausnahmestellung. Er selbst charakterisierte seinen Stil einmal
als "eine Kombination aus Aljechin, Tal und Fischer".
Ausgestattet mit einem breitgefächerten, tiefdurchdachten Eröffnungsrepertoire,
außergewöhnlicher Intuition sowie einer ebensolchen Kombinationsgabe
eilte der junge Kasparov von Sieg zu Sieg und qualifizierte sich 1984 als
Herausforderer für das WM-Finale
gegen Anatoly Karpov.
1975 und 1976 gewann er im Alter von 12 bzw. 13 Jahren die
UdSSR-Jugend-Meisterschaft. Im Jahre 1978 siegte er im Sokolsky-Memorial
in Minsk. Als eloloser Spieler gewann er 1979 sein erstes internationales
Turnier in Banja Luka, Jugoslawien mit 11½:3½. Seine erste Elo-Wertung
durch die FIDE war danach 2500. 1980 gewann er ein Turnier in Baku
ebenfalls mit 11½:3½ und erhielt den Großmeistertitel.
Nur fünf Monate später gewann er die Jugendweltmeisterschaft in
Dortmund. 1981 wurde er Zweiter hinter Anatoly Karpov in einem
internationalen Kategorie-15-Turnier in Moskau. Bei der 48.
UdSSR-Meisterschaft in Frunze vom 26. November bis 23. Dezember 1981
erreichte er einen geteilten ersten Platz mit Psakhis.
Garry Kasparov siegte unangefochten im internationalen
Kategorie-14-Superturnier in der bosnischen Provinzstadt Bugojno in
Jugoslawien, dass vom 6. bis 25. Mai 1982 stattfand. Im selben Jahr gewann
er das
Interzonenturnier in Moskau mit 10:3 vor Michail
Tal und Alexander Beliavsky und
qualifizierte sich damit als Kandidat für die Weltmeisterschaft.
1983 gewann er ein Turnier in Niksic, anschließend schlug er
Beliavsky und Kortschnoi in den Kandidatenmatches.
1984 siegte er gegen Smyslov im Kandidatenfinale
und wurde Herausforderer von Weltmeister Anatoly Karpov. Im selben Jahr
gab Kasparov zum ersten Mal eine Simultanvorstellung über Satellit gegen
Spieler aus London und New York.
Bei der WM in Moskau 1984
erteilte Karpov seinen jungen Herausforderer indes zunächst eine Lektion
und ging - die Remispartien nicht mitgezählt - sensationell deutlich mit
5:0 in Führung. Nur ein Sieg fehlte noch, um Kasparov zu deklassieren.
Doch Kasparov hielt, in dieser wohl kritischsten Phase seiner Karriere,
mit einer beispiellosen psychischen wie physischen Energieleistung stand.
Kasparov verlor keine weitere Partie und gewann selbst dreimal. Nach 48
(!) Partien und fünfmonatiger (!) Spielzeit wurde der Wettkampf
abgebrochen. Bei der Neuauflage 1985 in
Moskau gewann Kasparov schließlich mit 13:11 und war mit 22 Jahren und
210 Tagen der jüngste Schachweltmeister aller Zeiten. In drei weiteren
Wettkämpfen gegen Karpov 1986 in London und Leningrad
sowie 1990 in Lyon und New York
verteidigte er seinen Titel jeweils knapp, zweimal mit 12½:11½ und
einmal 12:12 im Jahre 1987 in Sevilla.
Im April 1987 teilten sich Kasparov und Ljubojevic den
Turniersieg im Brüsseler Swift-Turnier. 1988 gewann er in Amsterdam,
Belfort und Reykjavik. Im August teilte er sich den ersten Platz mit
Karpov bei der UdSSR-Meisterschaft.
1989 siegte Kasparov in Barcelona, Skelleftea (geteilt mit Karpov),
Tilburg und Belgrad. Im Grand Masters Association World Cup 1988/89 holte
er sich den nächsten Turniersieg. Seine FIDE-Wertung stieg 1989 auf 2810
Elo und er übertraf damit Bobby Fischers Elo-Rekord, die bis dahin höchste
jemals erreichte Wertung. In einem Match über zwei Partien schlug er den
IBM-Rechner Deep Thought (720.000 Positionen pro Sekunde) in New York.
Im Februar 1990 wurde er Turniersieger in Linares, Spanien. Ein
Jahr später gewann er ein Kategorie-17-Turnier in Tilburg, Niederlande.
1992 folgte ein Turniersieg in Paris. Im März 1993 gewann er abermals in
Linares. Dies war ein Kategorie-18-Turnier mit den 11 Topspielern der
Weltrangliste bei 14 Teilnehmern.
Im März 1993 weigerte sich Kasparov seinen Weltmeistertitel unter
der Regie der FIDE zu verteidigen und gründete die Professional Chess
Association (PCA). Daraufhin entzog die FIDE Kasparov den Weltmeistertitel
und organisierte einen Titelkampf, der vom
September bis Oktober 1993 zwischen Anatoly Karpov und Jan Timman
ausgetragen wurde. Karpov gewann das Match.
Zeitgleich begann das PCA-Weltmeisterschaftsmatch
in London gegen Nigel Short. Kasparov gewann das Match 12½:7½.
Zum ersten Mal in der Schachgeschichte hatte die Schachwelt zwei
Weltmeister, Kasparov bei der PCA und Karpov bei der FIDE. Mittlerweile
hat sich die PCA de facto aufgelöst. Wenngleich Kasparov (derzeit) nicht
den offiziellen WM-Titel innehat und obwohl ihn zuweilen selbst Vertraute
für schwierig im persönlichen Umgang halten, wird er von vielen Großmeisterkollegen
als der ungeschlagene, der "wahre" Weltmeister angesehen
1994 verlor Kasparov in München ein Blitzmatch gegen das
Schachprogramm Fritz 3.
1995 gewann Kasparov Turniere in Riga und Nowgorod. Im September
verteidigte er seinen PCA-Weltmeistertitel
gegen den Inder Viswanathan Anand in New York. Er gewann das Match
mit 10½:7½. Im November gewann er den Paris Intel Grand Prix. Später
schlug er in London das Schachprogramm Fritz 4 mit 1½:½. Im Dezember
spielte Kasparov über Internet gegen 10 Spieler und gewann mit 8½:1½.
1996 spielte Kasparov für Russland auf der 32. Schacholympiade in
Eriwan am ersten Brett und holte mit seiner Mannschaft die Goldmedaille.
1996 spielte Kasparov sein erstes Match gegen den IBM - Rechner
Deep Blue in Philadelphia, USA. Den auf sechs Partien angesetzten
Wettkampf konnte er mit 4:2 für sich entscheiden.
Zum Re-Match gegen Deep Blue kam es im Mai 1997. Der Rechner konnte
mit seinen 32 speziell konstruierten Prozessoren 200 Mio. Varianten
pro Sekunde (!!!) durchspielen. Kasparov unterlag in der letzten Partie
bei einem Endstand von 3½:2½ Punkten.
Beim Euro Tel Trophy Chess - Match 1998 in Prag spielten Kasparov
und der Niederländer Jan Timman einen Wettkampf über sechs Partien.
Kasparov konnte mit 4:2 das Match für sich entscheiden.
Im Kategorie-17-Turnier 1999 in Wijk aan Zee siegte Kasparov mit 10
Punkten vor 2. Anand (9½) und 3. Kramnik (8) vor weiteren 11
Teilnehmern.
In Linares 1999 teilten sich Kasparov und Kramnik
mit jeweils sechs Punkten den Turniersieg. Den 3. bis 6. Platz belegten Leko,
FIDE-Weltmeister Khalifman, Anand und Shirov mit je 4½
Punkten.
2000 untermauerte Garry Kasparov mit einem überlegenen Sieg im niederländischen
Wijk aan Zee seine Überlegenheit im Weltschach. Er gewann das
Kategorie-18-Turnier Ende Januar mit 9½ Punkten vor Kramnik, Peter Leko
und Viswanathan Anand, die jeweils 8 Punkte erreichten.
In Sarajevo 2000 gewann Kasparov abermals ein Turnier. In einem
spannenden Kopf an Kopf Rennen um den Turniersieg zwischen Kasparov,
Shirov und Adams konnte sich schließlich der Weltmeister mit 8½
Punkten vor Shirov und Adams jeweils 8 Punkte knapp durchsetzen.
Bei der inoffiziellen Schnellschachweltmeisterschaft (2 mal 30
Minuten pro Partie), den Frankfurt Chess Classics in Bad Soden 2000
versammelten sich zum ersten Mal in der Schachgeschichte die Top 10 der
Welt. Bei diesem Superturnier musste sich der sonst sieggewohnte
Weltmeister mit dem zweiten Platz begnügen. Sieger wurde mit 7½ Punkten
Viswanathan Anand vor 2. Kasparov (6), 3. Kramnik (5), 4. Shirov (4½), 5.
Leko (3½), 6. Morozevich (3½).
Nach fünf Jahren ohne Titelverteidigung entschied sich Kasparov
1998, dass der Sieger aus dem Wettkampf Weltranglistenzweiter (Kramnik)
und Sieger Linares (Shirov) sein Herausforderer sein soll. Shirov gewann
in Cazorla (Spanien) gegen Kramnik.
Doch der geplante WM-Kampf platzte, da Sponsorenzusagen nicht eingehalten
wurden. Kasparov erklärte, dass sich für ein Wettkampf gegen Shirov kein
Sponsor findet und verständigte sich mit Anand über einen WM-Kampf im
Jahr 1999.
1999 viel der geplante WM-Kampf mit Anand ins Wasser, da kein
Sponsor gefunden wurde.
Im Jahr 2000 fanden sich in England Sponsoren, die in London einen
WM-Kampf mit Kasparov finanzieren möchten. Anand lehnte eine Teilnahme
als Herausforderer ab. Als nächster wird Kramnik gefragt, der seine
Zusage gibt.
Nach fünf Jahren ohne Titelverteidigung stellte sich Garry
Kasparov nun wieder in einem Wettkampf. Es
ist der Wettkampf zwischen den beiden derzeit besten Schachspielern des
Planeten. Auf Turnieren endete der Vergleich bisher unentschieden.
Vladimir Kramnik ist einer der wenigen Spieler, der gegen Kasparov ein
ausgeglichenes Ergebnis hat.
Das Ergebnis der Braingames.net-Weltmeisterschaft,
die vom 8. Oktober bis 4. November in den Londoner Riverside Studios
stattfand, war eine Überraschung. Nicht der wettkampfgestählte
Weltranglistenerste Garry Kasparov gewann, sondern sein Herausforderer und
früherer Schüler Vladimir Kramnik. Kasparov spielte teilweise verhalten,
gab Weißpartien frühzeitig Remis und schien nicht derselbe zu sein.
Manche vermuteten Probleme im persönlichen Bereich. Aber vielleicht war
der kaum zu besiegende Kramnik einfach zu stark.
In
der vorletzten Partie schaffte Kramnik das nötige Remis zum 8½:6½. Mit
dem Vorsprung von zwei Punkten ist die 16. und letzte Partie bedeutungslos
geworden. Titelverteidiger Kasparov musste sich geschlagen geben, ohne
auch nur eine Partie gewonnen zu haben.
Der
große Moment war gekommen, als Kasparov nach über vier Stunden und 38 Zügen
plötzlich den Kopf schüttelte und dann seine Hand ausstreckte, um ein
Remis und damit seinen Weltmeistertitel anzubieten. Kramnik, der den
Beinamen "Der Eisschrank" führt und bis dahin keine Miene
verzogen hatte, zeigte zum ersten Mal eine Regung und boxte mit den Fäusten
in die Luft. Kasparov gab sich anschließend zugeknöpft. Es sei eine
lange Geschichte, orakelte er. Er werde mehr dazu sagen, wenn das Turnier
vorbei sei, aber es gebe Gründe, die ihn davon abgehalten haben, gut zu
spielen.
Der
Mann, der als "schlechtester Verlierer der Welt" galt, der schon
vor Wut kochte, wenn er alle Jubeljahre mal ein Remis einstecken musste,
der für seine Gegner sonst nur Verachtung übrig hatte und sie meist
keines Blickes würdigte. Als er Kramnik nun gelassen die Hand reichte,
wussten seine Fans endgültig, dass etwas nicht stimmte. "Kasparov
fiel nicht in der Schlacht", schrieb der britische "Daily
Telegraph". "Er kapitulierte, er ergab sich, er dankte
ab."
Kramnik
ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von Kasparov. Er gilt als höflich,
beherrscht und bescheiden. Der orthodoxe russische Christ, der immer ein
Silberkreuz trägt, ist darüber hinaus auch der erste religiöse
Weltmeister seit über 40 Jahren. Seine Schachkarriere interpretiert
Kramnik philosophisch als eine "Suche nach Perfektion". Kramnik
kassierte mit 1,33 Millionen Dollar zwei Drittel der Börse. Dem Wunsch
Kasparovs auf eine
Revanche will er nachkommen.