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"Philidor. Eine einzigartige Verbindung von Schach und Musik"
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Susanna
Poldauf
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Schöne Frauen haben es im Leben
leichter, das ist wissenschaftlich erwiesen und vollkommen
aufklärungsresistent. Mann verzeiht ihnen schneller
Fehler und verliert an Kritikfähigkeit. Ich gehöre
zu denjenigen, die das ernstlich bedauern, aber sich
nicht dagegen wehren können.
Susanna Poldauf ist eine schöne Frau, wie das ihrem
Buch beigefügte Photo eindrucksvoll belegt. Die
schwierige Aufgabe bestand also darin, dieses Buch trotzdem
objektiv zu besprechen, mit anderen Worten: der männschlichen
Natur zuwider. Erreichen kann dies nur ein bewusst ausgeprägter
Kritizismus, der nach Fehlern und Schwächen mit
Absicht sucht. Das gleich vorweg: sie machen das Buch
noch sympathischer, und gemessen am Lobenswerten ist
das Tadelnswerte daran fast zu vernachlässigen.
Aber "Kritik" kommt von "scheiden",
"trennen", "sondern" und ihre Aufgabe
ist es die Spreu vom Weizen zu trennen und "Rezension"
stammt von "recensere": "prüfen",
"mustern", durchaus im militärischen
Sinne. Eine Rezension hat wie der Offizier die Mängel
zu kritisieren und nicht zu loben, was man von jedem
Buch unausgesprochen erwarten darf, sondern lediglich
das daran Außergewöhnliche. Und zu kritisieren
ist der entsprechende Text, nicht aber dessen Gegenstand,
die Besprechung hat die Lektüre nicht zu ersetzen.
Die Idee dieses Buches ist prinzipiell
zu begrüßen! Ein Blick in Poldaufs Literaturverzeichnis
zeigt, dass es zu Philidor, dieser hochinteressanten
historischen Gestalt, seit Jahrzehnten kaum eine ernsthafte
Arbeit mehr gegeben hat und im deutschsprachigen Raum
schon gar nicht. Aber was will die Autorin damit erreichen?
Dies ist eine Frage, die auch die Lektüre nicht
eindeutig beantworten kann. Will es eine Monographie
sein, eine Biographie vielleicht oder ein kulturhistorisches
Werk, wird der Musik- oder der Schachliebhaber angesprochen
und wird gar ein Forschungszweck angestrebt? Da die
Autorin ihr Anliegen nicht deutlich darlegt, bleibt
die Antwort dem Leser überlassen und damit der
subjektiven Willkür. Irgendwie ist es alles ein
bisschen, aber nichts so richtig. Das muss nicht negativ
sein, gestattet es doch immerhin vielfältige Blicke,
deren Durcheinander höchstens einen anspruchsvolleren
ästhetischen Sinn unangenehm berühren könnte.
Damit
scheint der Idealleser des Buches derjenige zu sein,
der sich "mal informieren" will, weniger der
Fachmann, der Historiker, der Philidorforscher oder
Musikwissenschaftler, die nichtsdestotrotz alle darin
etwas finden werden. In erster Linie bleibt es eine
allgemeinverständliche Zusammenfassung des bisherigen
Wissenstandes, nur an wenigen Stellen zitiert sie aus
Primärquellen und nur einmal, soweit zu sehen ist,
scheint sie selbst eine neue Quelle ausfindig gemacht
zu haben, einen interessanten Artikel der "Berlinischen
Priviligierten Zeitung" von 1750 (S. 48f.), mit
dessen Hilfe sie einen weißen Fleck in der Geschichte
des doppelbegabten Meisters beseitigen zu können
scheint.
So gesehen ist es also eine dieser typischen
Arbeiten, die man im akademischen Betrieb mit dem Euphemismus
"sehr fleißig" beurteilt und die sich
meist durch ihre Trockenheit auszeichnen, aber dabei
darf man nicht stehen bleiben. Stilistisch ist das immer
ein Problem für diese Art von Text, objektiv und
flüssig zugleich zu sein und obwohl man Poldaufs
Buch hin und wieder das Herkommen aus der Magisterarbeit
anmerkt, so bewältigt sie diesen Spagat doch überzeugend
– es ist kein Krimi geworden, aber auch nicht eine
dieser trockenen Monographien, bei denen jedes Umblättern
mit einem Gähnreflex verbunden ist. Auch inhaltlich
lässt sich der Versuch, unvoreingenommen zu bleiben,
leicht nachvollziehen, denn auch dies ist eine Gefahr
des Genres: zu Mythisierungen und doxographischem Verhalten
zu neigen. Der Versuch ist freilich nicht immer gelungen,
hin und wieder tappt die Autorin in diese Falle, etwa
als sie uns trotz schlechter Quellenlage davon überzeugen
will, dass Philidor ein guter Vater gewesen sei (66)
oder dass die im wesentlichen unerforschte Deutschlandreise
ihn zum Musizieren anregte (60), nur weil er in ihrem
Anschluss danach wieder anfing, oder aber wenn sie aus
dem noch neuartigen Einbau von Naturgeräuschen
in die Oper eine "außergewöhnliche Beobachtungsgabe"
schlussfolgert und die auch noch mit Diderots Geniebegriff
kurzschließt (81f.). Vielleicht ist noch die fast
naive Zitierung eines Romans als historische Quelle
(110) ein Ergebnis dieser Unaufmerksamkeit. Und wenn
behauptet wird, Philidor habe "bei vielen Denkern
seiner Zeit Interesse für das Schach" geweckt
(46), dann reicht es nicht, wenn man Goethe und Lessing
erwähnt, als gäbe es da direkte Einflüsse,
sondern da muss empirisches Material ran um eine solche
Behauptung zu stützen, denn vielleicht war es ja
nur Zeitgeist oder sonst was. Auch eine Aussage wie:
"Doch Philidor scheint nicht am Schach als Allegorie
interessiert gewesen zu sein. Er wollte dieses Spiel
durchdringen, an dem ihn mehr als nur das spielerische
Element faszinierte" (15), muss ihr Herkommen erklären.
Schließlich betont die Autorin mehrfach - und
andere Rezensenten nehmen das dankbar und bedenkenlos
auf -, dass es "zur Verwirklichung seiner Vorstellungen
vom Schach ebenbürtiger Gegner bedurft hätte"
(61), dabei könnte Philidor doch gerade auf
Grund seiner neuartigen Vorstellungen vom Schach
den anderen überlegen gewesen sein.
Das alles sind Kleinigkeiten, sie trüben
den Genuss und Gewinn kaum, zeigen aber, dass wir dazu
neigen, Menschen, die wir ob einer technischen Fähigkeit
bewundern, auch moralisch zu heroisieren. Auch dieser
Tatbestand ist aufklärungsresistent: Schon Kant
hatte nachgewiesen, wie wenig Tugend und Leistung zusammengehören
und ausgerechnet Diderot hat mit "Rameaus Neffe"
diese Einsicht einzigartig radikalisiert. Fundamental
wird der Fehler, wenn Philidor als Aufklärer deklariert
wird; nicht dass er keiner gewesen sei – das kann
ich nicht beurteilen – aber weder die Bekanntschaft
mit Rousseau und Diderot noch vermeintliche aufklärerische
Tendenzen in der Musik oder gar im Schachspiel berechtigen
zu solch einer Annahme. Diese Frage kann man nur vom
Aufklärungsbegriff selbst her angehen, von einer
metaphysischen Ebene aus, die bei Poldauf freilich nahezu
vollkommen fehlt.
Unbedingt
gelungen ist das Buch als kulturhistorische Studie;
hier schafft es Susanna Poldauf auf hervorragende Art
und Weise in die Stimmung der Zeit einzuführen
und viele faszinierende Beziehungen herzustellen. Da
wird das Kaffeehauszeitalter für Momente lebendig
und der Leser bekommt einen fast nostalgischen Einblick
in den geistigen Reichtum der Epoche, zu dessen intellektuellem
Haushalt das Schach noch genauso zählte wie die
Musik, die Mathematik, die Philosophie, die schönen
Künste. So wird nicht nur Philidor lebendig, nein
auch Mozart, Euler, Leibniz, die Enzyklopädisten,
Klinger und Heinse, selbst der Schachautomat u.v.a.
werden wiederbelebt. So etwas, ein gelungenes Kulturgemälde,
muss man in der Schachliteratur tatsächlich suchen.
Gleiches gilt für den ambitiösen
und abschließenden Versuch, Musik und Schach zu
verbinden, was bei Philidor selbst nicht zu klappen
scheint, denn beide Bereiche existieren eher - dies
zumindest ist, trotz gegenteiliger Aussagen, der Eindruck
den das Buch verbreitet - nebeneinander statt miteinander.
"Das größte Rätsel bleibt jedoch
die Frage nach der Verbindung von Schach und Musik in
seinem Werk" (140). Zugegeben, das bleibt es auch
nach Poldaufs Buch und dessen abschließendem Kapitel,
in dem sie diese Beziehung beleuchtet, aber es ist ein
guter Ausgangspunkt geschaffen, von dem es fortzudenken
gilt. Einige Ideen werden andeutungshalber wenn auch
nicht immer korrekterweise entwickelt. Richtig ist,
dass man die "strukturellen Gemeinsamkeiten"
finden und untersuchen muss, aber die darf man dann
nicht mit Analogien verwechseln. Dass Eröffnung
und Ouvertüre solche strukturellen Gemeinsamkeiten
seien, klingt leider nur gut, hält aber einer tieferen
Einsicht nicht stand, allein schon weil, ganz allgemein
gesprochen, alles, was ist, anfängt (und demzufolge
strukturell dem Schach verwandt sein müsste) und
im besondern es durchaus Musik gibt, die auf diese klassische
Einteilung vollkommen verzichtet. Dass die Mathematik
der "gemeinsame Schnittpunkt zwischen Schach und
Musik" sei (142), ist ein fast genialer Gedanke,
dessen Missverständnis leider in der eher platten
Analogie acht Felder und acht Töne der Tonleiter
offensichtlich wird. Dadurch wirkt der Vergleich zwischen
Musik und Schach leider etwas gewollt, was dem unbedingt
positiven Gesamteindruck des zudem hervorragend gestalteten
schmalen Buches kaum Abbruch tut. Ein Wunder, dass die
erste Auflage noch immer nicht vergriffen ist (einer
zweiten sind entsprechende Korrekturen zu wünschen),
denn das Buch stellt auf dem aktuellen Markt ein seltenes
Kleinod dar.
(Susanna Poldauf: Philidor.
Eine einzigartige Verbindung von Schach und Musik. Berlin
2001. Exzelsior Verlag. 190 Seiten)
Weitere Online-Vorstellungen
und eine Rezension unter:
http://www.chessgate.de/rezensionen/rezensionen_poldauf_philidor.html
http://www.chessbase.de/nachrichten.asp?newsid=537
http://www.rochadekuppenheim.de/figo/philidor.htm
Zum Verlag inkl. einiger Infos zum Buch:
http://www.exzelsior.de/buecher/buecher.htm
--- Jörg Seidel, 01.05.2002 ---
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