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Ernst Arthur Lutze:
"O diese Schachspieler!"
"Wenn zwei
zum Schluss sich kriegen, sprecht:
Ende gut - alles schlecht!"
Erich Kästner
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Weiß am
Zug! Matt in zwei!
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Man wird von einem schmalen Bändchen, einem "Schwank
in einem Aufzug" mit dem bezeichnenden Titel "O
diese Schachspieler" nicht allzu viel erwarten,
weder in literarischer noch in schachlicher Hinsicht,
und der Autor besagten Stückes, ein gewisser Dr.
Ernst Arthur Lutze, dessen Namen man nach intensiver
Suche auf zwei weiteren Druckerzeugnissen, einem "Hohenzollern
Anekdotenschatz. In Versen" aus dem Jahre 1905
und einem mehrversprechenderen "Lehrbuch der Homöopathie"
als Herausgeber findet, enttäuscht diese Erwartungen
keineswegs und wartet mit einem recht amüsanten,
vor allem aber bedeutungslosen Werkchen auf, das immerhin,
man wundert sich, im Schauspielhaus Berlin zur Aufführung
gekommen sein soll. Ob es sich um ein und die selbe
Person handelt, ist nicht klar, denn es liegt mehr als
ein halbes Jahrhundert zwischen dem homöopathischen
Lehrbuch und dem hier zu besprechenden Text, der 1924
bei Curt Ronniger in Leipzig erschien, einem Verlag,
der sich als "Zentrale für die gesamte Schachliteratur
und allen Schachbedarf" definierte und der demzufolge
zum Anlaufpunkt aller auch gescheiterten Schachpoeten
werden musste. Ihnen, Autor und Verlag, sowie einem
findigen Buchantiquar, der die Rarität wohlweislich
aufkaufte und reservierte, ist es zu danken oder zu
verschulden - ganz wie man das sehen will -, dass wir
uns hier mit diesem Produkt zu beschäftigen haben,
denn nun gehört es einmal in die Schachliteratur,
jenem weiten Feld, das bedauerlicherweise nur von wenigen
Höhen überragt wird. Ein wesentlicher Vorteil
von Lutzens Schwank ist zumindest die Bescheidenheit:
es ist vom ersten Blick an klar, dass hier keine Höhen
beansprucht werden, man muss also nichts widerlegen,
man muss sich nicht streiten, es werden keine Bedeutungen
hineingelegt und schließlich ist es gar gleich,
ob man das Stück liest und sich darüber Gedanken
macht, was letztlich auch auf den Wert der Besprechung
abfärben muss.
Vor dem Hintergrund einer noch am selben
Tage stattfindenden Verlobung, die seinerzeit noch einiges
wog und die man also feierlich im Familienkreise beging,
entfaltet der Autor ein kleines Wirrwarr, an dem vor
allem drei Personen ihren Anteil nehmen: Georg Mette,
ein mürrischer und herrischer Gutsbesitzer, seine
Tochter Ida, die Braut und der Herr Bräutigam,
Assessor Kunitz. Letzterer ist keine schlechte Partie,
zudem, wie das deppische Dienstmädchen Adelgunde
sich lüstern den Mund wischend nicht müde
wird zu betonen, "a feiner Bräutigam",
"n' hübscher Mann", ""en hübscher
Kerl" usw., allerdings mit einem entscheidenden
Handicap: er ist Schachspieler!! Nun, wir alle wissen
ja, was das für Kerle sind! Aber der schlägt
dem Fass noch den Boden aus, denn er vergisst sprichwörtlich
alles, wenn er spielt. Zweimal ließ er sich im
Café schon berauben, in eine Partie versunken
und dem sehr praktisch veranlagten Schwiegervater schwant
Schlimmes, seine Tochter mit einem solchen Träumer
zu verehelichen: "Der ist ja ein viel zu verbohrter
Schachspieler und wird sich in der Ehe viel mehr um
Turm, Läufer, Springer - und wie die Viecher alle
heißen mögen, als um seine Frau kümmern."
Ida freilich will davon nichts hören, das gute
hübsche Kind, sie weiß schon, wie man den
Teufel austreiben kann, man ist ja nicht umsonst Frau
und verfügt über gewisse Waffen: "Das
wäre eine miserable Frau, die Ihrem Manne nicht
mehr Interesse für sich, als für seine Schachfiguren
abgewinnen könne". Und da haben wir ihn, schon
auf Seite zwei, den Hauptkonflikt des Stücks. Ein
bisschen komplizierter wird es denn doch, weitere Personen
betreten die Szenerie. Zu nennen ist noch Ernst, "Mettes
Neffe und Pensionär"; das ist im damaligen
Vokabular nicht als älterer Herr zu denken, sondern
als jemand, der in Pension lebt, aufgenommen von der
Familie, um seine Schulzeit zu beenden. Flink und gewitzt
tritt er auf, der Ernst, wie anders auch soll er die
Strenge des Onkels ertragen, der ihn bevormundet und
just am Feiertage zu schweren Hausarbeiten verdonnert.
"Mit der Wuppizität eines Mokkakäfers"
erobert er die Bühne und versucht den dünnen
Handlungsfaden durch ein wenig Situationskomik à
la Till Eulenspiegel zu dehnen. Mette: "Wenn du
dich nicht augenblicklich hinsetzt und machst deinen
Aufsatz, dann gibt es heut Abend einen Gast weniger
beim Verlobungsessen, das merke Dir!" - Ernst (ironisch):
"Aber Onkelchen, darum wirst du doch nicht bei
Tisch fehlen wollen!" Derart. Ernst schließlich
setzt sich nieder und schreibt seinen Aufsatz über
ein imaginiertes Selbstgespräch des Scipio auf
den Trümmern Karthagos - ach, gäbe es doch
heute noch solche Aufsatzthemen! - und da geschieht,
was geschehen muss, Kunitz, der Bräutigam, tritt
ein, sieht Ernst, sieht ein Schachbrett und es ist um
ihn geschehen, schließlich gelte es da noch eine
offene Partie zu beenden; der Jüngling ist schnell
überredet, die Abbruchstellung in etwa erinnert
und schon entfliehen beide ins Reich ihrer Gedanken,
denn, mit kursiven Lettern gedruckt: "Wer aber
einmal diese Treibhauswärme des Geistes, die im
Schachspiele verborgen liegt, empfunden hat, der wird
sich immer wieder danach zurücksehnen" Ernst:
"Sehr richtig und schön gesagt!" Zuvor
freilich tritt noch das Dienstmädchen herzu, strohdumm,
wie erwähnt, und soll den Herrn Assessor mal richtig
wichsen, was früher ein Synonym für Schuhe
putzen war und wohl schon ein wenig anrüchig geklungen
haben muss, anders sind die verhältnismäßig
langen Dialoge zum Thema kaum zu erklären und sie
tragen auch zur Handlung nichts weiter bei, wohl aber
zur Unterhaltung: "Wollen Sie die jeehrten Stieweln
ausziehen, oder soll ich jleich am Leibe wichsen?",
fragt sie denn auch, aber da ist Kunitz schon im siebenten
Himmel und spricht nur noch über Schachfiguren.
Und Ernst sekundiert kongenial: "Ach! Welch ein
Krach! Und doch, wie schwach!" Ein Diener tritt
ein, um Blumen zu bringen, und während Kunitz versucht
seinen jungen Gegner zu einer Wette zu verleiten, fragt
der Page nach Trinkgeld. Kunitz legt mit einem energischen
"Hier" 10 Mark Wetteinsatz auf den Tisch,
welche der Lakai gern, wenn auch ob der Großzügigkeit
verwundert, entgegennimmt und verschwindet. So funktioniert
das nun: Ida tritt ein, glücklich und froh und
wird brüsk vor den Kopf gestoßen: "Die
Dame fängt an, mir lästig zu werden".
Ist doch klar, welche Dame da gemeint war. Mette bekommt
auch sein Fett weg, muss sich, als er die Beleidigung
seiner Tochter sich verbittet, gefallen lassen, als
"frecher Bauer" beschimpft zu werden. Von
dieser einfachen Doppeldeutigkeit, wenn man so sagen
darf, lebt das Stück.
Währenddessen nimmt die Partie einen
eigenartigen Verlauf. Sie erreicht abgebildete Position,
die wider Erwarten, doch keine Schlussposition ist.
Ernst, dieser Filou, findet einen raffinierten Trick,
sich aus der Schlinge zu ziehen und beruft sich dabei
auf das offizielle Regelwerk. Sollte der Sinn des Ganzen
also nicht nur im Spaß, sondern auch eine Kritik
beinhalten, Kritik am Regelwerk des Deutschen Schachbundes
bzw. dessen Lücken? Und die Idee ist gar nicht
mal so unoriginell! Wenn "Artikel 9 der Spielregeln
des Deutschen Schachbundes" lautet: "Man kann
den das gegenüberliegende Randfeld erreichenden
Bauer in jede beliebige Figur verwandeln", warum
soll es dann nicht möglich sein, einen neuen König
zum Leben zu erwecken? Das klingt doch logisch, oder?
Gesagt, getan und statt des eben zelebrierten Matt in
sechs für Schwarz, setzt Weiß nun Matt in
zwei. Märchenschach! Aber warum nicht in einer
märchenhaften Geschichte. Und wer weiß, vielleicht
macht die "neue" Regel sogar Sinn, ist sie
überdenkenswert?
Zurück zur Handlung, zurück
zum Finale. Ida weint, die gerade noch beschworenen
Waffen der Frau sind schon stumpf - heutzutage hätte
sie noch einen verführerischen Strip probiert,
aber Anno 24 war diese Lösung noch nicht bühnenreif,
noch nicht "menschenmöglich" -, sie gibt
auf, mit ihr der Vater, denn: "Wir haben alles
Menschenmögliche aufgeboten; aber die beiden sind
ja für die ganze Außenwelt wie abgestorben."
Und hätte die alte Amme - wir haben sie noch nicht
eingeführt und werden es auch nicht tun, da sie
nur diesen einen lichten Moment hat -, nicht die radikale
Lösung in petto, es wäre wohl ein Trauerspiel
geworden. Laut Regularien gibt es wohl sechs verschiedene
Arten eine Partie zu beenden, Margarete aber findet
eine siebente, vielleicht die originellste: "Sie
wirft mit schneller Handbewegung das Schachbrett mit
den Figuren vom Tische. Es fliegt", das nur noch
nebenbei, "der noch immer ahnungslos wichsenden
Adelgunde an den Kopf". Nach der Rauferei kommt
"Herr Assessor Kunitz!", wie ihn Ida schwer
verstimmt nennt, endlich zur Besinnung und antwortet.
"Sie ? ? ? ! ! !"
Naja, machen wir es kurz: die beiden
kriegen sich und lieben sich, alles klärt sich
als Irrtum auf ... "beim Happy End wird ausgeblendt",
wie Tucholsky einst schrieb, wenn auch mit einem bitteren
Nachgeschmack. Kunitz muss geloben, "von jetzt
ab jede Woche nur einmal Schach zu spielen". Das
ist hart, aber findig wie die Burschen waren, wird es
auch da einen Ausweg geben; man könnte ja jede
Woche drei, vier Tage durchgehend Schach spielen oder
so. Wir wissen also nicht, ob die Ehe eine glückliche
wird werden können; in moderner Horrormanier -
wie die Hand, die aus dem Grab kriecht, nachdem man
das Monster erschlagen glaubt -, bückt sich Kunitz
und hebt besorgt und symbolträchtig die Figuren
auf. Idas letzte Worte, noch lachend, denn sie weiß
nicht, was wir vermuten, sie weiß noch nicht was
auf sie zukommen wird, in der ehelichen Gemeinschaft
mit einem Triebtäter: "Ja, Du warte, ich werde
Dir helfen aufbauen! (Zum Publikum). Er ist und bleibt
doch ein unverbesserlicher Schachspieler!" -
Der Vorhang fällt, das spärliche
Publikum klatscht frenetisch - da sitzen ohnehin nur
Unverbesserliche mit schwarz-weiß karierten Krawatten
- leidgeprüfte Frauen schauen vorwurfsvoll von
der Seite ihre Männer an, die den Nachbarn schon
zur nächsten Partie herausfordern; kann man sich
so den Theaterabend in Berlin vorstellen?
Dr. Ernst Arthur Lutze: O dieses Schachspieler. Schwank in einem Aufzug. Leipzig 1924. Verlag Hans Hedewig's Nachf. Curt Ronninger. 32 Seiten
--- Jörg Seidel, 03.10.2001 ---
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