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Poul Anderson: A Circus of Hells
"For relaxation he could always
engage Hal in a large number of semi-mathematical games,
including checkers, chess and pantominoes. If Hal went
all out, he could win any of them; but that would be
bad for morale. So he had been programmed to win only
fifty per cent of the time, and his human partners pretended
not to know this. [1]
Nein, dieses Zitat stammt offensichtlich
nicht aus Andersons Science Fiction, sondern aus Clarkes
"2001. A Space Odyssey" von 1968. Und es ist
die einzige Schachreferenz in diesem wohl berühmtesten
Klassiker des Genres. Das deutet schon darauf hin, wie
sehr Stanley Kubricks kongenialer Film die Textgrundlage
verdeckt, denn immer wieder mal geistert Hal, der entfesselte
Bordcomputer und sein legendäres Spiel gegen David,
durch die Schachmedien als Idealbeispiel der literarischen
Verknüpfung. Nicht alle, die über Schachliteratur
schreiben und sprechen, haben die Bücher offensichtlich
gelesen.
Dabei ist der Fall Hal typisch, ob nun
schachspielend oder nicht, drückt sich in ihm ein
altbewährtes Motiv des Genres aus: die sich verselbständigende
Technik. Auch Poul Anderson spielt in seinem Roman mit
dieser Angst. Unter aficionados ist sein Held Dominic
Flandry nicht weniger bekannt und hat Millionen Fans
gefunden. "A Circus of Hells" stellt den zweiten
Band mit diesem intergalaktischen Spion und Haudegen
dar. Seine Liebe zum Schach hat Anderson übrigens
auch in anderen Romanen und Erzählungen dokumentiert
[2].
Flandry jedenfalls, gelangweilter Terraner,
kann einem lukrativen, wenn auch dubiosen Angebot nicht
widerstehen und lässt sich vom galaktischen Vizekönig
zur krummen Seitentour überreden, die ihn zum vergessenen
Planeten Wayland führt. Noch vor 500 Jahren lebten
und arbeiteten dort Humans, seither jedoch liegt der
rohstoffreiche, aber unwirtliche Stern brach. Um ihn
wieder zu entdecken, bittet sich Flandry nur eine weibliche
Begleiterin aus und bekommt die unwiderstehliche Djana.
Was er nicht weiß, ist, dass Djana für die
feindliche Konföderation arbeitet. Aber auch so
enden die durchliebten Flitterwochen in der Katastrophe,
denn Wayland ist weit lebensfeindlicher als befürchtet.
Schon bei der Landung werden sie angegriffen, das Schiff
beschädigt. Nun heißt es aussteigen und kämpfen.
Erst gegen käferähnliche Wesen, dann gegen
equinide Hybridwesen und schließlich gegen speerwerfende
Krieger. Aber jede dieser Figuren verhält sich
eigenartig, kämpft immer nur auf eine spezifische
Weise und so tasten sich die beiden allmählich
zur Frage vor: "Does each of them stay inside its
own square?" (63) Von hier aus ist es nicht mehr
weit, die wahre Natur des Kampfes oder besser des Spieles
zu erraten, zumal es sich nicht um Lebewesen, sondern
Maschinen handelt, die ja von irgendjemandem dirigiert,
geführt werden müssen. Die beiden befinden
sich auf einem riesigen Schachbrett, auf dem der vernachlässigte
Zentralcomputer seine fünfhundertjährige Langeweile
vertreibt, indem er das tut, was er am besten kann:
rechnen und spielen.
- "But I think I see what the
arrangement is. The way the bishop behaved. Didnt
you notice?
- B-b-bishop?
- Consider. Like the knight, Im sure, the bishop
attacks when the square hes on is invaded. I daresay
the result of a move on this board depends on the outcome
of the battle that follows it. Now a bishop can only
proceed offensively along a diagonal. And the pieces
are only programmed to fight one other piece at a time.
were actually on a giant chessboard
(67)
An dieser frühen Stelle können
wir die beiden bereits wieder verlassen, die nun ohne
Schwierigkeit den Weg ins Innere der Rechenmaschine
finden und sie sich wieder dienstbar machen. Man muss
schließlich nur den entscheidenden Feldern ausweichen,
man muss nur ein wenig Schach spielen können. (Ein
Grund mehr, es unseren Kindern beizubringen: Man kann
sich Situationen vorstellen, in denen es hypothetisch,
wie eingefrorene Stammzellen aus der Nabelschnur, in
der Zukunft Leben retten könnte. Hauptsache, die
Computer – das Rätsel Schach einmal gelöst
– besinnen sich nicht auf Go.) Flandry und seine
Begleiterin haben noch mehrere Abenteuer zu bestehen,
müssen fliehen und kämpfen mit zahllosen extraterrestrischen
Wesen, die Namen wie schottische Seen oder walisische
Dörfer tragen, trauen einander und verraten sich,
aber das alles hat mit dem Schach nichts mehr zu tun;
nur noch einmal konnte Anderson seiner geheimen Leidenschaft
nicht widerstehen, als er Ydwyr, den gekidnappten Mersianer
fragen lässt: "My duty is to kill you if I
can. With that made clear, would you like a game of
chess?" (178) Die Vorstellung war denn zu verlockend
und außerdem muss Schach nicht Kampf und Krampf
sein, nein, es kann auch der intergalaktischen Völkerverständigung
dienen.
Diese Art Roman ist heute kaum noch möglich,
zumindest dürfte ein zeitgenössischer Autor
nicht mehr auf Erfolg rechnen. Die klassischen populärliterarischen
Utopien entstammen einer mobilitätsgläubigeren
Zeit, in der Menschsein die vergleichsweise problemfreie
Versprechung des Pilot- und Fahrerseindürfens enthielt.
Ich bin, weil ich mich bewege; ich bin umso mehr, je
weiter und schneller ich mich bewege. Auch wenn sich
das von der heutigen Situation kaum unterscheidet, so
befinden wir uns nun auf einer ganz anderen Reflexionsstufe.
Die noch halbentschuldbare Unwissenheit der 60er und
70er Jahre führte zum panischen Katastrophenbewusstsein
der 80er und schließlich zur zynischen Ignoranz
der Jetztzeit. Was die vorige Generation vielleicht
noch nicht wissen konnte, das wollen wir nun nicht mehr
wissen und glauben. Deswegen wurde der technisch-kinetische
Science Fiction durch den mental-kinetischen ersetzt,
durch die Welt des Traums und Zaubers. Millionenauflagen
für Rowling, Pullman und Paolini, ja selbst Renaissancen
für Wanderepen wie "Der Herr der Ringe"
stehen dafür als Beispiele.
Das mindert den literarischen Wert der
utopischen Literatur keineswegs und nicht etwa nur,
weil man darin chronische Fälle der westlichen
Illusionsgeschichte wahrnehmen kann. Tatsächlich
drehen sich auch die fernsten stellaren Konstitutionen
immer um die Erde. Sie ist der verborgene Subtext, pseudowissenschaftliche
Utopien sind oft nichts anderes als moralphilosophische
Entwürfe auf Mersianisch oder Klinkonisch oder
was auch immer. Und sind Zukunftsromane nicht eigentlich
heimliche Meditationen über das Andere und das
Fremde, spielen sie nicht mit anthropogenen Relativitätstheorien,
belehren sie uns nicht über allgemeinmenschliche
Konstanten? Das ist der Grund, weshalb man sich noch
immer mit den nur an der Oberfläche veralteten
Phantasien unserer Vorfahren beschäftigen muss,
sofern sie, wie eben Poul Anderson, zur wirklich denkenden
Gattung zählen.
Poul Anderson: A Circus of Hells.
London 1978 (1970)
http://www.fantasticfiction.co.uk/a/poul-anderson/
--- Jörg Seidel, 07.03.2006 ---
[1]
Arthur C. Clarke: 2001 A Space Odyssey. 1968
[2] Anderson, Poul: Schach
dem Unbekannten. [= Terra Utopische Romane Science Fiction
Sonderband 41]. Originaltitel: We claim these Stars.
Moewig Verlag (laut: http://www.ballo.de/1945-1998,_a.htm),
sowie: Anderson, Poul: The Immortal Game., wo Anderson
eine phantastische Schlacht beschreibt, die sich nach
und nach - in ihren Bildern fast als Prophezeiung von
"Battle Chess" - als Schachpartie auf einem
Computer entpuppt. Tatsächlich handelt es sich
um Anderssen-Kieseritsky, "die Unsterbliche"
also, anhand deren zwei Figuren, "the scientist"
und "the visitor", Poul Andersons immer aufs
Neue gestellte Hauptfrage aufwerfen: "I wonder
- I wonder if your computers may not have consciousness.
If they might not have - minds." In: Sinister Gambits.
Chess Stories of Murder and Mystery". London 1991.
Seiten 205 - 215.
Auch in einigen anderen Romanen taucht das Schach als
gespieltes Spiel auf, z.B. in "After Doomsday".
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