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REZENSION
17. November 2004


"Marisa – Eine Traumgeschichte in Schwarz und Weiß?"
– Jörg Seidel bringt Lesern Schachspiel nahe.

Böse Zungen geißeln das Schachspiel als die größte Verschwendung menschlicher Intelligenz. Der Plauener Jörg Seidel, studierter Geschichtswissenschaftler und Psychologe, setzt dieser verqueren Ansicht eine Menge literarische Kompetenz entgegen, jüngst erst eine "Traumgeschichte in Schwarz und Weiß" unter dem Titel "Marisa".

Keine Frage, dass der heute in der Nähe von Oxford in England lebende Autor bekennender Schachspieler ist. Als solcher lebt er heimatverbunden sozusagen als korrespondierendes Mitglied des Schachklubs König Plauen.

Von wegen es existiert nur das, was mit den fünf Sinnen wahrnehmbar ist. Geheimnisvolle Gestalten begegnen im Büchlein dem Mädchen Marisa. Seltsame Ereignisse, Freude und Angst, erlebt das Kind im Traum. Wenn das traumhafte Spiel vorbei ist, warten viele Fragen auf Antwort in einer Welt, die das Mädchen Marisa jetzt mit anderen Augen erblickt. Und das alles – wie könnte es bei einem "Schachbuch" anders sein – auf 64 Seiten, weil 64 Felder ein Schachbrett ausmachen.

Durchgelesen ist Seidels Geschichte beinahe so blitzschnell wie eine Blitzpartie gespielt ist. Zum geistigen Verarbeiten freilich wird der Leser in die Hängepartie geschickt. Nach Ablauf der Bedenkzeit, sprich zum Ende der Lektüre, muss er sich entscheiden: Ist das von Uwe Jäkel schwarz-weiß illustrierte Buch über den grünen Klee zu loben oder ist es dem Reißwolf zum Fraß vorzuwerfen? Um eine zumindest tendenzielle Entscheidung vermag sich kein Leser herumzumogeln.

Wer sich gefangennehmen und ins Traumreich verführen lässt, der muss die dem großen Schachspiel innewohnende grenzenlose geistige Freiheit für sich gebrauchen lernen oder sie rundweg ablehnen – schwarz oder weiß eben. Zwischentöne helfen nicht weiter.

Der Rezensent schlägt sich ins Lager derer, die die Traumfabrik Marisa mögen. Als er im Alter des Schulmädchens war, und erstmals den eigenen Onkel schachmatt setzte, kommentierte dieser die sich abzeichnende Niederlage gar seltsam so: "In meiner Stellung hätte Großmeister Bogoljubow aufgegeben." Der Onkel verkniff sich also das "Gratuliere, du hast gewonnen." Auch der Handschlag blieb aus. Auch solche Erinnerungen an längst verschüttet geglaubte Verhaltensmuster weckt die "Marisa"-Lektüre.

Dabei hilft Schach als Methode zum Erkenntnisgewinn, dabei hilft sogar auf ganz unaufdringliche Weise das Schach-Küken Marisa. Erkenntnisgewinn via Lesevergnügen. Das Kind erlebt Schach als Symbol für Lebenskampf. Drohen und bedroht werden, Angriff und Verteidigung, eigene Pläne schmieden und die des Gegners vereiteln – und all das mit ritterlichem Anstand in einer Atmosphäre elektrisch geladenen Schweigens. Aber keine Bange, lieber Leser. Schach ist und bleibt das ungefährlichste Denken, das es auf dieser Welt gibt. Trotzdem bleibt Schach ein realistisches Spiel. Niemand agiert stärker als die Dame, obwohl sich alles um den Herrn, den König dreht.


Jörg Seidel / Uwe Jäkel
Marisa – Eine Traumgeschichte in Schwarz und Weiß
(Vogtland Verlag, Plauen 2004)
ISBN 3-928828-29-0
64 Seiten, 6,90 Euro

Das Buch ist über diese Webseite versandkostenfrei erhältlich. Wenn Sie Interesse haben, wenden Sie sich bitte an Webmaster Christian Hörr oder an Jörg Seidel selbst.

 

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