Eric Clark: Black Gambit
Im Jahre 1974, in dem Solschenizyn aus der UdSSR ausgewiesen
wurde und etwa zeitgleich das Impeachment-Verfahren
gegen Nixon den Höhepunkt der Watergate-Affäre
bildet, gerät Zorin, Moskauer Wissenschaftler und
namhafter Dissident, ins Visier der beiden Großmächte.
Sie wollen an ihm ein Exempel statuieren: Die einen
halten ihn gefangen, weisen seine jüdische Frau
aus, foltern und bespitzeln ihn, die anderen planen
aus politischem Kalkül heraus seine Flucht. Um
diese verwirklichen zu können wird ein Double gesucht,
jemand der Zorin über einige Tage lang überzeugend
spielen kann, seine Anwesenheit vorzutäuschen.
Man findet den geeigneten Mann in Parker, ein wegen
Mordes lebenslang inhaftierter Strafgefangener, für
den sich plötzlich das Tor zur Freiheit zu öffnen
scheint. Sie riskieren ihr Leben.
Beide verbindet, ohne dass sie voneinander
wissen, die Liebe zum Schach. Für beide gehört
es zum täglichen Überlebensprogramm unter
ansonsten kaum noch lebenswerten Bedingungen. Es gehört
zur natürlichen Umwelt des Intellektuellen –
"bookshelves, table and chairs
,
two chess sets, books and magazines
" (17)
–
und zum täglichen Programm des Häftlings:
"In practice it meant filling the
day with events: exercising, reading, writing, working
out chess moves. Prison confined you, but you lived
as possible within those confines (97).
Der Plan wird in die Tat umgesetzt, alles
scheint wie vorausgesehen zu gelingen; Zorin flieht
als Parker nach Amsterdam, Parker hält als Zorin
die Stellung. "The plan was basically simple".
Doch wie im Schach kann auch der einfachste Plan am
Unvorhergesehenen, am Zufall, am unübersichtlichen
Gemisch der Interessen, am Gegner, am eigenen Unvermögen
scheitern. Die nun folgende Katastrophe aus der nur
die unantastbaren Drahtzieher gestärkt hervorgehen,
kann als Sinnbild menschlichen Tuns gelesen werden.
Das Leben ist zu voll, als dass alle Eventualitäten
geplant werden könnten. Deshalb geht jede konzertierte
Aktion mit ihrem Scheitern schwanger und das Resultat
ist von niemandem gewollt und doch von allen verursacht.
Diesbezüglich ist die große Schachklammer,
die das geradlinig und spannend geschriebene Buch umfasst,
durchaus schlüssig. Auch stilistisch macht die
literarische Reduktion des an sich zu komplizierten
(Spiel des) Lebens die Schachanalogie sinnvoll, sofern
man die Reduktion akzeptiert. Daher wirken eigentlich
pathetische Szenen wie die folgende, in der Parker erstmals
Zorins verlassenen Raum betritt, dennoch glaubhaft:
"
there was a game in progress
on the chessboard. It was a game he recognized, a good
one to reenact because of its twists and excitements.
But it was an odd one for Zorin to choose at a time
like this.
As an avid chess player Parker knew that,
notwithstanding what people believe, luck can play a
part in chess.
This game was known as Steinitzs
missed immortal, played back in the 1880s.
Its great interest lay in the fact that the player who
should theoretically have won had pursued a policy of
sacrificing pieces in order to ensure his final victory
– but had, in fact, lost the game because of precisely
the element of bad luck.
Parker wandered back to the chessboard,
picked up a queen and took a rook. Did the game reflect
Zorins fear? Or was Parker reading too much into
too little?" (171f.).
Über derartige Bilder hinaus ist
es aber besagte Schachklammer, die das Buch wirklich
interessant macht. "Black Gambit" schreit
es in roten Lettern dem Leser entgegen – Schwarz
ist es wegen seiner menschenverachtenden Perfidie -
und erklärt noch vor dem Text:
"GAMBIT: A chess move in which a
player voluntarily sacrifices one or more pawns in an
attempt to gain long-term advantage.
Und auf dem Rückumschlag weiß
es folgendes mitzuteilen:
"Power politics is a game of chess
between nations. Ambitious men plan the strat-egy, but
the pieces they move are men too. This is the story
of two men whose lives are at stake. Two men who are
pawns in a game between the U.S. and the U.S.S.R. The
next move is a maneuver of sacrifice.
Menschenleben spielen keine Rolle, sie
werden geopfert, wo es den Führern der Spielsteine
legitim erscheint, wo es größere Ziele anzustreben
gilt, ganz gleich ob Ost oder West. Beide sitzen der
utopistischen Illusion einer besseren Welt auf, aber
die Welt ist auch nach einem grausamen Ende nicht besser
geworden
Zumindest aber reicher um ein wirklich
spannendes Buch.
Eric Clark: Black Gambit. Warner
Books. New York 1979 (1977). 222 Seiten
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--- Jörg Seidel, 21.08.2003 --
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