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Klaus Möckel:
Gespensterschach
Die legendäre DIE–Reihe [1]
zeichnet sich vor allem durch eines aus: belanglose,
aber lesbare Krimis. Sie bietet literarischen Unterhaltungskünstlern
ein Forum, beliebten Schriftstellern wie Harry Thürk
[2], Wolfgang Schreyer,
Günter Prodöhl, Gert Prokop, Hans Pfeiffer,
Tom Wittgen [3], ky [4], um nur einige zu nennen. Spritzige
Unterhaltung und gedämpfte Spannung, keine schwere
Kost und nichts, was einem den Schlaf rauben würde,
erwartet und bekommt man nun schon seit mehreren Jahrzehnten;
auch Klaus Möckel erfüllt mit "Gespensterschach"
die Vorgabe voll und ganz. Wichtig dabei bleibt für
ihn, wie für einen Großteil seiner Kollegen,
die Ost-Identität. Man wird es in vogtländisch/westsächsischen
Kreisen interessiert zur Kenntnis nehmen, dass Möckel
aus Kirchberg/Sachsen stammt.
Sein 1995 erschienener Krimi spielt (zumeist)
im Osten Berlins, wo der Privatdetektiv Krey, der stilgerecht
einen Wartburg fährt und "Margonwasser"
trinkt, den Auftrag erhält, Aufenthalt oder Schicksal
einer verschwundenen Künstlerin ausfindig zu machen.
Schnell stellt sich heraus, dass organisierte gesetzwidrige
Aktivitäten den Hintergrund ihres Verschwindens
abgeben: Kunstdiebstahl und -handel. Man lässt
sich in diesen Kreisen nicht gern ins Handwerk pfuschen
und Krey hat mehr als eine brenzlige Situation zu überstehen.
Nicht alles ist dabei auf kriminelle Energie zurückzuführen,
sondern auch auf soziale Missstände, nicht zuletzt
auf spezifische Ost-Probleme nach der Wende. Prügelnde
Skins und saufende Rocker gehören ebenso zum Alltag
wie Arbeitslosigkeit, heruntergekommene LPGs, mehr oder
weniger gelungene Vergangenheitsbewältigungen,
der sogenannte "Aufschwung Ost", vor allem
aber die allgegenwärtige Angst vor den Gefahren
der neuen Gesellschaftsordnung, der ansteigenden Kriminalität.
Diese stets gegenwärtige, aber nie aufdringliche
soziale Komponente ist vielleicht die stärkste
Seite des Krimis und garantiert den Zuspruch zumindest
der Vereinigungsfrustrierten. Das Ganze liest sich –
in einem Wort – wie das Drehbuch eines "Polizeiruf
110". Tatsächlich wurden andere Bücher
Möckels bereits im DEFA-Studio verfilmt [5].
Detektiv Krey löst die Fälle
mit einem gehörigen Schuss Sarkasmus und einer
manchmal etwas aufgesetzt wirkenden Coolness. Es würde
nicht wundern, wenn Möckel sich als literarischer
Jünger Mickey Spillanes zu erkennen gäbe.
Wie schwer es allerdings ist, ein so einmaliges Talent
zu erreichen, zeigt sich oft am unauffälligsten
Detail, beispielhaften Sätzen wie: "
bis
Reinickendorf war es von mir aus nicht weit" oder
"Die Haustür, mit einem Schnapper versehen,
war zu" (beide 139). Von solchen Konstruktionen
wimmelt das Buch. Sie machen die Differenz deutlich.
Nicht weil es die detektivische Tätigkeit
mit dem Schachdenken vergleicht – das ist so alt,
wie das Schachmotiv im Krimi selbst -, sondern weil
sich Krey auf eine bestimmte Schachvariante bezieht,
eben das "Gespensterschach" (manche kennen
es auch als "Geisterschach", "Blindes
Schach" oder "Verdecktes Schach" [6]), gebührt
dem Buch die Aufmerksamkeit der Schachinteressierten.
Das Stichwort wird schon in der ersten Erwähnung
gegeben:
"Es war, wie wenn man beim Kartenspiel
oder bei einer Schachpartie plötzlich eine Chance
entdeckt, den Gegner zu packen. Allerdings hielt sich
der Gegner hier, sofern es einen gab, bisher völlig
bedeckt" (30).
Von dort ist es dann nicht mehr weit
bis:
"Ganz einfach war es nicht, zu gültigen
Schlüssen zu kommen. Als Jugendliche hatten wir
uns die Zeit manchmal mit Gespensterschach vertrieben,
einem Spiel, das wenig bekannt ist und neben einer besonderen
kombinatorischen Gabe auch Glück erfordert. Wenigstens
drei Personen sind dazu notwendig: außer den beiden
Gegnern noch ein Vermittler, der das Geschehen überwacht
und nicht ausführbare Züge verhindert. Denn
die Kontrahenten der Partie sitzen sich bei dieser Variante
des königlichen Spiels nicht direkt gegenüber,
sondern an getrennten Brettern. Sie haben nur die eigenen
Figuren vor Augen, erfahren die Züge des anderen
nicht und setzen die Steine sozusagen ins Ungewisse
hinein. Lediglich durch Hinweise des Vermittlers, der
als einziger die Übersicht hat und bisweilen ein
Schach verkündet, eine Figur vom Brett nimmt, die
geschlagen wurde, einen Zug für nicht möglich
erklärt, kann man etwas über die Position
des Widersachers erraten. Doch das Verführerischste
an dem Spiel ist die stets wachsende Spannung. Wenn
zu Beginn der Partie Weiß und Schwarz nämlich
noch vorsichtig in der eigenen Hälfte operieren,
also die Ruhe vor dem Sturm herrscht, so ist später
die Feindberührung, der jähe Zusammenprall,
unvermeidlich. Plötzlich erfolgt der Schlag aus
dem Hinterhalt, ein Offizier, den man für wichtig
hielt, wird liquidiert, der eigene König gerät
in Gefahr. Oder man merkt umgekehrt, dass man den Gegner
unvermutet gepackt, verletzt, in Bedrängnis gebracht
hat. Dann heißt es, die richtige Strategie zu
entwickeln, genau zu kombinieren, um ihn nicht mehr
entkommen zu lassen".
Dann allerdings verlässt Möckel
den zulässigen Bereich und geht zur weniger sinnigen
Schach- als Weltmetapher und zu den personalen Figuren
über. Dabei schien die Analogie von Detektivarbeit
und Gespensterschach ob ihres Zufallsmoments und Geheimnischarakters
doch sogar besser geeignet als das altgediente Schachgleichnis,
denn schließlich hat man es beim klassischen Schach
lediglich mit den verborgenen Gedanken des Gegners zu
tun, wohingegen die kriminalistische Deduktion zumeist
den Gegner gar nicht kennt und ihn durch ein Phantom,
ein Gespenst ersetzen muss.
"Vieles an dem Fall, mit dem ich
mich im Augenblick herumschlug, erinnerte an Gespensterschach,
und wenn man den Vergleich weiterführen wollte,
so war der erste ernsthafte Zusammenprall am gestrigen
Tag erfolgt. Malstrate, eine wichtige Figur im Spiel,
war vom Brett geflogen und die erste harte Attacke gegen
mich aus dem Dunkel heraus erfolgt. Vielleicht hoffte
man, dass ich die Partie vorzeitig aufgab. Falls nicht,
hatte ich bestimmt mit weiteren hinterhältigen
Manövern und Angriffen zu rechnen" (98f.).
Schließlich ist also doch nur alles
ein Spiel; warum nicht auch mal ein Spielchen "Gespensterschach"?
Klaus Möckel (einziger Sieger beim
Casino Simultan 2001) und Viktor Kortschnoj
Bildquelle: http://www.chessbase.de/events/events.asp?pid=120
Klaus Möckel: Gespensterschach.
Berlin 1995. "DIE KRIMIS 177". 158 Seiten
Mehr zu Klaus Möckel unter:
http://ourworld.compuserve.com/homepages/KARR_WEHNER/moeckel.htm
Klaus Möckel, geboren am 4.8.1934
in Kirchberg/Sachsen, erlernte den Beruf des Werkzeugschlossers,
studierte Romanistik in Leipzig und arbeitete als Assistent
an der Universität Jena. Seine Dissertation schrieb
er über Saint-Exupery und war anschließend
als Verlagslektor tätig. Beim Verlag Volk und Welt
machte er sich bald einen Namen als Herausgeber, Übersetzer
und Nachdichter vor allem moderner französischer
Dichter. Seit 1969 arbeitete er als freier Autor und
veröffentlichte ein gutes Dutzend eigener Bücher,
darunter einige Kriminalromane. Einige seiner Werke
wurden ins Tschechische und Slowakische übersetzt.
--- Jörg Seidel, 30.03.2004 ---
[1]
Gesamtauflage 17 Mio. Exemplare
Interessanter Artikel: Helmut Eikermann: Das Ende der
Ost-Krimis? Bemerkungen zur Kriminalliteratur in den
neuen Bundesländern http://www.berliner-lesezeichen.de/lesezei/Blz97_05/text01.htm
[2] Der mit "Die Stunde
der toten Augen" allerdings auch ein bleibendes
Buch schuf.
[3] Pseudonym für Ingeburg
Siebenstädt
[4] Pseudonym für Dr.
Horst Otto Oskar Bosetzky
[5] 1989 POLIZEIRUF 110-Drei
Flaschen Tokaier (Serienfilm, Fernsehen der DDR, 80
Min) (Szenarium: Margot Beichler, Drehbuch: Udo Witte
und Rolf Laskowski, frei nach dem gleichnamigen Roman
von Klaus Möckel, Regie: Udo Witte) EA 27.8.1989
/ 1989 POLIZEIRUF 110 - Variante Tramper (Serienfilm,
80 Min, DFF,) (Nach dem gleichnamigen Roman von Klaus
Möckel) EA 19.2.1989 DDR1
[6] http://mitglied.lycos.de/buchenwallduern/Sonstiges/abarten.html
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Jörg Seidel und darf ohne seine schriftliche Zustimmung
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