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David Bronstein: Secret
Notes
Titel und Umschlagbild (mit im Übrigen
falsch herum aufgestellten Figuren) des Buches führen
in die Irre, wenn man unter Secret Notes, geheime
Aufzeichnungen, unerhörte, vielleicht sogar gefährliche
Neuigkeiten erwartet. Geheim kann hier nur heißen:
noch nicht veröffentlicht, noch nicht gesagt. Bei
einem Plauderer von Bronsteins Format kommen da schnell
mal 230 zweispaltig bedruckte Seiten zusammen, ein dickes
Buch, dessen Informationswert allerdings relativ gering
ist.
Trotz seines schachlichen Genies gehörte
Bronstein zu jenen sowjetischen Meistern, denen es nur
selten gelang, im westlichen Ausland zu spielen. Man
kann seine Reisebegeisterung durchaus verstehen, die
ihn nach dem Ende des Kalten Krieges durch ganz Europa,
kreuz und quer und rauf und runter, führt, meist
in schachlicher Mission. Davon teilt er nun mit und
das ausgiebig, so viel, dass man eigentlich von einem
Reisebuch sprechen müsste. Leider zeichnet sich
Bronstein weder durch besondere Beobachtungsgabe noch
Formulierkunst aus; er schreibt ein bisschen wie Stephen
King, ohne wirkliches Verständnis für das
timing. Die unbedeutendsten Nebensächlichkeiten
(Einkäufe, Menüs, kleine Affären, private
Freundschaften etc.) werden im selben Ton und voller
Breite beschrieben wie die wesentlichen Mitteilungen,
wobei das Nebensächliche das Bedeutungsvolle quantitativ
deutlich übersteigt. Nur an wenigen Stellen gelingt
es dem Autorenteam die Reisebegeisterung dem Leser überzeugend
mitzuteilen. Ein scheinbar nicht enden wollender Plauderstrom
mag erträglicher sein, wenn er von einem Genie
stammt, steht er doch unter dem Dauerverdacht, mehr
als nur Gequatsche zu sein. Wer weiß
? Immerhin
handelt es sich ja auch um ein Buch der tausend Auslassungspunkte,
von denen man nie erfährt, was sie bedeuten sollen:
Wurde hier gekürzt (dann wäre weniger mehr
gewesen) oder geheimnisvoll angedeutet
Sapienti
sat?
Die Auswahl der Photographien sekundiert
dem kongenial; es handelt sich, bis auf drei, vier Ausnahmen,
um langweilige Urlaubsphotos oder Szenen aus dem Leben
eines – tja, Schachspielers.
Wirklich lebendig wird Bronstein nur,
wenn es darum geht, Lob und Glorifizierungen seiner
Person zu zitieren; was andere Leute zu sagen haben,
spielt fast nur eine Rolle, wenn es sich um Ehrerweisungen
handelt. Entsprechend werden gerne Urkunden, Titelbilder,
Lobhudeleien in Literatur und Presse abgelichtet und
das kleine verräterische Wörtchen "Ich"
taucht allzu häufig auf, nicht zuletzt wenn es
sich um Selbstzitierungen handelt.
Richtige Geheimnisse gibts dann
ab Seite 130. Dort räumt Bronstein mit Zürich
1953 auf (worüber er seinen echten Buchklassiker
schrieb), ein paar Jahre zu spät freilich: Nach
Perestroika und Glasnost kann auch hier von Secrets
keine Rede mehr sein. Außerdem erfährt der
Leser Neues über einen Privatwettkampf mit Kortchnoi,
inklusive der annotierten Partien und das wars
auch schon an Mysterien. Vielleicht kann man die nachfolgenden
Erinnerungen an seine jüdische Familie (158ff.)
und die Mitteilungen darüber, wie seine besseren
Bücher entstanden, noch zum erweiterten Kreis des
Geheim-Dienstes zählen, aber auch diese Schilderungen
leiden wie das gesamte Buch unter zahllosen Zeit-, Orts-,
und Gedankensprüngen, so dass es dem Leser nicht
ganz einfach gemacht wird, zu folgen.
Besser wird es dann, als Bronsteins Frau
die Feder übernimmt (186-219), Tanja, die Tochter
Boleslawskis, eine gebildete, belesene, kultivierte
Person, der es gelingt, die nationalen und regionalen
Eigenheiten mit viel Humor und Hintersinn darzustellen,
auch wenn das nun gar nichts mehr mit Schach zu tun
hat.
Im abschließenden Interview mit
Bronstein, geführt von einem servilen Frager, findet
man den besten und geoffenbarten Bronstein; es zeigt
die Probleme eines selbst denkenden Menschen, der sich
für originell, ja für einen Philosophen hält:
eine Menge guter Ideen gemischt mit einer Menge Unausgegorenem,
beides vorgetragen im Tone der Verkündigung der
ultimativen Weisheit.
Es soll nun nicht verschwiegen werden,
dass sich auch eine Reihe interessanter und kommentierter
Partien finden lässt und durchaus ansprechende
Überlegungen zum Schach im Allgemeinen und seinen
Regularien im Besonderen. Trotzdem, wenn das Buch ein
Versuch gewesen sein soll, sich ein Denkmal zu basteln,
dann muss es als missglückt gelten. Überall
schimmert der blanke Mensch hindurch, der Kaiser ohne
Kleider – vielleicht ist es besser, ein Geheimnis
zu bleiben, statt seine Geheimnisse auszuplaudern, will
man als Heroe erinnert werden. Am Ende war Bronstein
auch nur ein Mensch, der Schach spielen konnte. Wenn
man über den sorcerer (Zauberer) Bronstein
sprechen wird, in zukünftigen Zeiten, so wird dieses
Buch wohl keine Rolle spielen. Fazit: Es ist zuviel
von etwas, von dem man eigentlich nicht genug bekommen
kann – Bronstein.
David Bronstein, Sergej Voronkow: Secret
Notes.
Die Besprechung erschien zuerst
in Fernschachpost 3/07 (http://www.fernschachpost.de/index.php?id=15)
--- Jörg Seidel, 09.05.2007 ---
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