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Tariq Ali: Im Schatten
des Granatapfelbaums
Und bekämpft
in Allahs Pfad, wer euch bekämpft; doch übertretet
nicht; siehe, Allah liebt nicht die Übertreter.
Und erschlagt sie, wo immer ihr auf sie stoßt,
und vertreibt sie, von wannen sie euch vertrieben ...
Koran 2. Sure,
186f.
Meint nicht,
dass ich gekommen sei, Frieden auf die Erde zu bringen;
ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern
das Schwert.
Matthäus
10.34
"Wenn das so weitergeht,
nuschelte Ama durch ihre Zahnlücken, wird
von uns nichts bleiben als eine flüchtige Erinnerung.
Yasid, aus seiner Konzentration gerissen,
blickte mit finsterem Gesicht vom Schachtuch auf.
Er saß am anderen Ende des Innenhofs, wo er
sich eifrig mühte, die Listen und Kniffe des
Schachspiels zu meistern. Seine Schwestern Hind und
Kulthum waren beide perfekte Strateginnen. Sie weilten
mit den übrigen Familienangehörigen in Gharnata.
Yasid wollte sie bei ihrer Rückkehr mit einem
unüblichen Eröffnungszug überraschen.
Er hatte versucht, Ama für das
Spiel zu begeistern, die alte Frau aber hatte über
dieses Ansinnen nur gackernd gelacht und abgelehnt.
Yasid konnte ihre Weigerung nicht verstehen. War Schach
den Perlen, die sie unablässig befingerte, nicht
bei weitem überlegen? Warum nur wollte ihr das
nicht in den Kopf?
Zögernd räumte er die Schachfiguren
fort. Wie außergewöhnlich sie sind, dachte
er, indes er sie sorgsam in ihre Schatulle zurücklegte.
Sein Vater hatte sie eigens für ihn in Auftrag
gegeben. Juan der Tischler war angewiesen worden,
sie rechtzeitig zu Yasids zehntem Geburtstag zu schnitzen.
Er hatte ihn im vergangenen Monat des Jahres 905 A.
H. begangen, welches die Christen nach ihrer Zeitrechnung
als das Jahr 1500 bezeichneten".
Mit diesen Zeilen beginnt Tariq Alis
historischer Roman, der vom Untergang einer der reichsten
Kulturen Europas erzählt. Acht Jahre zuvor –
das Jahr, in dem nach europäischer Zeitrechnung
die Neuzeit (Kolumbus) beginnt – erreicht die spanische
Reconquista mit dem Fall Granadas ihren Höhepunkt.
Für die Mauren auf der Iberischen Halbinsel, die
viele Jahrhunderte friedlich in einer multikulturellen
Gesellschaft aus Mohammedanern, Christen und Juden lebten,
geht eine Ära zu Ende. Erzbischof Jimenez, ein
religiöser Fanatiker franziskanischer Observanz
und eng mit der Inquisition verbunden, treibt sein Ziel
der totalen Christianisierung erbarmungslos voran. Die
letzte seiner Schandtaten war die Verbrennung des gesamten
arabischen Schriftgutes, ein unvorstellbarer Verlust.
Die "Flammenwand" wird zum Fanal.
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Auch das Leben im Dorf al-Hudayl ist
von den historischen Ereignissen betroffen. Hier lebt
die alteingesessene Familie des Umar bin Abdullah, dessen
jüngster Sohn, Yasid, beim Schachspiel vorgestellt
wurde. Die Szene erlangt Symbolcharakter, sie nimmt
den Verlauf komplett voraus:
"Der Knabe war der Liebling der
ganzen Familie. Und so beschloss Juan, Schachfiguren
zu schaffen, die alles überdauern würden.
Am Ende hatte er sich selbst übertroffen.
Die Mauren bekamen die Farbe Weiß.
Ihre Königin war eine edle Schönheit mit
einer Mantilla, ihr Gemahl ein rotbärtiger Monarch
mit blauen Augen (sic!), dessen Gestalt ein fließendes,
mit seltenen Edelsteinen geschmücktes arabisches
Gewand umhüllte. Die Türme waren Nachbildungen
der Befestigungsanlagen, welche den Eingang zu der
palastartigen Residenz der Banu Hudayl beherrschten.
Die Springer verkörperten Yasids Urgroßvater
Die weißen Läufer waren nach dem beturbanten
Imam der Dorfmoschee modelliert. Die Bauern wiesen
eine frappante Ähnlichkeit mit Yasid auf.
Die Christen waren nicht bloß
Schwarz: sie glichen Ungeheuern. Die Augen der schwarzen
Königin glitzerten böse, ein krasser Gegensatz
zu der winzigen Madonna, die sie um den Hals trug.
Ihre Lippen waren blutrot gefärbt. An einem Finger
trug sie einen Ring mit einem aufgemalten Totenschädel.
Der König hatte eine bewegliche Krone auf dem
Kopf, die sich leicht abheben ließ, und als
sei es mit dieser Symbolik nicht genug, hatte der
kunstsinnige Tischler den Monarchen mit einem winzigen
Paar Hörner versehen. Um diese einzigartigen
Verkörperungen von Ferdinand und Isabella gruppierten
sich ebenso groteske Figuren. Die Springer erhoben
blutbefleckte Hände. Die beiden Läufer waren
in Satansgestalt modelliert, sie umklammerten Dolche
und hatten peitschengleiche, abstehende Schwänze.
Juan hatte Jimenez de Cisneros nie zu Gesicht bekommen,
ansonsten dürfte kaum ein Zweifel bestehen, dass
des Erzbischofs glühende Augen und Hakennase
sich vorzüglich für eine Karikatur (sic!)
geeignet hätten. Die Bauern waren samt und sonders
als Mönche gestaltet mit Kapuzen, hungrigen Blicken
und Bierbäuchen: beutelüsterne Geschöpfe
der Inquisition
Am Fuße jeder Figur war Yasids
Name eingeritzt, und Yasid hing an seinen Schachfiguren,
als seien es lebendige Wesen. Seine Lieblingsfigur
aber war Isabella, die schwarze Königin. Sie
erschreckte und faszinierte ihn zugleich. Mit der
Zeit wurde sie ihm eine Art Beichtvater (sic!), jemand,
dem er alle seine Sorgen anvertraute, jedoch nur,
wenn er sicher sein konnte, dass sie allein waren"
(16f.).
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Tariq Ali, der englische Verfasser pakistanischer
Abstammung, versucht mit "Im Schatten des Granatapfelbaums"
ein Kaleidoskop der arabisch-iberischen Gesellschaft
kurz vor ihrem Untergang zu entwerfen. Umars Familie
umfasst daher idealtypisch fast alle Möglichkeiten
des Glaubensbekenntnisses. Da gibt es Miguel, der nicht
nur konvertiert, sondern es bis zum Bischof brachte
– er ist, nebenbei, der zweite Schachspieler -,
da gibt es den heißblütigen Rebell Suhayr,
es gibt den Skeptiker, den Aufklärer, die Streng-
und Altgläubige, die Laszive, den gutmütigen,
ständig auf Ausgleich bedachten Versöhnler,
es gibt den Denker und Theoretiker, den Angsthasen etc.
Sie alle suchen einen individuellen Ausweg aus dem Glaubensdilemma:
irdisches oder himmlisches Leben; mit den Christen,
gegen sie oder auswandern. Suhayrs Heißblütigkeit,
die mitunter an Don Quichotte erinnert, gibt den christlichen
Eiferern schließlich den erhofften Vorwand und
aller Pluralismus wird im Massenmorden nivelliert. Lediglich
der Ängstlichste und der Mutigste überleben
vorerst das unglaubliche Massaker. Die eingangs erwähnte
und immer wieder erneuerte Magie der Schachfiguren wird
sich bewahrheiten. Blutig wird die islamische Hochkultur
iberischer Prägung, der die Europäer auch
das Schach zu danken haben [1],
untergehen.
Aber diese kulturelle Blüte ist
auch eine des Verfalls. Nirgendwo wird dies deutlicher
als in den üppigen Gelagen: "Diese Familie,
der jahrhundertelang nichts wichtiger gewesen war als
die Vergnügungen der Jagd, die Beschaffenheit der
Marinade, welche die Köche für den Lammbraten
verwendeten, der selbigen Tages zubereitet wurde, oder
die neuen Seidenstoffe aus China, die in Gharnata eintrafen,
diese Familie setzte sich heute abend mit der Geschichte
auseinander" (150).
Wenn sich Ali zur Kritik der eigenen
Kultur durchringen kann, dann hinsichtlich der Dekadenz
und der Uneinigkeit. Ansonsten jedoch enttäuscht
das Buch, das von euphorischen Kritikern gleich zu einem
wesentlichen Beitrag der Völkerverständigung
ernannt wurde und ein einstiges Utopia der multikulturellen
Gesellschaft beschreibt, durch übertriebene Schwarz-Weiß-Malerei
– auch dies wurde im Schachspiel vorweggenommen.
Aber ganz gleich, wie man das Buch interpretiert, es
bezieht aus dieser Ambivalenz seine politische Aktualität
und Brisanz. Anprangernswerte Vorurteile gibt es –
beschriebenes Schachspiel liefert den besten Beweis
- auf beiden Seiten, aber, so scheint der Autor sagen
zu wollen, sind sie auf islamischer Seite eher gerechtfertigt.
Während das Familienleben als reich, glücklich,
intensiv, farbenfroh und sehr sinnlich beschrieben wird
– mitunter erreicht die Schilderung die Intensität
von 1001 Nacht – stehen auf der christlichen Seite
bösartige, verhärtete oder schwache Menschen
gegenüber, deren Kultur und Religion der arabischen
fast nichts entgegenzusetzen habe, und die, rein literarisch
gesehen, mehr als hölzern erscheinen. Umgekehrt
erliegt Tariq Ali einer unglaubwürdigen Idealisierung
der maurischen Gemeinde, die nahezu die perfekte Demokratie
(!) lebt. Man kann dies als Parabel für die prinzipielle
Toleranz des Islam lesen [2], aber es ist wohl weniger
aufwendig darin eine Verklärung zu sehen. Freilich
muss man dann Aussagen wie diese ernst nehmen (umso
mehr als sie von radikalislamischen Gruppen wie der
Abu Hamsa Al Masris in London - Finsbury Park Moschee
– oder des kürzlich verurteilten Abdullah
al-Faisal, mehr oder weniger direkt, wiederholt wurden:
um die Christen zu schlagen, müssen wir Moscheen
in London bauen): "Die einzige Möglichkeit,
dieses Land für unseren Propheten zu retten, wäre
die Errichtung einer Moschee in Notre Dame gewesen"
(156).
Wir sollten bei diesen aufgeheizten Diskussionen
nicht vergessen: zum einen ist der Begriff der Toleranz
ein aufklärerisches europäisches Konzept,
zum anderen ist der westliche Liberalismus diskursunfähig
mit geschlossenen Religionen: "Religion, die es
ernst meint, ist nicht tolerant. Deswegen kann sie von
der Religion der Toleranz, also dem Liberalismus, nicht
toleriert werden.
Wenn der Dialog beginnt, hat
der Liberalismus schon gewonnen. Und dafür haben
die Frommen ein untrügliches Gespür. Es ist
deshalb absurd, sich irgendeinen politischen
Fortschritt vom Dialog der Religionen zu
versprechen. Wenn sich die Fundamentalisten auf einen
Dialog einlassen würden, gäbe es gar keinen
Grund mehr für einen Dialog.
Die Liberalen
können den Konflikt fundamentaler Glaubensüberzeugungen
nur als Meinungsstreit modellieren, denn es gibt für
sie prinzipiell keinen Konflikt, den man nicht in rationaler
Deliberation auflösen könnte. Was aber eine
Religion von einer bloßen Meinung unterscheidet,
ist der Anspruch auf privilegierten Zugang zur Wahrheit.
Und deshalb gibt es keine liberale Antwort auf die heute
so dringliche Frage: Wie soll man mit Leuten diskutieren,
die von der Überlegenheit ihrer Kultur überzeugt
sind?" [3]. Und wer will objektiv entscheiden,
welcher Seite Recht zu geben sei?
Tatsächlich, das soll nicht negiert
werden, ist im iberischen Islamismus [4] eine einzigartige
Kultur blutig untergegangen, deren Verlust ebenso schmerzhaft
und unverzeihlich ist, wie die Vernichtung der indianischen
Kulturen – in beiden stellte der gegenreformatorische
Katholizismus nicht nur seine Existenzberechtigung in
Frage, sondern beraubte sich selbst unwiederbringlicher
Quellen von Weisheit, Wissen, Können und Spiritualität.
Ali zieht diese Linie direkt, denn es ist kein anderer
als Cortez höchstpersönlich, der dem jungen
Yasid das Schwert ins Herz stoßen wird.
Weshalb diesem Buch der Beifall verweigert
wird, liegt nicht an den darin vertretenen Ansichten,
über die man [5] diskutieren kann, sondern an den literarischen
Unzulänglichkeiten (die freilich thematisch bedingt
sind). Vieles darin scheint dem Augenblick geschuldet
zu sein; die Geschichte erwächst nicht natürlich
aus einer Wurzel, sondern treibt immer wieder nur neue
Blüten und Verzweigungen, die meist jedoch wieder
verdorren und ins Nichts führen. Ihr erzählerischer
Sinn bleibt daher rätselhaft, allerdings garantieren
sie eine gewisse facettenreiche Buntheit; negativ ausgedrückt,
könnte man sie als Ablenkung und Abwege beschreiben.
Zudem werden Stimmungen – ein essentieller Bestandteil
in märchenhaften Erzählungen – fast nur
erklärt statt herbeigeführt. Gerade die Benennung
einer Stimmung macht deren Erlebnis unmöglich.
Nur wirklich herausragenden Autoren gelingt es Stimmungen
in der Sprache und im Geschehen anklingen zu lassen.
Thematisch leidet das Buch unter zahlreichen Anachronismen,
zumindest solange man es strikt als historischen Roman
liest (es wurde bereits angedeutet, dass die Historie
lediglich als Vorwand dienen könnte, politische
Botschaften zu kaschieren); man kann sich Muselmanen
des 15. und 16. Jahrhunderts – selbst in der relativ
toleranten maurischen Enklave - kaum als demokratische
Diskussionsgemeinschaft vorstellen, in denen freie Meinungsäußerung
bis hin zur Blasphemie (solange sie von Gleichgesinnten
ausgesprochen werden) geduldet werden und in denen moderne
Begriffe wie "Kultur", "Geschichte"
oder "Toleranz" ausgiebig thematisiert sind.
Die historische Ungenauigkeit lässt
sich wohl auch bis ins Schach zurückverfolgen.
Ein maurischer Schachspieler im Süden Spaniens
im Jahre 1500 dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit
keine Dame in der Hand gehalten haben, sondern einen
Wesir (arabisch: fers), der weit weniger schlagkräftig
als die heutige Dame war und mit seinem einfeldrigen
diagonalen Zug, sogar die schwächste Figur des
arabischen Schachs darstellte. Die Beschleunigung des
arabischen Schachspiels Shantranj, inklusive
der Wandlung des Wesirs zur Dame, erfolgte in Süd-
und Mitteleuropa als langanhaltender Prozess des Experimentierens,
bis sie sich schließlich durch das Buch des Spaniers
Lucena aus dem Jahre 1497 durchsetzte [6]. Es ist also
zumindest unwahrscheinlich, dass Yasid tatsächlich
Isabella als schwarze Königin auf seinem Tuch hat
spielen lassen (mal ganz davon abgesehen, dass dies
gegen das strenge Bilderverbot im Islam verstoßen
hätte [7], umso mehr, da es sich offenbar um realistische,
ja sogar individuelle Abbildungen mit Namensbenennung
oder Satansdarstellungen handelte, die zudem –
das ist das schlimmste Vergehen - , in Form der "Beichte",
angebetet werden [8]). Zudem war es im arabischen Schach
üblich, das Spiel nicht nur durch das Matt enden
zu lassen, wovon Ali mehrfach schreibt, sondern viel
eher durch einen Beraubungssieg, welcher der Langsamkeit
des damaligen Spiels viel eher entsprach. Schließlich
wirkt es unwahrscheinlich, den jungen Schachfreund beim
Eröffnungsstudium zu sehen.
Auf all diese Dinge mag Ali keinen Wert
gelegt haben, dem es um die Symbolbedeutung des Schachs
ging. Tatsächlich taucht es im Roman immer wieder
auf, um in erster Linie die Ereignisse vorwegzunehmen:
den endgültigen Sieg der Reconquista:
"Als Subayda durch den Hof ging,
sah sie ihre Söhne beim Schachspiel. Sie schaute
ihnen eine Weile zu und bemerkte belustigt den finsteren
Blick, der Suhayrs Züge entstellte: ein sicheres
Zeichen, dass Yasid gewann. Mit hörbarer Erregung
in der Stimme verkündete dieser seinen Triumph:
Ich gewinne immer, wenn ich die schwarze Königin
auf meiner Seite habe!" (61).
Yasids künstlerische Schachfiguren
– die ohnehin zu sehr an moderne Kreationen erinnern
– verstoßen aber nicht nur gegen das islamische
Bilderverbot, sie könnten ihm auch ob ihres ketzerischen
und aufrührerischen Aussehens, von christlicher
und inquisitorischer Seite den Untergang bringen. Als
er unbedacht das Spiel gegen seinen konvertierten Onkel
– seines Zeichens Bischof – auspackt, entspinnt
sich folgendes Gespräch:
"Sei gesegnet mein Kind.
Ich dachte, wir könnten vor dem Mittagsmahl eine
Partie Schach spielen.
Yasid wurde sogleich heiter.
Der Knabe eilte ins Haus und kehrte mit seinem Schachspiel
zurück. Er legte das Schachtuch auf den Tisch
und öffnete vorsichtig die Schatulle. Dann kehrte
er dem Bischof den Rücken zu, nahm eine Königin
in jede Hand und streckte seinem Großoheim die
geschlossenen Fäuste hin. Miguel wählte
die Faust, welche die schwarze Königin enthielt.
Yasid fluchte insgeheim. Jetzt bemerkte Miguel den
besonderen Charakter dieser Schachfiguren. Er nahm
sie näher in Augenschein. Seine Stimme war heiser
vor Furcht, als er sprach.
Woher hast du das Spiel?
Ich dachte, du wolltest Schach
spielen.
Miguel sah das bekümmerte Gesicht
des Knaben, der ihm mit leuchtenden Augen gegenübersaß,
und musste unwillkürlich an seine eigene Kindheit
denken. Hier in diesem Hof hatte er Schach gespielt,
auf eben demselben Tuch. Dreimal war er gegen einen
Meister aus Qurtuba angetreten, und die ganze Familie
hatte um den Tisch gestanden und aufgeregt zugesehen,
wie der Meister jedes Mal geschlagen wurde. Applaus
und Lachen folgten
" (120f.).
Eines zumindest gelingt Tariq Ali zu
zeigen, wie innig das Schachspiel in jene überreiche
Hochkultur der Mauren verwoben war.
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Tariq Ali: Im Schatten des Granatapfelbaums
(Original: Shadows of the Pomegranate Tree). Heyne Verlag
München 2000 (1993). 285 Seiten
P.S. Wer die wirkliche Mannigfaltigkeit
der hochbrisanten und konfliktreichen Geschichte der
iberischen Halbinsel auf literarisch wesentlich höherem
Niveau erfahren will, dem sei Lion Feuchtwangers "Die
Jüdin von Toledo" empfohlen [9].
Im Unterschied zu Ali, beschreibt Feuchtwanger zwar
aus primär jüdischer Sicht und bearbeitet
einen Stoff des späten 12. Jahrhunderts, achtet
aber akribisch auf historische Akkuratesse und begnügt
sich nicht mit einfachen Erklärungen, sondern legte
Wert darauf, das komplexe Gebilde einer multikulturellen
Gesellschaft zu entwerfen. Nebenbei: auch König
Alfonso VIII. spielt während seiner glücklichen
Tage mit seinem jüdischen aber im arabischen Teil
aufgewachsenen Kebsweib Raquel Schach (172) – "Sie
spielten Schach. Sie spielte gut und beteiligt und dachte
lange nach, bevor sie zog. Das machte ihn ungeduldig,
er forderte sie auf, endlich weiterzuspielen. Sie sah
verwundert hoch, eine solche Aufforderung war in islamischen
Ländern nicht üblich. Er selber, überschnell,
wollte einmal einen Zug zurücknehmen. Sie war befremdet;
hatte man eine Figur angerührt, dann musste man
mit ihr ziehen. Freundlich machte sie ihn auf die Regel
aufmerksam. Er sagte: Bei uns ist es nicht so,
und nahm den Zug zurück. Für den Rest des
Spiels blieb sie schweigsam und legte es darauf an,
sich schlagen zu lassen." - und er wird sich ihrer,
nachdem sie grausam ermordet wurde, schachspielend erinnern
(414).
--- Jörg Seidel, 05.11.2003 ---
[1]
In den Gelehrtenstreit, ob das Schach via Sizilien und
Italien oder über Südspanien nach Europa gelangte,
lassen wir uns hier nicht ein.
[2] Vgl. etwa: Umschlagtext:
Rezension der Frankfurter Zeitung und:
http://home.t-online.de/home/haselberger/@alim_sc.htm
[3] Norbert Bolz: Das konsumistische
Manifest. München 2002. S. 28ff.
[4] Islamismus in seiner
ursprünglichen Wortbedeutung: "Weltreligion,
begründet von Mohammed (im Islam der letzte Prophet
nach Jesus), die den absoluten Monotheismus lehrt, in
dem Allah der einzige Schöpfer der Welt ist"
(Deutsches Wörterbuch hrsg. von Karl-Dieter Bünting.
Chur 1996)
[5] man ist wir, die Aufklärungsgeschädigten
[6] Für die Exaktheit
der Aussage habe ich Gerhard Josten zu danken: http://www.mynetcologne.de/~nc-jostenge
Bei Lucenas Buch handelt es sich um "Repeticòn
de amores e arte de axedrez con cl. Iuegos de partido"
[7] "Er ist Allah,
der Schöpfer, der Erschaffer, der Bildner"
(59. Sure, 24), heißt, dass lediglich Allah das
Recht des Abbildens = Schöpfens zusteht.
[8] Vgl. etwa: http://www.teblig.de/fiqh/deutsch/handbuch/s/spielzeug.htm
[9] Lion Feuchtwanger: Die
Jüdin von Toledo. Berlin 1962
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