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der blaue reiter
Helge Schneider, der in ganz
Deutschland durch Lieder wie "Katzeclo" und
Filme wie "Texas" bekannt geworden ist, taucht
neuerdings auch in der Philosophie auf. Zum Glück
- meint der Autor - tut er das nicht als Autor. "Das
Ereignis seines Namens" wird Seidel vielmehr "zum
Anlass philosophischer Reflexionen" über den
Menschen. Über das Leben. Das Sein. Und so weiter.
Seidel philosophiert nicht wie Helge
Schneider oder über Helge Schneider - das nimmt
vergleichsweise wenig Raum ein -, sondern nach
ihm. Hinter Schneider kann man nicht zurück. Aber
warum? Was ist geschehen? Darauf gibt es keine Antwort
in der Sprache der Bierernsten und Naseweisen. Deren
Sprache weiß nichts von Ereignissen, sondern "doubelt"
die Wirklichkeit, wie sie gerade scheint. Schneider
dagegen fällt als Double durch - und unversehens
auf philosophischen Boden: Man kennt die Ironie des
Sokrates oder der Romantik, den Kynismus Diogenes' oder
Sloterdijks. Nun gibt es auch noch die unfreiwillige
Komik Helge Schneiders, die sich an gar nichts mehr
halten muss, weil ihr jeder Stilgriff fehlt. Sie ist
nicht absurd und nicht "ungewollt" komisch.
Sie ist ein Aber-Witz, der auch seinen Autor "offensichtlich
überrascht und erheitert". Schneider selbst:
"Die meisten Kritiker meinen, ich mache Nonsens.
Aber das ist genau das falsche Wort dafür. Wenn
ich behaupte, Quatsch zu machen, dann meine ich Spaß,
und Spaß bedeutet eben auch Ernst."
Das Ernsthafte dabei: Paradoxien nicht zu verleugnen.
Zu verhindern, dass ein "einziger Sinn sich aufdrängt"
(Eco). Das Zeichen über das Bezeichnete stolpern
lassen. Zwei Dinge mit denselben Worten sagen. Die Parodie
mit dem Original verschmelzen. Das geht nicht ganz aus
freiem Willen. Der Künstler weiß, "was
er machen will. Was ihn aber rettet, ist die Tatsache,
dass er nicht weiß, wie ihm das gelingen soll".
Erst so, in der Anerkenntnis der Schwäche der Sprache,
in der Unvordenklichkeit, im Stümpertum, wird für
einen Augenblick "ondo-logisch" freigelegt,
was unser Verständnis trägt: "Liebe statt
Mülheim". Schneider trägt sich damit
auch selbst: Seine Kunst zwischen Harlekin, Valentin
und Zappa braucht keine Erklärungen. Aber sie muss
"auseinandergeredet" und "gebraucht"
werden, um in ihren Stärken erfahrbar zu sein.
Seidel entfaltet sie mit Begeisterung - fan-omenologisch
eben - und in "Imperativen", die allerdings
nichts vorschreiben wollen: als Kyn-Ethik. Was es mit
diesem eigenartigen Kynismus auf sich hat, bespricht
Seidel in mehreren Durchgängen und in der Absicht,
Sloterdijks Kritik der zynischen Vernunft weiterzuspinnen.
Das betreibt er eben so ernsthaft wie sprunghaft. Sein
Buch ergreift die "Logik des Sinns" in den
Wucherungen des alltäglichen Widersinns: Seidel
"rhizomatisiert" im Sinne von Deleuze und
Guattari. In "vielen Stilen" und nicht ganz
so vielen Schriftgrößen passieren den Leser
- oder besser: passieren dem Leser - unter anderem eine
"entgeisterte Phänomenologie" zwischen
Diderot und Hegel, die "Philosophie der kleinen
Literatur" von Kafka und Joyce, die "Abdrift"
der Ecoschen Zeichenlehre, ein "aphoristisch-dekonstruktiver
Teil" eckiger noch als bei Nietzsche, und ganz
zuletzt ein "Nachteil": Seidels Dialog mit
sich.
Das kenntnisreiche, aufmerksame, bisweilen arg breite,
oft lästige und manchmal deftige Buch ist nichts
für Anfänger in der Geistesgeschichte, nichts
für leichtgläubige, und nichts für flüchtige
Schneider-Kenner. Durch die "Schule des Durchbeißens"
sollte der Leser wohl gegangen sein - und ahnen, dass
die Philosophie im Sterben liegt" (Sloterdijk).
Kurz: es ist ein kluges Buch, das man unmöglich
empfehlen kann. Es ist ein unkluges Buch, von dem sich
nicht abraten lässt. Ist man mit ihm unterwegs
zum Ur-Knall oder zu einer prima Philosophie? Wie kann
man für ein Buch 72 Mark ausgeben? Soll man stattdessen
nicht fein essen gehen? Mit dieser Entscheidung bleibt
zuletzt jeder allein. Der Sinn von Büchern ist
ohnehin schwer einzusehen. Leichenschauhäuser gibt
es, um die Bestattung Scheintoter zu vermeiden - auch
das kann man bei Seidel lesen. Doch der "Vagabund"
aus Neufünfland (und Oxford) möchte seinen
Beitrag noch anders verstanden wissen: als Plädoyer
für die ursächliche Absicht beim Philosophieren,
die "geglückte Gestaltung des eigenen Lebens
bei höchstmöglicher Verträglichkeit für
die anderen Leben". Verträglich geht es übrigens
auch im Literaturverzeichnis zu: nebeneinander stehen
Wilhelm Busch und Albert Camus, Howard Carpendale und
Lewis Carroll, Drewermann und Dostojewski. Gegen Ende
findet sich gar eine Verpackung von "Tchibo (Hrsg.):
Faszination Kaffee". Die zieht nicht nur Seidel
den Eduscho-Sprüchen vor. "Was wäre,
wenn Du einen Wunsch frei hättest? - Alles soll
so bleiben, wie es ist." Darauf einen Schneider!
Einen doppelten! Oder Seidel.
Nicolai Kaufmann
/ Lotte Glüth
Jörg Seidel
Ondologie Fanomenologie Kynethik.
Philosophieren nach Helge Schneider
(Verlag Blaue Eule, Essen 1999)
ISBN 3-89206-955-7
400 Seiten, 40,00 EUR
Das Buch ist bei uns zum Vorzugspreis
von EUR 30,00 inkl. Verpackung und Versand erhältlich.
Wenn Sie Interesse haben, wenden Sie sich bitte an Webmaster
Christian
Hörr oder an Jörg
Seidel selbst.
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