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LITERATUR
9. Mai 2007

David Bronstein: Secret Notes

Titel und Umschlagbild (mit im Übrigen falsch herum aufgestellten Figuren) des Buches führen in die Irre, wenn man unter Secret Notes, geheime Aufzeichnungen, unerhörte, vielleicht sogar gefährliche Neuigkeiten erwartet. Geheim kann hier nur heißen: noch nicht veröffentlicht, noch nicht gesagt. Bei einem Plauderer von Bronsteins Format kommen da schnell mal 230 zweispaltig bedruckte Seiten zusammen, ein dickes Buch, dessen Informationswert allerdings relativ gering ist.

Trotz seines schachlichen Genies gehörte Bronstein zu jenen sowjetischen Meistern, denen es nur selten gelang, im westlichen Ausland zu spielen. Man kann seine Reisebegeisterung durchaus verstehen, die ihn nach dem Ende des Kalten Krieges durch ganz Europa, kreuz und quer und rauf und runter, führt, meist in schachlicher Mission. Davon teilt er nun mit und das ausgiebig, so viel, dass man eigentlich von einem Reisebuch sprechen müsste. Leider zeichnet sich Bronstein weder durch besondere Beobachtungsgabe noch Formulierkunst aus; er schreibt ein bisschen wie Stephen King, ohne wirkliches Verständnis für das timing. Die unbedeutendsten Nebensächlichkeiten (Einkäufe, Menüs, kleine Affären, private Freundschaften etc.) werden im selben Ton und voller Breite beschrieben wie die wesentlichen Mitteilungen, wobei das Nebensächliche das Bedeutungsvolle quantitativ deutlich übersteigt. Nur an wenigen Stellen gelingt es dem Autorenteam die Reisebegeisterung dem Leser überzeugend mitzuteilen. Ein scheinbar nicht enden wollender Plauderstrom mag erträglicher sein, wenn er von einem Genie stammt, steht er doch unter dem Dauerverdacht, mehr als nur Gequatsche zu sein. Wer weiß …? Immerhin handelt es sich ja auch um ein Buch der tausend Auslassungspunkte, von denen man nie erfährt, was sie bedeuten sollen: Wurde hier gekürzt (dann wäre weniger mehr gewesen) oder geheimnisvoll angedeutet … Sapienti sat?

Die Auswahl der Photographien sekundiert dem kongenial; es handelt sich, bis auf drei, vier Ausnahmen, um langweilige Urlaubsphotos oder Szenen aus dem Leben eines – tja, Schachspielers.

Wirklich lebendig wird Bronstein nur, wenn es darum geht, Lob und Glorifizierungen seiner Person zu zitieren; was andere Leute zu sagen haben, spielt fast nur eine Rolle, wenn es sich um Ehrerweisungen handelt. Entsprechend werden gerne Urkunden, Titelbilder, Lobhudeleien in Literatur und Presse abgelichtet und das kleine verräterische Wörtchen "Ich" taucht allzu häufig auf, nicht zuletzt wenn es sich um Selbstzitierungen handelt.

Richtige Geheimnisse gibt’s dann ab Seite 130. Dort räumt Bronstein mit Zürich 1953 auf (worüber er seinen echten Buchklassiker schrieb), ein paar Jahre zu spät freilich: Nach Perestroika und Glasnost kann auch hier von Secrets keine Rede mehr sein. Außerdem erfährt der Leser Neues über einen Privatwettkampf mit Kortchnoi, inklusive der annotierten Partien und das war’s auch schon an Mysterien. Vielleicht kann man die nachfolgenden Erinnerungen an seine jüdische Familie (158ff.) und die Mitteilungen darüber, wie seine besseren Bücher entstanden, noch zum erweiterten Kreis des Geheim-Dienstes zählen, aber auch diese Schilderungen leiden wie das gesamte Buch unter zahllosen Zeit-, Orts-, und Gedankensprüngen, so dass es dem Leser nicht ganz einfach gemacht wird, zu folgen.

Besser wird es dann, als Bronsteins Frau die Feder übernimmt (186-219), Tanja, die Tochter Boleslawskis, eine gebildete, belesene, kultivierte Person, der es gelingt, die nationalen und regionalen Eigenheiten mit viel Humor und Hintersinn darzustellen, auch wenn das nun gar nichts mehr mit Schach zu tun hat.

Im abschließenden Interview mit Bronstein, geführt von einem servilen Frager, findet man den besten und geoffenbarten Bronstein; es zeigt die Probleme eines selbst denkenden Menschen, der sich für originell, ja für einen Philosophen hält: eine Menge guter Ideen gemischt mit einer Menge Unausgegorenem, beides vorgetragen im Tone der Verkündigung der ultimativen Weisheit.

Es soll nun nicht verschwiegen werden, dass sich auch eine Reihe interessanter und kommentierter Partien finden lässt und durchaus ansprechende Überlegungen zum Schach im Allgemeinen und seinen Regularien im Besonderen. Trotzdem, wenn das Buch ein Versuch gewesen sein soll, sich ein Denkmal zu basteln, dann muss es als missglückt gelten. Überall schimmert der blanke Mensch hindurch, der Kaiser ohne Kleider – vielleicht ist es besser, ein Geheimnis zu bleiben, statt seine Geheimnisse auszuplaudern, will man als Heroe erinnert werden. Am Ende war Bronstein auch nur ein Mensch, der Schach spielen konnte. Wenn man über den sorcerer (Zauberer) Bronstein sprechen wird, in zukünftigen Zeiten, so wird dieses Buch wohl keine Rolle spielen. Fazit: Es ist zuviel von etwas, von dem man eigentlich nicht genug bekommen kann – Bronstein.

David Bronstein, Sergej Voronkow: Secret Notes.

Die Besprechung erschien zuerst in Fernschachpost 3/07 (http://www.fernschachpost.de/index.php?id=15)

 

--- Jörg Seidel, 09.05.2007 ---


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