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A chess player's calculation?
David Hood: The Chess Men
- I love you. I'm sorry.
- You what?
- I'm sorry.
- No, the other thing you said.
- Oh, that...I love you
Man stelle sich zusammen alle negativen Charaktereigenschaften
von Fischer, Kasparow und Short vor, mische noch ein
wenig Alltagsuntauglichkeit und Weltfremdheit dazu und
vor dem geistigen Auge entsteht ein ziemlich exaktes
Bild des jungen John Harringhay, bevor er die Katharsis
der sich überhäufenden Ereignisse durchlief,
die ihn zum liebenswerten Jungen macht, der wieder lachen
kann, lieben kann, retten kann und, ganz klar, genial
denken. John H. ist eine von zwei zentralen Figuren
des Romans "The Chess Men" und er ist –
die obige Prominentenriege bürgt dafür –
ein Wunderkind, ein Schachgenie, das, zwanzigjährig,
sich anschickt, zum besten Spieler der Welt zu werden.
Genie, so will uns David Hood in seinem
1999 erschienen Krimi wohl sagen, wird vererbt, manchmal
eben über die zweite Generation, denn Johns Großvater,
die zweite Zentralfigur, war ebenfalls ein Genie, allerdings
(un)klug genug seine außergewöhnlichen Fähigkeiten
nicht im Schach zu verplempern – was er natürlich
hätte tun können, als Bezwinger von Max Euwe!
-, sondern sein Hirnschmalz in die aufregendste Wissenschaft
zwischen den beiden Weltkriegen investiert, in die Atomphysik.
Auf diesem Gebiet schlägt er alle Randfiguren der
Wissenschaftsgeschichte, die da Einstein, Heisenberg,
Hahn und Bohr heißen; er entdeckt schon um 1940
was bis heute unrealisiert blieb: die Kernfusion. Aus
religiösen also moralischen Gründen verschweigt
er sein Wissen gegenüber Freund und Feind, selbst
olle Churchill muss unverrichteter Dinge wieder abrücken.
Noch weniger können amerikanische und deutsch-nationalsozialistische
Spione ihn davon überzeugen und das bedeutet selbstredend:
trouble and pain! Sie jagen ihn, fangen ihn, foltern
ihn, doch ohne Erfolg. Nachdem er alle Unterlagen vernichtet
wähnt, zieht er sich unter falschem Namen auf eine
kleine Insel zurück, ein halbes Jahrhundert Winterschlaf
zu halten, aus dem er erst erweckt wird, als seine einzige
Tochter, Mutter des jungen Schachgenius, im Sterben
liegt. Zum erstenmal kommen die beiden Hochbegabten
in Kontakt. Dabei hätte Prof. Zalapek besser daran
getan, friedlich und unerkannt auf seiner Insel zu sterben,
denn mit seinem Auftauchen sind sie alle wieder auf
den Plan gerufen, die alten und neuen Ganoven und Freunde,
die alle an ihm und seinem Wissen interessiert sind,
denn Wissen ist nun mal Macht.
Der einstige japanische Musterkommilitone
ist nun Seniorchef eines Industriegiganten, der frühere
amerikanische Doppelspion Vater des zukünftigen
US-Gouverneurs mit Option auf Präsidentschaft;
kurz: die Großen aus Politik und Wirtschaft kommen
auf seine Spur. Man weiß aus Film und Fernsehen
zur genüge, wie so etwas endet: brutal, blutig
– mit einer gesunden Anzahl an Kopfschüssen
und explodierenden Autos -, schnell, und auch mit ein
bisschen Sex. Die besseren dieser Elaborate leisten
wenigstens eines: sie sind spannend. Man kann Hoods
Buch dieses zumindest nicht ganz absprechen, auch wenn
es allzu viele Dinge gibt, die den anspruchsvolleren
Leser aufstoßen mögen, seien es die pseudophilosophischen
Weisheiten, die einem Autor von Format niemals unterlaufen,
seien es die zu gewollten Intimszenen, die er mit der
Sensibilität einer Kreissäge beschreibt ("Naked
she came to him. Peeled away his clothes. Laid him gently
back on her rented bed where she kissed every inch of
him until all his tension stood erect in one stiffened
part of him. She took him inside and shared everything
she had
", 238 ), sei es die primitive Dualität
von Gut und Böse (es gibt je einen guten und bösen
Politiker/Wirtschaftsboss), seien es die zu klaren Klischees
(alle bösen Buben tragen ein "Nazi Smile"),
sei es die zu geniale Auflösung des Ganzen, die
verdammt an die Olsenbande erinnert (Ive got a
plan") und einer unfreiwilligen Komik also nicht
entbehrt, weil sie am Ende doch nicht ganz aufgeht –
der Plan fordert immerhin das Leben des alten Mannes
-, oder sei es gar die typische Beschreibung fast schon
ordinär visualisierter Filmbilder, als wolle der
Roman sagen: bitte, bitte bringt mich auf die Leinwand
und meinen Schöpfer zum Welterfolg.
David Hood (http://www.leicesterwriters.org.uk/LWC-DavidMartin.htm)
Trotz allem, allein schon der Fakt, dass
das Buch gut und flüssig lesbar ist, macht es in
einer Zeit eines unübersehbaren literarischen Verfalls,
vor allem aber im schachlichen Kontext eher empfehlenswert.
Wir haben schon weitaus Schlimmeres lesen müssen!
Schach soll auch das letzte Stichwort
sein. Wir lesen in der bewegten Kurzvita des Autors,
dass er am Schauplatz Oxford Physik studierte, als Wissenschaftler
arbeitete, auch als Autorennfahrer und heutigentags
als Geschäftsmann und Manager seinen Unterhalt
verdient, so dass man eine gewisse Kompetenz für
Kernspaltung, Verfolgungsrennen und Wirtschaftsgebaren
unterstellen darf. Aber wie siehts mit dem Schach
aus? Die gute Nachricht: man kann ihm keinen spieltechnischen
Fehler nachweisen. Ob der Einblick in die höheren
Regionen der Schachszene wenigstens Teilwahrheit beanspruchen
kann, soll beurteilen, wer involviert ist. Jedenfalls
lernen wir John, das Schachgenie junior, wie folgt kennen:
"This is the bad boy
of chess.
Twenty years old. English. Grandmaster
at seventeen...Blah, blah, blah – usual shit! Is
he gay?" (S.15).
Nein, ansonsten ist alles in Ordnung
mit dem Bengel. Nur die üblichen Verhaltensstörungen,
Starallüren, Drogenprobleme usw., jemand, der auch
mal "Fuck you!" dem konsternierten Livereporter
ins Mikro spricht. Schuld an allem ist natürlich
die geschäftstüchtige Managerin, die ihn zum
Star und sich vor allem zum Reichtum verhelfen will.
Zum Glück, möchte man fast sagen, verpulverisiert
sie sich in einer Autobombe frühzeitig, wonach
die Wege frei sind für sensiblere Seelen den gesunden
Kern des Schachrowdies freizulegen. Man kann bei der
Lektüre nicht umhin, gelegentlich an die drei wirklichen
bad Boys der Szene zu denken und spätestens als
Shorts, eh, Johns historischer Sieg im komplettweißen
Anzug gegen Kaspa Antropov – er benötigte
(1993 in der legendären 5. Partei allerdings zum
ersten und letzten Mal, freilich nur um doch Remis anzunehmen)
ganze 11 Minuten dazu – beschrieben wird (157f.),
wird klar, dass hier auch ein englisches Chesstrauma
um Verwindung ringt.
Darüber wird anfänglich viel
geschrieben, über den ganzen Schachzirkus, die
Sekundanten, die Turniere, die Simultanveranstaltungen,
das Business, die Journalisten, die Klischees (Typ:
"Plenty of chess players go nuts, especially the
good ones.", S. 21; "The tactics of chess
are the tactics of business and of war. In fact, they
are the tactics of all things.", S. 38) etc., aber
nach und nach mit zunehmender Handlungsverwicklung,
verliert sich die breit gelegte Schachspur und man fragt
sich: wozu das Ganze? Hat es einen sinntragenden Grund?
Die Antwort kommt spät und sie kann nicht überzeugen!
Sie lässt sich in ein einziges Wort fassen:
"Clever" (242).
Ja, man glaubt es kaum, Hood zieht die
alte Kamelle noch einmal aus dem Hut. Schachspieler
sind clever, sie können Ampeln manipulieren und
Fahrstühle, Computer auseinandernehmen und hinterlistige
Pläne schmieden; alles eben was man braucht, um
ein paar Berufskiller und andere Böslinge kalt
zu stellen.
"We need the guy at the chessboard,
not the little boy. Can you do it (228)?
Natürlich kann er! Und warum ist
das so? Nun, weil er Schach spielt! Fertig ist der Kreis!
Little John, wenn auch noch mit Rechtschreibeschwächen
aber schon geläutert und auch sexuell erfahren,
findet zu allem Überdruss seinen genialen Plan
auf dem - Schachbrett:
"John set up the chess set. White
moves first. Pawn in front of king. Then black. Then
white. The pattern emerged. Something familiar. Something
to hold on to. In half an hour, he had completed the
game. Then he started to think about the pieces of their
troubles: a kidnapped king, a corrupt knight trying
to make his mark, and a pawn shepherded by a black rook
towards the eighth square – a soon to-be state
governor. Its strange the way, in a game of chess,
the big pieces sometimes trade off against one another,
so all thats left are the pawns. Perhaps this
was the escape (275).
Und als Kate – das ist die, die
ihn reinließ – fragt, wie das klappen soll,
da macht er was? – er erklärt ihr alles am
Sandkastenschachbrett:
- Whats the plan?
- John smiled. "Come over to my chessboard. Ill
explain how it works (283).
Schließlich muss selbst das Seniorgenie
kurz vorm Ableben zugeben:
"I never thought of it.
worauf der Sprössling lakonisch
antworten kann:
"A chess players calculation"
(306).
So also lautet die Frohe Botschaft Johns,
des Evangelisten: Wenn ihr gut Schach spielet, so sorget
nicht, was ihr reden und tun sollt; denn es soll euch
zu jener Stunde gegeben werden, was ihr reden und tun
sollt. Den nicht ihr seid es, die da reden und handeln,
sondern eures königlichen Spieles Geist, ist es,
der da redet und handelt. [1]
I didnt get it – aber das
liegt wohl an den beschränkten Möglichkeiten.
(David Hood: The Chess Men.
London 1999. 320 Seiten. ISBN: 0-75283-476-2)
Das Buch liegt auch in deutscher
(David Hood: Schach und Matt. Taschenbuch Nr. 61259,
393 S., 7.50 Euro), polnischer und griechischer Übersetzung
vor, aber ich glaube nicht, dass man es auf Deutsch
wird ertragen können. Vgl. dazu: http://www.schachfreunde-hannover.de/literat.html
Mehr zu David Hood unter: http://www.leicesterwriters.org.uk/LWC-DavidMartin.htm
--- Jörg Seidel, 07.03.2003 ---
[1]
Vgl. Neues Testament, Mt 10, 18f.
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Jörg Seidel und darf ohne seine schriftliche Zustimmung
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