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Clark Darlton: Todesschach
Remistod, Computertod, Analysetod? Alles
Unsinn! Wenn die waghalsigen Voraussagen der Science-Fiction-Eminenz
stimmen, dann wird das Schachspiel im 23. Jahrhundert
populärer sein denn je, dann wird man es überall
mit Begeisterung spielen: auf der Erde, auf dem Io und
selbst die tägliche weltumspannende Fernsehshow
wird nichts Geringeres sein als: Todesschach!
Dabei handelt es sich um eine Lebendschachvariante
in unwegsamem Gelände, wo die Spielfiguren sich
auf Gedeih und Verderb schlagen und wo die beiden Spielleiter
ewige Ehre oder Scham ernten. Denn dieses blutrünstige
Spiel wird weltweit und live in die Wohnstuben übertragen;
sein tieferer Sinn ist es, die "animalischen",
die blutrünstigen Triebe der Menschheit zu bändigen
und zu befriedigen, in einer Welt, in der sonst alles
in Ordnung ist. Fast in Ordnung! Es gibt nämlich
immer noch ein paar Nörgler, die unter wirklicher
Freiheit auch die Befreiung vom Diktat der Massenmedien
verstehen und die dafür auch wieder den Krieg riskieren.
Einer dieser Freiheitskämpfer der Untergrundbewegung
ist Thorn, ein Juniorenmeister im Schach. Mira, seine
Freundin, ist nicht minder begabt im Spiel, gerät
aber in die Fänge der Sicherheitspolizei und wird
lebenslang auf den Saturnmond Io verbannt. Von dort
gibt es nur einen einzigen Rückweg: man muss sich
als Spielfigur im Todesschach bereitstellen, Kopf und
Kragen riskieren. Wer aber soll dafür besser geeignet
sein als eine begnadete Schachmeisterin? Das weiß
auch Thorn, insgeheim bereitet er Miras Rückkehr
vor. Dabei tut er sich mit Grams zusammen, dem unbestrittenen
Meister des grausamen Spiels, der schon Dutzende Partien
gewann, noch mehr Leben auf dem Gewissen hat, wenn er
denn eins besäße – ein Gewissen.
Das Ganze wird noch von einer politischen
Intrige um einen medial inszenierten Marionettenkönig
hinterlegt, aber ich bin ein zu schlechter Schachspieler
um alle höchstverwickelten Züge dieses etwas
verwirrenden Büchleins zu durchschauen. Am Ende
überschlagen sich die Ereignisse gleich mehrfach,
Thorn und Mira treffen sich als Spielfiguren beim Todesschach,
töten sich und erstehen wieder auf
Aber anstatt diesen Verwicklungen weiter nachzugehen,
wollen wir uns noch einmal dem Buch und dem Todesschach
widmen.
Clark Darltons Handlungsideen klingen
alle nicht neu; sei es "Alice im Spiegelland",
die die Matrix liefert, oder seien es Orwells "1984",
Sheckleys Klassiker "Das zehnte Opfer" (1962)
und Stephen Kings alias Richard Bachmans frühes
Werk "The Running Man" (1970) etc, sie alle
finden ihre Referenz und selbst Shakespeares unsterbliche
Idee aus "Romeo und Julia" kommt zu unverhofften
Ehren. Vielleicht kommt einem vieles auch so abgedroschen
vor, weil berühmte Filmleute sich freigiebig aus
diesem Bilderpool bedienten; man denke nur an Woody
Allens "Sleeper" (1973) oder Schwarzeneggers
"Running Man" (1987).
Vom Schach abgesehen verdient das Buch
wohl nur noch aus politischer Sicht Aufmerksamkeit,
denn wie so oft im utopischen Roman werden Probleme
der modernen Gesellschaft aufgenommen, weitergesponnen,
überzogen, um eventuell lauernde Gefahren aufzuzeigen.
Das wiederum klingt im Jahre 2004 oft noch genauso frisch
wie 1970. Wenn es doch nur etwas tiefer analysiert wäre
und nicht nur Symptombenennung bliebe! Was ist real
im medialen Zeitalter? Wie möglich ist ein dauerhafter
Frieden und Wohlstand oder sehnen sich Menschen tatsächlich
immer nach (ein bisschen) Blut und permanenter Abwechslung?
Führt die totale und totalitäre Demokratie
tatsächlich zu "Dekadenz und Zerfall aller
moralischen Begriffe"? Derartig großkalibrige
Fragen werden tatsächlich gestellt - aber leider
nicht ernsthaft zu beantworten versucht, ignoriert man
die eine oder andere pseudo-nietzscheanische Clownerie
auf der einen, und ein wenig politikertypisches Demokratiegelaber
auf der anderen Seite: "Es ging den Menschen zu
gut. Demokratie machte sie schwach und anfällig"
(81) und: "Politische Gegner müssen mit Argumenten,
nicht mit Drohungen überzeugt werden, sonst werden
sie immer Gegner bleiben.
denn es geht um Humanität"
(66f.).
Handfester geht es schon beim Todesschach
zu. Gesteuert werden die Spielfiguren von zwei gottähnlichen
Spielleitern, gespielt wird auf freiem Gelände,
dem ein Schachbrettmuster zu Grunde liegt, durch Gräben
abgeteilte riesige Felder. Alle Figuren sind unterschiedlich
bewaffnet; treffen zwei aufeinander, müssen sie
sich auf Leben und Tod bekämpfen. Wer wen schlägt,
hängt nicht mit der Zugfolge zusammen. Es kann
zu Figuren- und Farbumwandlungen kommen, wenn die niedrigere
eine höhere Figur besiegt: Weiß wird dann
Schwarz und Messer/Lanze zur Maschinenpistole und Nachtsichtgerät
etc. Das gesamte Spiel wird auf verschiedenen Bildschirmen
und aus diversen Perspektiven übertragen. "Professor
Kofoltow, der Erfinder des Todesschachs, hatte bei der
Aufstellung seiner Regeln an alles gedacht. Es handelte
sich im Grunde genommen um eine Weiterentwicklung des
Schachspiels der mittelalterlichen Maharadschas, die
mit lebenden Figuren zogen und schlugen. Kofoltow kombinierte
dieses an sich harmlose Spiel mit den Gladiatorenkämpfen
der altrömischen Kaiserepoche" (16f.). Anfänglich
durften nur Freiwillige teilnehmen, erst später
wurde das Spiel durch eine Teilnahme von Io-Gefangenen
"entehrt". Ziel war die bedingungslose Unterhaltung
der Massen und obwohl diese anfangs gebannt wurden,
so mehrten sich doch die Stimmen der Langeweile: ein
richtiger, echter Krieg sollte es nun sein!
So abgefahren derartige Hirngespinste
auf den ersten Blick anmuten mögen, vor dem Hintergrund
der neuesten Realityshows kann einem das Herz in der
Brust hüpfen: Hoffen wir, dass die Visionen (nicht)
wahr werden?
Clark Darlton: Todesschach. Rastatt/Baden
1981 (1970). 161 Seiten
--- Jörg Seidel, 13.10.2004 ---
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