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Michael Dobbs: Schach dem König
Politics is perhaps the unkindest, least charitable form of ritualized abuse allowed within the law; the trick is to pretend it doesn't hurt.
Michael Dobbs
Wenn nur die Hälfte dessen stimmt, was Michael
Dobbs in seiner Bestseller-Trilogie um den britischen
Premierminister Francis Urquhart andeutet, dann ist
hohe Politik, hinter den Fassaden, tatsächlich
so dreckig und verkommen, wie wir es immer schon vermuteten.
Dobbs zeichnet ein großartiges Gemälde des
politischen Lebens auf höchster Ebene, das sich
zwar nicht durch virtuose sprachliche Behandlung des
Stoffs auszeichnet, aber die stilistische Geradlinigkeit
wird durch das, was wir zu sehen bekommen, wett gemacht,
so wie ein skandalöses Paparazzi-Foto von miserabler
Qualität sein kann und trotzdem alle Blicke auf
sich zieht. Ohne Zweifel versteht der Autor sein Handwerk,
auch wenn er kein Künstler ist; was seine Bücher
jedoch besonders attraktiv macht, ist der Schein der
Authentizität, denn Dobbs ist einer, so erfährt
man, der viele Jahre im inneren Zirkel der Macht, an
der Seite Margaret Thatchers und John Majors verbrachte.
Plaudert er aus der Schule oder ist alles nur Fiktion?
"Inside information. Its what makes the world
go round".
Besonders im ersten Band – "House
of Cards" -, welches den Aufstieg des fast namenlosen
Präsidentenberaters Urquhart zum politischen Olymp
schildert, gelingt es ihm recht überzeugend, das
Geflecht von Medien-Politik-Wirtschaft zu entwirren,
dessen Hauptstränge aus Intrigen, Manipulation,
Spionage, aus Schauspiel, Karrierismus und Affären
zu bestehen scheinen, legt er dar, wie Macht korrumpiert,
persönliche Beziehungen verändern lässt,
vor allem aber, wie sehr moderne Politik mediengesteuert
ist. Hauptthema des politischen Alltags sind demzufolge
Statistiken und Meinungsumfragen - "Opinion polls
are the weapon of civil war" – und Papier
ist bekanntlich geduldig. Politiker beschäftigen
sich vor allem mit einem: mit sich selbst und selbstgeschaffenen
Problemen und Skandalen.
Leider bleibt der zweite Band –
"To Play the King" - weit hinter der eigenen
Leistung zurück, nicht zuletzt weil die Gesamtheit
der Komponenten auf eine einzige reduziert wird, auf
den Sex. Das mag zwar dem Verkauf dienlich sein, der
literarische und informative Wert wird dadurch allerdings
wesentlich gemindert. Geschildert werden Urquharts erste
Wochen als neuer Premier und dessen Kampf gegen die
Monarchie. In nahezu prophetischem Ton – manches
wurde später tatsächlich Wahrheit (z.B. Lady
Di) – entwirft er den in Skandale verstrickten
Untergang der Royals.
Elf Jahre später begegnet man Urquhart
erneut in "The Final Cut", in dem Dobbs seinen
analytischen Geist weitestgehend zugunsten des "thrills"
aufgibt, was das Buch auf andere Art und Weise wieder
gut lesbar macht. Endlich holt den gestandenen PM die
eigene unrühmliche Kriegsvergangenheit ein und
außenpolitische Verwicklungen wachsen ihm über
den Kopf. Das Buch, welches auf dem deutschen Markt
unter "Schach dem König" inklusive abgebildeter
Schachfigur, gehandelt wird, endet in einem furiosen
Finale, das so großartig wie unwahrscheinlich
ist. Mit Schach freilich hat es noch weniger zu tun
als mit politischer Realität. Sieht man mal von
einigen spiel- und schachmetaphorischen Wendungen, wo
von Bauern auf dem großen Schachbrett ("a
pawn like a million others in the game of the great"
[1]) oder einer Remisstellung [2] die Rede ist u.ä., ab,
so gibt es in der gesamten Trilogie überhaupt nur
eine einzige, noch dazu irrelevante, Schachreferenz:
"The informality of their earlier meetings had
been replaced by an almost theatrical precision, like
two chess players taking patient turns with the pieces
[3] " Es ist daher irrig, wenn man "Schach dem
König" noch immer in Schachliteraturlisten
findet [4].
Micheal Dobbs:
House of Cards. London 1993 (1989). 384 Seiten (dt.
Ein Kartenhaus)
To Play the King. London 1993 (1992). 316 Seiten (dt.
Um Kopf und Krone. Intrigen aus dem Zentrum der Macht)
The Final Cut. London 1995. 478 Seiten (dt. Schach dem
König)
Die Trilogie wurde von BBC in einer
erfolgreichen Serie verfilmt:
http://www.tvheaven.ca/fu.htm
--- Jörg Seidel, 22.07.2003 ---
[1]
House of Cards, 343
[2] The Final Cut, 168
[3] To Play the King, 126
[4] z.B.: http://www.planet-interkom.de/klaus.raczek/schach.htm
http://www.toms-krimitreff.de/schachkrimis.html
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