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LITERATUR
1. Dezember 2004

Andy Graham: J'ADOUBE

The time-honoured game of chess and its symbolic struggle, a struggle of human and immortal consequence, the game of warriors and great thinkers alike, must never be reduced to a mere sequence of binary numbers. That must never happen, ever.

Caissa


Es genügt, den Prolog zu lesen, die Geschehnisse eines denkwürdigen Schachspiels zwischen Schlaf-Gott Morpheus und dem teuflischen Prinz Belfagor, oder auch nur das erste Kapitel, jene großartige und unterhaltsame Schilderung des Mückenjagens vor weißgetünchter Wand italienischer Häuser, um zu wissen, dass Andy Graham ein wahrer Meister seines Faches ist. Das unterstellt nicht automatisch ein Meisterwerk – dafür überdreht der Turbo zu oft -, aber es versichert ein wahrhaft unterhaltsames Leseerlebnis, a damn good read, ein Ideenfeuerwerk!

Angestiftet wird das Chaos von keiner Geringeren als der Schachgöttin Caissa persönlich, die sich ausgerechnet meist mit "Blitzkrieg" herumtreibt, dem deutschstämmigen Biergott. Wenn der eine Molle zu viel trinkt, dann… aber für die hundert amüsanten Nebengeschichten fehlen uns hier Raum und Zeit. Konzentrieren wir uns auf die drei Haupterzählfäden, die Graham gekonnt zu einem Zopf bindet, zu einem furiosen tail end.

Da ist zuerst Max, ein italienischer Schachspieler mit ehrgeizigen Ambitionen aber zu wenig Potential (kein Wunder für einen Liebhaber der Leningrad-Dutch-Eröffnung). Er erlernt plötzlich die Fähigkeit, seinen Körper zu verlassen und als reine Nur-Seele im Zeitlosen zu schweben. Damit kann man nicht nur erfolgreich Spielcasinos plündern oder der langbegehrten Sekretärin untern Rock gucken, damit lässt sich auch die Schachspielkompetenz wesentlich erweitern: Während der Körper unverdächtig am Brett hockt, kann der Geist fleißig Eröffnungswerke durchblättern oder einfach unendlich lange nachgrübeln. Das ist der Grund, weshalb Caissa ihm diese Fähigkeit verlieh, weshalb sie ein Treffen mit ihm in der Waschmaschine arrangierte, denn Max soll ihre Ehre retten! Er muss das Schachturnier von Salsomaggiore gewinnen.

Dort nämlich wird Pierre Belvois auftauchen, dem man gerade einen Chip ins Gehirn verpflanzte, um aus ihm einen Superman, einen Supersoldaten zu machen. Mithilfe des Gadgets kann er jederzeit beliebige Mengen von Adrenalin freisetzen – nichts hindert ihn mehr am ununterbrochenen 24-Stunden Input. Böse Menschen wollen sich mit diesem Prototyp und dessen Nachfolgern eine goldene Nase und ewige Macht verdienen. Nachdem Halbmensch Belvois gerade drei Kämpfer eines Sondereinsatzkommandos in nullkommanichts außer Gefecht gesetzt hat und auch sonst außergewöhnliche Fähigkeiten zeigte, muss nun der Schachtriumph als letzter Beweis seiner Allroundakzeleration her. Es ist sicher kein Fehler, diesen Erzählfaden mit Grahams vorangestellter Buchwidmung zu verknüpfen: "to Gary Kasparov, with awesome appreciation for his heroic representation of mankind against machine". Ganz einfach gerät das freilich alles nicht, denn dieses Hybridmonster kreiert jede Menge Schwierigkeiten; es kann nichts vergessen, will alles wissen und erlernt mehr als kinderleicht. Die Pläne des bald perfekten Guitarreros überschneiden sich mit denen des Schachgenies und die schier unerschöpfliche sexuelle Leistungsfähigkeit erweckt unausweichlich weibliches Interesse etc.

Zu alledem gesellen sich Morph, Chris und Ali; ein gescheiterter Plastikschildchenhändler, ein ungewaschener ewig kiffender Hippy und ein persischer Exilaraber mit einer seltenen Elektrogeräteallergie. Alles Elektrische, was in seine Nähe kommt macht – sofern er nicht stinkbesoffen ist - Fzzz…puff…whee…bang!, gibt den Geist auf, ob Auto, Uhr, Handy…oder eben Hirnchip.

Schicksalhaft bewegen sich die drei Parteien aus verschiedenen Richtungen auf Salsomaggiore zu. Ging bis dahin schon alles drunter und drüber, so gerät im örtlichen Spielsaal zum großen Showdown scheinbar alles aus der Bahn.

Belvois, bislang ein namenloser unter den Caissajüngern, versenkt, geifernd und zähneknirschend, einen Spitzenspieler nach dem anderen – "I eat grandmasters for breakfast. … Play and prepare for annihilation, grandmaster Mysloviç" – und trifft schließlich auf Max und dessen Astralleib. Um den Quasicomputer aus dem Tritt zu bringen, eröffnet er die epische Schlacht mit 1. a3! e5 und 2. d4! … Kann das gut gehen? Zum Glück hat Caissa mit Elektro-Ali noch ein zweites Eisen im Feuer bzw. auf der Toilette versteckt. Aber wie im richtigen Schachleben kommt es auch im fiktiven erstens anders und zweitens als man denkt. Am Ende ist es – oje, oje -, ist es die Liebe, die den Sieg davonträgt! Ihr allein haben wir Caissas Überleben und Belvois letztes und kürzestes Spiel zu danken: 1. e4 g5! 2. d4 f5! 3. Dh5 Schachmatt. Fools mate. Glück auf der ganzen Linie, Happy End für alle Beteiligten.

Kein perfektes, aber ein großartiges Buch!

 

Andy Graham: J’ADOUBE. London 2001. 271 Seiten

 

--- Jörg Seidel, 01.12.2004 ---


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