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Geoffrey Davison: "Scacco matto alla spia"
Ein klassischer Spionageroman. Klassisch nicht im Sinne
des klassischen Kanons, sondern im Klischeesinn: ein
Roman, der alle klassischen Spionageklischees erfüllt,
der letztlich so klassisch ist, dass man ihn nicht lesen
müsste, stände er nicht unter dem Originalsignum:
"The chessboard spies", trüge er also
nicht den Namen des Schachspiels im Titel und gehörten
wir nicht zur Klasse der Schachfans, die alles liest,
wo Schach drauf steht, selbst dann, wenn kein Schach
drin ist.
Der britische Spion Fletcher, ein Mann
aus Eisen und Eis, gerät während einer Untersuchung
zwischen die Fronten - wie gesagt, klassisch eben. Der
Mann findet sich in Istanbul wieder, wird von russischen
Killern verfolgt, von kurdischen Rebellen entführt,
er steht auf der Liste des Mossad, verstrickt sich in
CIA und MI5-Geschichten und was weiß ich noch
alles - kein Mensch, der da noch durchsieht. Natürlich
endet das Buch, welches in kurzen und markigen Sätzen,
die dem Leser wie Salven um die Ohren flattern, mit
dem Sieg des Guten (besagtem Fletcher - der für
Demokratie und Menschenrechte tötet) und mit dem
Tod der Bösewichter, die nun seit ewigen Zeiten
am Frieden der Welt rühren. Fletcher wird neuen
Zielen entgegengehen, er wird neue Frauen am Wegrande
pflücken und das ist gut so, denn gäbe es
Männer wie Fletcher nicht, unser Leben und das
der gesättigten Frauen wäre um vieles schwerer.
Ohnehin weiß im Durchgang dieses Buches kein Leser
mehr, wer mit wem oder wer gegen wen, ganz egal, am
Ende wird alles gut, die große Todes- und Liebesorgie
löst sich zyklisch in Wohlgefallen auf - schließlich
will man ja noch mehr Bücher schreiben.
Was das mit Schach zu tun hat? Nichts
natürlich! Oder doch, alles. Denn ist es nicht
wie wenn die Figuren immer wieder neu aufgebaut werden,
sich im gegenseitigen Ringen vermischen, bekämpfen,
bis schließlich der Gute, der Bessere gewinnt,
sich alles in Freude auflöst, um die Figuren in
der ewigen Wiederkehr erneut aufzustellen...? Man muss
den überbordenden Gebrauch von Schach- und Spielmetapher
gelten lassen. Böse Menschen treiben ihr Spiel,
ganz böse auch mal ein doppeltes, so wie Timowsky,
der "kein Neuling im Spiel war" (11), nur
leider, wie der Name schon sagt, auf der falschen Seite
stand. Damals zumindest, als die Welt noch in ihrer
Ordnung war, als auch die Herren Großmeister,
die auf -ow enden, noch für die falsche Seite die
Figuren schoben. Hier wie dort sucht man den besten
Zug oder den des Gegners zu parieren, um nicht matt
gesetzt zu werden: "'Beunruhige dich nicht David',
sagte Spencer in seiner mürrischen Art und Weise.
'Noch nie haben sie uns Schach matt gesetzt, bisher,
und sie werden es auch diesmal nicht schaffen. Wir sind
zu gut'- 'Na klar', antwortete Maxwell, 'Das Problem
ist nur, dass jeder Zug schwieriger zu widerlegen sein
wird.'" (63) Und so weiter; man glaubt stellenweise
Gesprächen im Turniersaal zu lauschen, statt in
den wilden Bergen Kurdistans. Ein Buch, das sich, wie
viele dieses Genres, permanent selbst widerspricht,
eben weil es die Schachmetapher nutzt, denn sie
taugt nicht im Geringsten. Sie wird überreizt.
Während in derartigen Romanen suggeriert werden
soll, dass Politik oder Spionage oder kriminelle Machenschaften
und eigentlich auch alles andere wie ein Schachspiel
ablaufen, dass alles also irgendwie einfach zu erklären
sei, so wird doch übersehen, dass es immer nur
zwei sein können, die Schach spielen. Um diese
peinliche Illusion wenigstens für die kurze Lesezeit
aufrecht erhalten zu können, wird dem Leser sogar
ein Abstraktionsakt zugemutet - der einzige übrigens:
er muss die Welt in zwei Teile teilen, was darüber
ist, das ist vom Übel, in Gut und Bös', in
Schwarz und Weiß. Natürlich wird dem Leser
der Anzugsvorteil garantiert, er spielt mit den weißen
Steinen. Nur, um beim Thema zu bleiben, wo stehen dann
die Chinesen, die Israelis, die Palästinenser,
wo die Inder, die Franzosen usw. Amerika gut - Russen
böse, das klappt ja noch irgendwie, aber im Gewirr
der Interessen, die auch dieses Buch breit entfächert,
will das Schema oft nicht passen. Allein schon, dass
CIA, FBI, MI5 usw. interne Streitereien austragen, müsste
den schachmetaphorisch orientierten Leser verunsichern.
Selbst in solch simplifizierten Welten, wie der des
Topspions Fletcher ist die Welt zu kompliziert, um im
Schachspiel befriedigend widergespiegelt zu werden.
Fazit: Lieber eine Partie Schach als dieses Machwerk
noch mal gelesen.
Geoffrey Davison: Scacco matto alla
spia. Milano 1972. Longanesi. 179 Seiten
Aktuell politischer Appendix: Offensichtlich gibt
es omnipotente Spione wie Fletcher auf dem Schachbrett
der aktuellen Politik nicht mehr, oder wie will man
sich das Versagen amerikanischer und westeuropäischer
Geheimdienste angesichts der katastrophalen Ereignisse
in New York und Washington erklären? Dafür
aber gibt es noch immer Männer seines Geistes,
Männer, die die Welt wieder in Gut und Böse,
in dead or alive, in Schwarz und Weiß zu teilen
vermögen und sie so zum Sieg führen wollen,
die ganze Welt wohlgemerkt. Nur gegen wen? Wer mag der
Feind der Welt sein? Fragen, die man dem nächsten
Präsidenten, wenn es ihn denn geben wird, stellen
kann.
--- Jörg Seidel, 24.09.2001---
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