|
Ein Kynstler am Nullpunkt des Sinns
Der Plauener Jörg Seidel sagt
"Guten Tach!" und schreibt über Helge Schneider und
die Philosophie – Auftritt des Kynikers in Chemnitz
Plauen/Chemnitz. Diogenes –
das war der Typ in der Tonne – rannte eines hellerlichten
Tages über den gut besuchten Marktplatz von Athen,
schwenkte eine hell erleuchtete Laterne vor seinem Kopf
und verkündete: "Ich suche einen Menschen!"
Auf sowas muss einer erstmal kommen. Helge Schneider
hat zwar nicht solche Dinger drauf, aber er wandelt
sicher in der Tradition kynischen Denkens. Ein künstlerischer
Querschläger, der Tabus frühstückt und
sich für seine Launen bezahlen lässt.
Schneider, der nächste Woche
Dienstag in der ausverkauften Chemnitzer Stadthalle
zu Gast sein wird, spielt recht passabel Klavier und
ist mitunter witzig. Doch streng genommen sind die gesammelten
Werke des Herrn Schneider extrem nutzlos und überflüssig,
man denke an "Das scharlachrote Kampfhuhn"
oder "Fitzefitze fatze". Jörg Seidel
aus Plauen meint: "Sie sind so enorm überflüssig,
dass sie in diesem Extrem des Überflusses wieder
absolut notwendig sind." Weil sie "de facto
einen Nullpunkt des Sinns markieren".
Seidel ist einer, der ziemlich viel
rumkommt, auch im Kopf. Auf dem Buchrücken von
"Ondologie Fanomenologie Kynethik" bezeichnet
er sich als "begeisterter und geistiger Vagabund,
der die philosophische Reisefreiheit genießt."
War dieses Werk des in Oxford lebenden Philosphie-Experten
noch in geheimnisvolle fachliche Tiefen getaucht, hat
der 37-Jährige nun seine wesentlichen Ein-, An-
und Draufsichten zur Gesamterscheinung Helge Schneider
auf ein allgemein verständliches Buch zusammengedampft.
Das ist schön, denn längst
überfällig, dass sich überhaupt mal jemand
ernsthaft mit den absurden Eruptionen aus dem Ruhrgebiet
beschäftigt. Aber das ist auch schwierig, denn
möglicherweise nimmt sich nicht mal Helge selbst
ernst. Von daher gerät auch jeder zwangsläufig
ins Trudeln, der Schneider bewerten, einordnen, durchschauen,
rezensieren, kritisieren will. Seidel nun geht diesem
Dilemma geschickt aus dem Weg. Er versucht es gar nicht
erst.
Tatsächlich wirft er Schlaglichter
auf philosophische Querverbindungen, zu Nietzsche und
Deleuze etwa, lässt Hegel erwidern und suhlt sich
genüsslich mit den "Hunden von Athen",
den fabelhaften Kynikern. Man kann es so sehen und auch
so. Nichts muss, alles kann. Schneider kapieren zu wollen
hieße, mit Sisyphos Steine zu wälzen. Deshalb
ist er immer wieder so erfrischend anders, unerwartet,
authentisch.
Natürlich will Seidel auch
provozieren. Da sucht einer Streit und zwinkert mit
den Augen. Immerhin geht es um ein Werk von "globalem
Schwierigkeitsgrad", wie Helge eines der seinigen
bezeichnet, aber nur sein gesamtes meinen kann, sich
selbst eingeschlossen. Von daher ist der Seidelsche
Ansatz sehr breitenwirksam. Fans finden dringend benötigte
Argumente, Zweifler neue Perspektiven, und für
Helge-Feinde bleibt die Erkenntnis, dass sie es mit
einem ominös-nebulösen Gebilde zu tun haben,
dem nur schwer beizukommen ist.
Jörg Seidel erfindet ein Wort
für Helge, er nennt ihn einen "Kynstler"
und stellt ihm Kafka zur Seite. Nachdenken über
Helge Schneider, über das "Genie der Mittelmäßigkeit,
des Dilettantismus, der Genielosigkeit, das Original
des Unoriginellen", so lautet die warme Empfehlung.
Schneider, der plappert einfach drauflos, der ist wie
ein geil wucherndes Rhizom, bei dem es nichts zu verstehen
gibt, aber viel, dessen man sich bedienen kann, mit
dem sich experimentieren lässt, wie Deleuze und
Guattari bereits vorschlugen. Und das klingt ganz gut,
das bringt es irgendwie auf den Punkt. Soweit das eben
geht.
Markus Schneider
Jörg Seidel
Guten Tach!
Helge Schneider und die Philosophie
(Focus Verlag, Giessen 2002)
ISBN 3-88349-494-1
160 Seiten, 15,00 EUR
Das Buch ist bei uns zum Vorzugspreis
von EUR 10,00 inkl. Verpackung und Versand erhältlich.
Wenn Sie Interesse haben, wenden Sie sich bitte an Webmaster
Christian
Hörr oder an Jörg
Seidel selbst.
|
|