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Kein Buch über Helge Schneider
Alles zu können und nichts
zu müssen, das ist der uralte Menschheitstraum.
Ihm dachten Philosophen nach, Revolutionäre versuchten
ihn politisch zu verwirklichen, Künstler ihn zu
beleben. Und dennoch, die Verlegenheit nichts zu können
und alles zu müssen bestimmt die gesellschaftliche
Befindlichkeit. Doch da taucht die Inkarnation der Omnipotenz
auf, in der Gestalt Helge Schneiders. Keiner glaubt's
und einer beweist es.
Jörg Seidel, aus Plauen im Vogtland, nimmt das
Ereignis Schneider zum Anlass philosophischer Reflexionen
und richtet seine nicht nur wissenschaftliche Aufmerksamkeit
auf den Denker und Künstler Helge Schneider. Für
ihn ist der "Nonsensmacher" das Medium der
seelischen und geistigen Vitalität schlechthin,
das er befragt, um Sinn oder Unsinn des Lebens auf die
Schliche zu kommen. Schon der Titel des originellen
Werkes "Ondologie Fanomenologie Kynethik"
lässt sprachphilosophische Gewandtheit vermuten,
ohne die man Schneider, so scheint es, nicht beikommen
kann. Mit der Rückendeckung eines Paul Feyerabend,
eines Gilles Deleuze, Michel Serres und Michel Foucault
fordert der Autor auf 400 Seiten souverän eine
lebensfremd gewordene Akademikerphilosophie heraus.
Vorbehalte über die Diskurswürdigkeit eines
Phänomens entkräftet er mit dem Charme einer
jedoch noch immer den philosophischen Termini verpflichteten
Sprache: "Es sollte deutlich werden, dass es letztlich
nicht einmal um Helge Schneider geht, sondern um die
Problematisierung des Marginalen, um die Einsicht, dass
die Spuren des Werdens, wenn überhaupt, dann überall
wahrnehmbar sind."
Hier wird der Kynstler aus dem Ruhrpott erstmalig als
großer Denker gewürdigt. Mit geschickten
Annäherungsversuchen rückt Seidel, selbst
bekennender Helgeianer, dem theoretisch fast unnahbaren
Meister, über eklektische Umwege, auf dem Grenzzaun
der Sprache balancierend, diesen selten überschreitend,
zur Seite, aber niemals auf die Pelle, "um mit
ihm zu denken, um ihm nach- oder nach ihm zu denken".
Ohne mit plumpen Interpretationen den Blick auf die
nachweislich hohe Kunst des Kynstlers zu verstellen,
unterzieht der Autor den als Sprachrohr benutzten Schneider
u.a. einer phänomenologischen, anthropologischen,
dialektischen, poststrukturalistischen, ontologischen,
einer existentialontologischen, einer hermeneutischen
und hermetischen Befragung. Absurd? Keineswegs! Eine
Hauptintention dieser Mammutaufgabe ist es, sämtliche
Großtheorien durchzuspielen und durchzusprechen,
um letztlich die Urfrage der Philosophie wieder stellen
zu können: die Frage nach dem Wie der "besten,
glücklichsten, einfachsten, gottwohlgefälligsten
Gestaltung des eigenen Lebens". Kühn schweift
er in empirische Erlebniswelten aus, großzügig
aus Literatur, Geschichte und Psychologie schöpfend,
ohne das Objekt der Begierde aus den Augen zu verlieren.
Es bleibt letztlich unklar, ob Schneider das Medium
der ihn umrankenden Diskurse darstellt oder diese Mittel
sind, den "Quatschmacher" besser zu verstehen.
Für eine postmoderne Medienwissenschaft stellt
das hier besprochene Werk eine wichtige Hürde dar,
welche die Diskussion nicht umgehen kann. Bei aller
Ausgelassenheit und Bezugsfreiheit der diskursiven Annäherung
ist von einer phänomenologischen Verlegenheit,
nämlich der des Einheitsbreies, erstaunlicherweise
nichts zu spüren. Die abduktive Gelassenheit mündet
stellenweise ein in eine Atmosphäre quasi spiritueller
Medialität, die sich erst durch die hohe Kunst
der Formulierung entfalten kann, welche das Werk Seidels
auszeichnet. Ohne diese sprachliche Instinktsicherheit
wäre die Welt um ein Muster streng eklektischen
Philosophierens, ja vielleicht sogar um einen genialen
Helge Schneider ärmer.
Als Meister der Dekonstruktion spielt Schneider mit
den Extremen Alles oder Nichts. Diese Dekonstruktion
"versucht dabei alles zu sagen und nichts zu zerstören,
sie will alles zerstören - umwerten, wenn man so
will - ohne etwas zu sagen, ohne verantwortlich gemacht
zu werden". So vermag der Autor ihn ruhigen Gewissens
mit den großen Dekonstruktivisten der Literatur
und der Philosophie in Beziehung setzen, mit Meister
Eckhart, Nietzsche, Kafka, Joyce und Derrida.
Seidels "Buch" (die klassische Idee des Buches
wird zugunsten einer labyrinthischen, rhizomatischen
Anlage unterminiert, wobei der Verfasser ausdrücklich
auf Sukzession und Folgerichtigkeit verzichtet), gliedert
sich in sieben, unterschiedliche Denkanstrengungen abverlangende
Teile. Zwischen dem "Vorteil", einer Ankündigung
was den Leser im vorliegenden Nicht-Buch erwartet und
was nicht, und dem "Nachteil", der jegliche
ablehnende Vorabkritik mit einem ihr zuvorkommenden
Frage-Antwort-Dialog in Schwierigkeiten bringt, bilden
der scharfsinnige "onto-ondologische", der
"anthropologische Teil" und der "phänomenologisch-polemische
Teil" die zentrale Trias. Besonders der "anthropologische
Teil" gibt eine bemerkenswerte Symbiose von Intellektualismus
und Empfindungstiefe. Hat man sich einmal durch den
"onto-ondologischen Teil" hindurchgebissen,
so wird man, hier angekommen, von einem witzigen, tiefsinnigen
Plauderstrom weitergetragen, der einen, ohne ein moralisches
Korrekturruder zu benötigen, leicht und mühelos
durch die bizarre Landschaft "Menschheit"
führt. Als Vorlage zu dieser Abhandlung diente
die "Kritik der zynischen Vernunft" von Peter
Sloterdijk. Ohne dieses Buch hätte es die Auseinandersetzung
mit Helge Schneider nicht gegeben, bekennt der Autor.
Überhaupt versprechen 15 Seiten dünngedrucktes
Quellenverzeichnis eine reiche Ausbeute. Was ein nicht
vorhandener "ästhetisch-anästhetischer"Teil
zu leisten hätte, deutet Seidel nur an, um nach
einer Einführungsseite den Leser seiner eigenen
Kreativität zu überlassen. Es wird darin die
Ästhetik des "Helgeianismus" gegen die
Ästhetik des Hegelianismus imaginär verfochten,
wie überhaupt Hegel ein unausgesprochener philosophischer
Gegner hinter den Kulissen zu sein scheint. Im "aphoristisch-dekonstruktiven
Teil" rückt Seidel der Idee des Autorsubjektes
zu Leibe, indem er es unterlässt, die Urheber der
den Abschnitte füllenden Aphorismen auszuweisen.
Unerwartete Bezüge zeigen sich da in der kunterbunten
Aneinanderreihung der "Wider-Sprüche",
wenn sich, wie Nietzsche schrieb, Dinge ins Gesicht
schauen, die sich zuvor nicht begegneten. Die Grenzen
zwischen Sinn und Unsinn sind hier am deutlichsten verwischt.
Trotz des Gelächters während der Achterbahnfahrt
der Lektüre kann man sich des Eindrucks nicht erwehren,
dass die Stimmung hier im Grunde todernst ist, dass
hinter den grellen Gedankenblitzen und Sprachsalti eine
gewisse Melancholie das Zepter führt. Schneiders
Wort; "zum Lachen anzuregen und ernste Sachen zu
sagen" ist auch Seidels Maxime. In bitterem Ton
hebt er den Kynikerkünstler ("Kynstler")
vom übrigen Rest der zynischen Komikergilde ab.
Schneider, der hochempfindsame Seismograph europäischer
Katastrophenkultur weiß, was im Keller der Moderne
brodelt und zur Entladung drängt. Im tragikomischen
Gestus des Narren reflektiert er den narkotisierenden
Charakter des Friede-Freude-Eierkuchenzaubers der Unterhaltungsbranche,
worauf Seidel erschöpfend hinweist. Letztlich jedoch
plädiert sein Band für ein befreiendes und
von jeglichem Zynismus befreites Lachen.
Andreas Schuster in: Freie Presse
Jörg Seidel
Ondologie Fanomenologie Kynethik.
Philosophieren nach Helge Schneider
(Verlag Blaue Eule, Essen 1999)
ISBN 3-89206-955-7
400 Seiten, 40,00 EUR
Das Buch ist bei uns zum Vorzugspreis
von EUR 30,00 inkl. Verpackung und Versand erhältlich.
Wenn Sie Interesse haben, wenden Sie sich bitte an Webmaster
Christian
Hörr oder an Jörg
Seidel selbst.
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