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Metachess
"Metachess" – eine
eigenwillige Namensgebung für ein Buch, für
ein Buch in Sachen Schach. Der Autor Jörg Seidel
hat die aus dem Altgriechischen stammende Wortsilbe
"meta", was soviel wie "danach, hinter,
jenseits" heißt, mit dem englischen Wort
"chess" für Schach kombiniert. "Metachess"
erweitert die Metaphysik auf das Schach, auf die klassischen
Fragen zum Schachspiel. "Was ist Schach?"
dürfte die Grundfrage sein.
Metachess ist kein Lesebuch, es
ist eine Einladung zur tiefen und auch anstrengenden
Auseinandersetzung mit Dingen, die mit Schach in Verbindung
stehen, und Dingen, für die Schach steht. Dabei
aber ist Metachess doch auch wieder ein Lesebuch, denn
manche Beiträge werfen nur ein Licht auf sonst
vielleicht dem Vergessen geweihte Episoden.
Damit sind wir beim Aufbau des Werkes.
Es enthält 32 in sich geschlossene "Essays,
Artikel und Besprechungen", um den Rückentext
zu zitieren. Diese sind so vielfältig und verschiedenartig,
wie schon die Einzeltitel versprechen. Eine kleine Auswahl:
- Warum der Computer den Menschen
nicht besiegen kann
- Schachphilosophie
- Gedanken zur Ferne im Fernschach
- Körperwelten. Innenansichten des Schachspielers.
- Bond, James Bond. Der Spieler.
- Geschichte des Deutschen Arbeiterschach
- Theaterstadl - O diese Schachspieler.
Die letztgenannte Besprechung eines
nicht bedeutenden Theaterstückes müsste man
vielleicht nicht in dieser Aufstellung hervorheben,
enthielte sie nicht eine Partiestellung, die nun gerade
den Rezensenten fasziniert. "Weiß im Schachmatt
stehend zieht dennoch und setzt in 2 Zügen matt".
Geht nicht, mag man meinen. Geht! Auf die Regelinterpretation
kommt es an. Metachess wirft auch einen Blick hinter
die Kulissen.
"Schwere Kost" findet
der Leser in "Warum der Computer den Menschen nicht
besiegen kann". Ihr besonderer Reiz liegt in der
Logik der Untersuchung und der eigenen Überlegungen
auf die philosophisch interessanten Fragen "Was
macht der Computer, wenn der Mensch mal eine Schachregel
ändern sollte?" und "Wie wirkt es sich
auf den Wettstreit Mensch/Computer aus, wenn der Mensch
eine fundamental neue und bessere Schachstrategie entdecken
sollte?".
Besondere Herausforderungen sind
Beiträge wie "Beitrag zu einer spekulativen
Metapsychik des Schachs" und "Wilhelm Junk:
Philosophie des Schachs" und weitere. Schwer zu
lesen, schwer zu verstehen, interessant und das Verständnis
erweiternd.
Aufgrund der eigenen schachlichen
Orientierung fand der Beitrag "Gedanken zur Ferne
im Fernschach" die besondere Aufmerksamkeit des
Rezensenten. Jörg Seidel setzt die Entwicklung
des Fernschachs aus dem Nahschach mit der Entwicklung
der Kriegswaffen zu solchen mit Ferneinsatz und Fernwirkung
in Beziehung. Er sieht es als natürlich an, dass
ein Fernschachspieler unerlaubte Hilfsmittel einsetzt
("Man sollte also von vornherein vom Fernschachspieler
nicht erwarten, auf den Gebrauch unerlaubter Hilfsmittel
zu verzichten, ebenso wenig wie man vom modernen Kanonier
auf unmittelbare Nächstenliebe hoffen darf (S.
145))". Der Fernschachspieler aber muss hier den
Autor der verkürzten Betrachtung rügen, vermisst
er doch die Erörterung des philosophischen Auswegs,
nämlich der Adelung aller Hilfsmittel. Der charakterlich
ungefestigste Mensch, der geborene Schummler, der sich
auf Kosten anderer zu profilieren trachtende Egomane
ist von vornherein zum Scheitern verurteilt, wenn es
keine verbotenen Hilfsmittel gibt. Wogegen sollte er
verstoßen, wenn es nichts zum verstoßen
gibt?
Es ist unmöglich, im Rahmen
dieser Besprechung alles zumindest anzureißen,
was zu einer Erwähnung reizt, denn zu vielseitig,
zu vielgestaltig und zu komplex sind die auf 428 Seiten
erstreckten Inhalte. Den Abschluss der Rezension soll
der letzte Beitrag im Buch selbst bilden, "Schach
dem Schach" betitelt. Seidel untersucht darin die
Verbreitung des Schachspiels als Metapher und urteilt,
dass es hierüber sogar seinen größten
Erfolg feiere. Er bildet eine lange Reihe von Buchtiteln,
in denen irgendjemandem oder -etwas Schach geboten wird.
Sinnige und unsinnige Schachgebote gibt es auf dem Brett
und in Buchtiteln. Man erkennt die gleichartige Motivation:
Hauptsache Schach!
Noch ein Wort zum Erscheinungsbild
des Buches. Hier hat der Verlag Hervorragendes geleistet
und mit äußerster Akribie gearbeitet, so
dass das Schriftbild ein ästhetischer Genuss ist.
Von klassischen Setzfehlern ist nichts zu finden (Zeilenabstände,
Trennungen, Buchstabenabstände, Fonts etc) - hieran
könnten sich selbst berühmte Verlage mit großen
Auflagen ein Beispiel nehmen. Da hat sich jemand Zeit
gelassen und das sieht man.
Metachess ist eine gute Partie!
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise
vom Charlatan-Verlag, Rostock, zur Verfügung gestellt.
(Uwe Bekemann)
Jörg Seidel
"Metachess. Zur Philosophie, Psychologie und Literatur
des Schachs"
Edition Grundreihe
ISBN: 978-3-937206-07-3
Paperback, 14,8 x 21 cm
426 Seiten, Preis: 22,90 Euro
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