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Gestrauchelt und verschaukelt
oder ein Rendezvous mit dem Gesetz der Serie
"Schwebe wie ein Schmetterling,
steche wie eine Biene." (Muhammed Ali)
"Und wieder ist ein halber Punkt
verschenkt." (Kurt Richter, Internationaler
Meister)
Er habe noch die Ehre gehabt, mit den
Drei Großen Ws in einer Mannschaft zu spielen,
schwärmte Andreas Götz während seines
Gedankenausflugs in vergangene Zeiten, so dass er beim
Bier in der Eiche, in der winterlichen Höhenlage
Markneukirchens, ganz stolz strahlte, an jenem Vorabend
des vorletzten Punktspieltages in der 1. Landesklasse,
er aber genau deshalb heute nicht zu viel vom Bier trinken
dürfe, denn jedes geleerte Glas würde in seinem
Alter am nächsten Tag fünfzig Wertzahlpunkte
kosten. "Bringen Sie mir bitte das nächste
Mal eine Tulpe, aus so einem Humpen hier trinke ich
nicht so gern." Früher, ja da wurde grundsätzlich
vorher aufgegossen, als er noch das Jugendbrett
besetzte, zusammen mit den Drei Großen Ws
in einer Mannschaft: Winkler, Wilfert und Weber.
Wolfgang Weber war ja vor allem als Problemschachkomponist
berühmt geworden. Selbstmatts waren seine absolute
Spezialität, das Selbstmatt mit einzügigem
Satzspiel, das ja ein ganz besonderes unter den
Selbstmatts sei, so Andreas Götz, ein Selbstmatt,
das auch als Selbstmatt vom Weber-Typ bezeichnet
wird. Dass es einen großen Unterschied zwischen
Selbstmatt und Hilfsmatt gibt, kann man ja aber nur
wissen, wenn man sich für Problemschach interessiert
- und er habe sich ja sehr dafür interessiert,
gerade als Jugendlicher. Auch im Nahschach sei er unerbittlich
gewesen, der Wolfgang Weber. Schon die Konzentrationsphase
vor dem nächsten Zug war für den Gegner wie
ein Erlebnis am Marterpfahl: "Die Webse
saß immer da und hat mit den Fingern auf seiner
Glatze getrommelt", so Andreas Götz in seiner
weiteren retrospektiven Betrachtung. Der Trommelwirbel
verstummte erst in dem Moment, wenn der nächste
Partiezug ausgeführt wurde, die Schachfigur zum
nächsten Stich über das Brett schwebte. Die
Wunde danach blieb für immer.
Beinahe stärker als Stamm
empfingen die Plauener Könige die Gäste aus
Delitzsch im Hotel Alexandra. Zwar pausierten
Olaf Hilbig und Christian Hörr, dafür standen
aber der aus Norwegen zurückgekehrte Matthias Hörr
und Ersatzspieler Tobias Franz zur Verfügung.
Die Nebenvariante des Zweispringerspiels
im Nachzug mit b5 ist bei den Delitzschern sehr beliebt.
Michael Preussner pflegt sie schon seit vielen Jahren
in seinem Repertoire, und auch Dr. Michael Kirchhof
griff dieses Mal nach dieser scharfen Spezialität,
die allerdings von beiden Seiten verlangt, theoretisch
bestens präpariert zu sein, um mehr als nur den
Eröffnungsbeginn ohne Blessuren zu überstehen.
Nach der stärksten und zugleich einzig plausiblen
Erwiderung von Weiß im sechsten Zug geriet Schwarz
einen Zug später schon auf die schiefe Bahn. Bis
zum 15. Zug, am Ende eines forcierten Überfalls,
hatte Christof Beyer bereits einen Turm und zwei Bauern
mehr, der Grundstein für die Führung zum 1:0
nach einer weiteren Stunde Spielzeit. Sehr solide legte
Sergej Lozovoy daraufhin nach. Bei ihm reichten zwei
Mehrbauern im Turmendspiel zum nächsten Sieg für
die Plauener.
Nach diesem rosigen Auftakt kam der Vorwärtsdrang
der Plauener Könige jedoch zunehmend ins Stocken.
Als Lion Pfeufer seinen König über Umwege
auf der langen Rochadeseite in Sicherheit gebracht hatte,
wurde der Druck für ihn auf der einzigen offenen
Linie zunehmend größer. Mit einem verzweifelten
Leichtfigurenopfer kurz vor dem Partieende konnte er
Andreas Friedrich nicht mehr beeindrucken. Nur wenig
später nach der Zeitkontrolle stellte er seinen
gestarteten Angriffsversuch ein. Die einzige offene
Linie hatte sich wieder geschlossen, mit einem Freibauern
kurz vor dem Umwandlungsfeld. Sehr problematisch sah
es auch an den hinteren Brettern aus: Der Hundertprozentige
Andreas Götz kämpfte mit zwei Bauern weniger
im Schwerfigurenendspiel. Kurz zuvor hatte es noch den
Anschein, als würde er bald wieder Motive aufs
Brett zaubern, mit denen er schon Alexander Klassen,
Dr. Thomas Prause und zuletzt Andreé Rosenkranz
aller Illusionen beraubte. Etienne Engelhardt stand
im Endspiel mit Turm und Leichtfigur ebenfalls mit zwei
Bauern in der Kreide, und Matthias Hörr fehlten
sogar drei Bauern.
Aber dann trugen sich in der Folge Dinge
in Serie zu, die am Rande des Absurden lagen. Im Turm-Leichtfiguren-Endspiel
gewann Etienne Engelhardt plötzlich eine Figur,
vorausgegangen war ein Qualitätsopfer im Zentrum.
Als Gegner Heiko Dietrich den Turm nur mit dem König
wiedernehmen konnte, standen König und Turm im
diagonalen Ernährungsraster des weißfeldrigen
Läufers. Der Turm ging also im nächsten Zug
verloren, so dass Etienne Engelhardt nun einen Läufer
und zwei vereinzelte Bauern auf dem Königsflügel
gegen die vier verbundenen Bauern seines Gegenübers
hatte. Der Delitzscher, dem nach dieser taktischen Überraschung
die Farbe ins Gesicht schoss, erkannte nicht mehr, dass
das, was auf dem Brett übrig blieb, immer noch
unverändert eine Gewinnstellung für
ihn war. Parallelisiert lenkte er ins Remis ein. Nachdem
Matthias Hörr im Mittelspiel beinahe ganz
simpel eine Figur verloren hätte, entstand etwas
später nach fragwürdigem Turmabtausch ein
Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern, das
sich ebenfalls im Unentschieden auflöste, weil
der Hörr'sche Läufer alle drei Mehrbauern
auf einer Diagonalen kontrollierte. Dass er vielleicht
die Türme doch nicht hätte tauschen sollen,
fiel Sören Laube noch nach der unabsichtlichen
dreimaligen Stellungswiederholung ein. Fast alles hatte
sich in dieser Partie zufällig abgespielt.
In einem Endspiel mit jeweils einem Turm und aber gleichfarbigen
Läufern befand sich dagegen Mathias Paul. Kompromisslos
spielte er auf Sieg, wollte er doch wenigstens eine
Partie in dieser Spielserie gewinnen. Über einen
kleinen Vorteil verfügte er von Beginn an, einen
Bauern mehr hatte er auch, nur über die genaue
Gewinnverwertung war er sich noch im Unklaren. Michael
Preussner glaubte, im 45. Zug eine Remisschaukel gefunden
zu haben, der aber Mathias Paul auswich, indem er seinerseits
eine kleine Ungenauigkeit sofort korrigieren konnte.
Als sich Michael Preussner ahnungslos an einem ungeschützten
Bauern vergriff, staunte Mathias Paul nicht schlecht.
Der Blickkontakt verriet ihm, dass sein Gegner noch
nichts von dem eben angerichteten Schaden mitbekommen
hatte. "Das ist jetzt aber Matt." "Oh!"
Und tatsächlich bereitete ein einzügiges Matt
dem Grübeln über den Gewinnweg ein abruptes
Ende. Und so scheint auch fürs Endspiel die Regel
zu gelten, dass man den Bauern auf b2 nicht mal wegnehmen
darf, wenn es gut ist. Dem König von Andreas Götz
wurden in der Brettecke zu diesem Zeitpunkt gerade alle
Felder genommen, zusätzlich von einem Keilbauern
festgenagelt. Nach dem zwangsläufigen Damentausch
schlitterte er in ein hoffnungsloses Turmendspiel mit
zwei Bauern weniger. Der Turm war die einzige Figur
von ihm, die noch bewegungsfähig war, die sich
also nun permanent zum Opfer anbot, dieses Mal also
nicht Mattmotive seine Siege krönen sollten,
sondern ein Pattmotiv ihm den unerwarteten halben
Punkt sicherte. In diesem Fall war sogar das Unentschieden
ästhetischer als der Sieg. Und obwohl der Leistungsunterschied
zwischen Andreas Götz und Dr. Jürgen Friedrich
vier Bier betrug (nach Legaldefinition in der
Eiche von Markneukirchen), wurde es am Ende doch
eine hauchdünne Angelegenheit.
Nach den drei verschenkten halben Punkten
der Delitzscher stand es plötzlich 4½:2½.
Da konnte sich Tobias Franz in bequemer Stellung dieses
Mal gegen Christin Reinsdorf ganz beruhigt ein Remis
genehmigen. Der achte Mannschaftssieg in Folge war ein
durchaus glücklicher. Oder wie es Peter Luban beobachtete:
"Oh, hier waren die Eukalypten am Werk." Wenn
es eben einmal läuft oder eben ganz und
gar nicht, wie beim ESV Delitzsch, der auf dem vorletzten
Tabellenplatz nur noch bangen und hoffen kann.
Verschaukelt.
44. Te6 - Ld7 45. Te2 - Lb5 46. Te7 - Tb8
47. Ke3 - Tb6 48. Kf4 - Lc4 49. Lxa4 - Txb2?? 50. Td7#
10
Es kam in dieser Saison nicht häufig
vor, dass Ersatzspieler aushelfen mussten. Mit jeweils
einem halben Punkt haben sie ausnahmslos ihre Aufgabe
erfüllt. Das kleine Erfolgsgeheimnis für den
Wiederaufstieg in die Sachsenliga liegt nämlich
vor allem in der stabilen Stammaufstellung begründet.
Mit 7½ aus 8 ist das Ergebnis von Andreas Götz
immer noch überragend, gefolgt von Christof Beyer
mit 5½ aus 6 und Etienne Engelhardt mit 5 aus
7. Sechs Mannschaftspunkte Vorsprung vor der letzten
Runde Ende März. Die Webse hätte vor
Freude getrommelt. Am 18. März wäre sie
übrigens 100 Jahre alt geworden. Darauf noch ein
Kleines.
SK König Plauen II
|
|
ESV Delitzsch
|
5
|
:
|
3
|
Pfeufer,
Lion |
2035
|
|
Friedrich,
Andreas |
1996
|
0
|
:
|
1
|
Paul,
Mathias |
2139
|
|
Preussner,
Michael |
2054
|
1
|
:
|
0
|
Lozovoy,
Sergej |
2007
|
|
Sachse,
Dirk |
1996
|
1
|
:
|
0
|
Beyer,
Christof |
2049
|
|
Dr.
Kirchhof, Michael |
1922
|
1
|
:
|
0
|
Götz,
Andreas |
2066
|
|
Dr.
Friedrich, Jürgen |
1874
|
½
|
:
|
½
|
Engelhardt,
Etienne |
1860
|
|
Dietrich,
Heiko |
1821
|
½
|
:
|
½
|
Hörr,
Matthias |
2055
|
|
Laube,
Sören |
1728
|
½
|
:
|
½
|
Franz,
Tobias |
1706
|
|
Reinsdorf,
Christin |
1615
|
½
|
:
|
½
|
|
|