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Andy Graham: J'ADOUBE
The time-honoured
game of chess and its symbolic struggle, a struggle
of human and immortal consequence, the game of warriors
and great thinkers alike, must never be reduced to a
mere sequence of binary numbers. That must never happen,
ever.
Caissa
Es genügt, den Prolog zu lesen, die Geschehnisse
eines denkwürdigen Schachspiels zwischen Schlaf-Gott
Morpheus und dem teuflischen Prinz Belfagor, oder auch
nur das erste Kapitel, jene großartige und unterhaltsame
Schilderung des Mückenjagens vor weißgetünchter
Wand italienischer Häuser, um zu wissen, dass Andy
Graham ein wahrer Meister seines Faches ist. Das unterstellt
nicht automatisch ein Meisterwerk – dafür
überdreht der Turbo zu oft -, aber es versichert
ein wahrhaft unterhaltsames Leseerlebnis, a damn
good read, ein Ideenfeuerwerk!
Angestiftet wird das Chaos von keiner
Geringeren als der Schachgöttin Caissa persönlich,
die sich ausgerechnet meist mit "Blitzkrieg"
herumtreibt, dem deutschstämmigen Biergott. Wenn
der eine Molle zu viel trinkt, dann
aber für
die hundert amüsanten Nebengeschichten fehlen uns
hier Raum und Zeit. Konzentrieren wir uns auf die drei
Haupterzählfäden, die Graham gekonnt zu einem
Zopf bindet, zu einem furiosen tail end.
Da ist zuerst Max, ein italienischer
Schachspieler mit ehrgeizigen Ambitionen aber zu wenig
Potential (kein Wunder für einen Liebhaber der
Leningrad-Dutch-Eröffnung). Er erlernt plötzlich
die Fähigkeit, seinen Körper zu verlassen
und als reine Nur-Seele im Zeitlosen zu schweben. Damit
kann man nicht nur erfolgreich Spielcasinos plündern
oder der langbegehrten Sekretärin untern Rock gucken,
damit lässt sich auch die Schachspielkompetenz
wesentlich erweitern: Während der Körper unverdächtig
am Brett hockt, kann der Geist fleißig Eröffnungswerke
durchblättern oder einfach unendlich lange nachgrübeln.
Das ist der Grund, weshalb Caissa ihm diese Fähigkeit
verlieh, weshalb sie ein Treffen mit ihm in der Waschmaschine
arrangierte, denn Max soll ihre Ehre retten! Er muss
das Schachturnier von Salsomaggiore gewinnen.
Dort nämlich wird Pierre Belvois
auftauchen, dem man gerade einen Chip ins Gehirn verpflanzte,
um aus ihm einen Superman, einen Supersoldaten zu machen.
Mithilfe des Gadgets kann er jederzeit beliebige
Mengen von Adrenalin freisetzen – nichts hindert
ihn mehr am ununterbrochenen 24-Stunden Input. Böse
Menschen wollen sich mit diesem Prototyp und dessen
Nachfolgern eine goldene Nase und ewige Macht verdienen.
Nachdem Halbmensch Belvois gerade drei Kämpfer
eines Sondereinsatzkommandos in nullkommanichts außer
Gefecht gesetzt hat und auch sonst außergewöhnliche
Fähigkeiten zeigte, muss nun der Schachtriumph
als letzter Beweis seiner Allroundakzeleration her.
Es ist sicher kein Fehler, diesen Erzählfaden mit
Grahams vorangestellter Buchwidmung zu verknüpfen:
"to Gary Kasparov, with awesome appreciation
for his heroic representation of mankind against machine".
Ganz einfach gerät das freilich alles nicht, denn
dieses Hybridmonster kreiert jede Menge Schwierigkeiten;
es kann nichts vergessen, will alles wissen und erlernt
mehr als kinderleicht. Die Pläne des bald perfekten
Guitarreros überschneiden sich mit denen des Schachgenies
und die schier unerschöpfliche sexuelle Leistungsfähigkeit
erweckt unausweichlich weibliches Interesse etc.
Zu alledem gesellen sich Morph, Chris
und Ali; ein gescheiterter Plastikschildchenhändler,
ein ungewaschener ewig kiffender Hippy und ein persischer
Exilaraber mit einer seltenen Elektrogeräteallergie.
Alles Elektrische, was in seine Nähe kommt macht
– sofern er nicht stinkbesoffen ist - Fzzz
puff
whee
bang!,
gibt den Geist auf, ob Auto, Uhr, Handy
oder eben
Hirnchip.
Schicksalhaft bewegen sich die drei Parteien
aus verschiedenen Richtungen auf Salsomaggiore zu. Ging
bis dahin schon alles drunter und drüber, so gerät
im örtlichen Spielsaal zum großen Showdown
scheinbar alles aus der Bahn.
Belvois, bislang ein namenloser unter
den Caissajüngern, versenkt, geifernd und zähneknirschend,
einen Spitzenspieler nach dem anderen – "I
eat grandmasters for breakfast.
Play and prepare
for annihilation, grandmaster Mysloviç"
– und trifft schließlich auf Max und
dessen Astralleib. Um den Quasicomputer aus dem Tritt
zu bringen, eröffnet er die epische Schlacht mit
1. a3! e5 und 2. d4!
Kann das gut gehen? Zum
Glück hat Caissa mit Elektro-Ali noch ein zweites
Eisen im Feuer bzw. auf der Toilette versteckt. Aber
wie im richtigen Schachleben kommt es auch im fiktiven
erstens anders und zweitens als man denkt. Am Ende ist
es – oje, oje -, ist es die Liebe, die den Sieg
davonträgt! Ihr allein haben wir Caissas Überleben
und Belvois letztes und kürzestes Spiel zu danken:
1. e4 g5! 2. d4 f5! 3. Dh5 Schachmatt. Fools mate. Glück
auf der ganzen Linie, Happy End für alle Beteiligten.
Kein perfektes, aber ein großartiges
Buch!
Andy Graham: JADOUBE. London 2001.
271 Seiten
--- Jörg Seidel, 01.12.2004 ---
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