"Marisa – Eine Traumgeschichte in Schwarz und Weiß?"
– Jörg Seidel bringt Lesern Schachspiel nahe.
Böse Zungen geißeln das
Schachspiel als die größte Verschwendung
menschlicher Intelligenz. Der Plauener Jörg Seidel,
studierter Geschichtswissenschaftler und Psychologe,
setzt dieser verqueren Ansicht eine Menge literarische
Kompetenz entgegen, jüngst erst eine "Traumgeschichte
in Schwarz und Weiß" unter dem Titel "Marisa".
Keine Frage, dass der heute in der
Nähe von Oxford in England lebende Autor bekennender
Schachspieler ist. Als solcher lebt er heimatverbunden
sozusagen als korrespondierendes Mitglied des Schachklubs
König Plauen.
Von wegen es existiert nur das,
was mit den fünf Sinnen wahrnehmbar ist. Geheimnisvolle
Gestalten begegnen im Büchlein dem Mädchen
Marisa. Seltsame Ereignisse, Freude und Angst, erlebt
das Kind im Traum. Wenn das traumhafte Spiel vorbei
ist, warten viele Fragen auf Antwort in einer Welt,
die das Mädchen Marisa jetzt mit anderen Augen
erblickt. Und das alles – wie könnte es bei
einem "Schachbuch" anders sein – auf
64 Seiten, weil 64 Felder ein Schachbrett ausmachen.
Durchgelesen ist Seidels Geschichte
beinahe so blitzschnell wie eine Blitzpartie gespielt
ist. Zum geistigen Verarbeiten freilich wird der Leser
in die Hängepartie geschickt. Nach Ablauf der Bedenkzeit,
sprich zum Ende der Lektüre, muss er sich entscheiden:
Ist das von Uwe Jäkel schwarz-weiß illustrierte
Buch über den grünen Klee zu loben oder ist
es dem Reißwolf zum Fraß vorzuwerfen? Um
eine zumindest tendenzielle Entscheidung vermag sich
kein Leser herumzumogeln.
Wer sich gefangennehmen und ins
Traumreich verführen lässt, der muss die dem
großen Schachspiel innewohnende grenzenlose geistige
Freiheit für sich gebrauchen lernen oder sie rundweg
ablehnen – schwarz oder weiß eben. Zwischentöne
helfen nicht weiter.
Der Rezensent schlägt sich
ins Lager derer, die die Traumfabrik Marisa mögen.
Als er im Alter des Schulmädchens war, und erstmals
den eigenen Onkel schachmatt setzte, kommentierte dieser
die sich abzeichnende Niederlage gar seltsam so: "In
meiner Stellung hätte Großmeister Bogoljubow
aufgegeben." Der Onkel verkniff sich also das "Gratuliere,
du hast gewonnen." Auch der Handschlag blieb aus.
Auch solche Erinnerungen an längst verschüttet
geglaubte Verhaltensmuster weckt die "Marisa"-Lektüre.
Dabei hilft Schach als Methode zum
Erkenntnisgewinn, dabei hilft sogar auf ganz unaufdringliche
Weise das Schach-Küken Marisa. Erkenntnisgewinn
via Lesevergnügen. Das Kind erlebt Schach als Symbol
für Lebenskampf. Drohen und bedroht werden, Angriff
und Verteidigung, eigene Pläne schmieden und die
des Gegners vereiteln – und all das mit ritterlichem
Anstand in einer Atmosphäre elektrisch geladenen
Schweigens. Aber keine Bange, lieber Leser. Schach ist
und bleibt das ungefährlichste Denken, das es auf
dieser Welt gibt. Trotzdem bleibt Schach ein realistisches
Spiel. Niemand agiert stärker als die Dame, obwohl
sich alles um den Herrn, den König dreht.
Jörg Seidel /
Uwe Jäkel
Marisa – Eine Traumgeschichte in Schwarz und Weiß
(Vogtland Verlag, Plauen 2004)
ISBN 3-928828-29-0
64 Seiten, 6,90 Euro
Das Buch ist über diese Webseite
versandkostenfrei erhältlich. Wenn Sie Interesse
haben, wenden Sie sich bitte an Webmaster Christian
Hörr oder an Jörg
Seidel selbst.
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