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LITERATUR
5. August 2003

David Delman: The Last Gambit

Chess, like life, is no game for fools.

George Santayana


Mehr Schach kann man sich in einem Krimi nicht wünschen. Das Opfer und der vermeintliche Täter sind russische Meister, Ort des Geschehens ist ein internationales Turnier – das Capa-Open -, an dem selbst der Detektiv, ein passionierter Schachfreak, mit freilich nur begrenzten Fähigkeiten (ein "rating low enough for dogs to urinate on it = 1155 USCF), teilnimmt. Bei letzterem – er liebt es u.a. Bernstein versus Mieses, 1904, nachzuspielen [1] – handelt es sich um Jacob, männlicher Teil des Detektiv-Ehepaares Horowitz, das David Delman mit einer ganzen Reihe von Titeln in die moderne Kriminalliteratur einführte. Das Mordopfer ist Kaganowich, ein amerikanischer Weltklassespieler russischer Abstammung, gut aussehend, Frauenliebling und in dauernder Fehde mit Tsarow, der sowjetischen Nummer 1 stehend. Hinzu kommen noch einige andere skurrile Figuren, fast alle der Szene entstammend; zusammen formen sie, gemessen am Schachanteil, den Schachkrimi schlechthin. Ganz klar, dass dann auch die Dreiteilung in Opening, Middle Game und End Game nicht fehlen darf, ebenso wie eine Unzahl an Schachzitaten aus berufenem Munde: Ruy Lopez, Lasker, Tartakower, Chernev und wie sie alle heißen. Tatsächlich liest sich das Buch hier am besten: als Turnierbeschreibung. Und es gibt ja doch nichts Spannenderes als ein gutes Schachturnier, oder? Zumindest tritt Delman nicht den Gegenbeweis an, denn obwohl die Kriminalgeschichte fast alle Ingredienzien eines einwandfreien Plots aufweist – Liebe, Passion, Hass, Amerika und Russland, KGB und CIA, Drohbriefe und Entführungen und jede Menge sinistre Gestalten – läuft es doch einfach nicht zusammen. Es fehlt das besondere Etwas, der gewisse Kick, jene noch unaufgeklärte Fähigkeit, die es großen Krimiautoren gestattet, Handlungen spannend und interessant zu gestalten. So geschieht dem Leser, was geschehen muss und was selbst der Held nicht verhindern kann: "Suddenly Jacob yawned. It was an uncalculated yawn, a yawn without a trace of ulterior motive … the yawn had slipped out”. Zumindest erging es mir so, aber wer weiß, möglicherweise geschieht dem Buch da Unrecht, vielleicht ist es die typische amerikanische Coolness, welcher der europäische Leser eher verständnislos gegenübersteht, die auf empfänglichere Seelen witzig wirken mag (was sie wohl soll), die man aber übern großen Teich nur als sinnfreies Wortgeplänkel und also Langeweile entziffert.

In Erinnerung jedenfalls wird "The last Gambit" nur als "Schachbuch" mit wenigen gelungenen Aussagen à la " Chess players, a diverse enough breed, all had that much in common: the game first, civilities a distant second", bleiben, als versuchter Krimi, in dem so häufig vom Königlichen Spiel gesprochen wird wie sonst nirgendwo (was die Frage offen lässt, was denn schachlich Unbedarfte an dem Werkchen finden sollen), mit einigen netten Gesten und Bildern, die den Schachfan rühren werden: "’Want a game’ Jacob asked politely. The invitation was taken under advisement. ‚Do you have a rating?’”.

Vielleicht liest man es am sinnvollsten als Einführung für Anfänger in die leicht-verrückte Schachwelt.

 

--- Jörg Seidel, 05.08.2003 ---


[1] Dies zumindest weist Jacobs und Delmans Kennerschaft nach, denn mit der gewagten Königswanderung schuf Bernstein tatsächlich eine herausragende Partie:
Bernstein,O - Mieses,J [B45]
DSB-14.Kongress Coburg (13), 1904
1.e4 c5 2.Nc3 e6 3.Nf3 Nc6 4.d4 cxd4 5.Nxd4 Nf6 6.Nxc6 bxc6 7.e5 Nd5 8.Ne4 f5 9.exf6 Nxf6 10.Nd6+ Bxd6 11.Qxd6 Ne4 12.Qd4 Nf6 13.Qd6 Ne4 14.Qb4 d5 15.Bd3 Qd6 16.Qxd6 Nxd6 17.f4 a5 18.Be3 Ba6 19.Kd2 Nc4+ 20.Bxc4 Bxc4 21.a4 Kd7 22.b3 Ba6 23.Bb6 Bc8 24.Ke3 Ra6 25.Bc5 Kc7 26.Kd4 Bd7 27.Rhe1 h5 28.Re5 g6 29.Rg5 Rg8 30.Ke5 Bc8 31.Re1 Ra8 32.Kf6 Bd7 33.g3 Rae8 34.Ree5 Rh8 35.Rxg6 Rh7 36.Rg7 Reh8 37.Rxh7 Rxh7 38.Kg6 Rh8 39.Kg7 Rd8 40.Rxh5 Be8 41.Rh7 Rd7+ 42.Kh6 Rxh7+ 43.Kxh7 Bh5 44.h4 Bd1 45.c3 Bxb3 46.g4 Kd7 47.g5 e5 48.f5 Bxa4 49.f6 1-0


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