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Peter Schweickhardt:
"Einsame Partien" und "Teufels Spiel"
Es ist wohl normal und nur allzu berechtigt,
dass jemand, der ausgiebig in einer Bücherwelt
lebt, früher oder später selbst sein Glück
als Autor probiert. Auch Peter Schweickhardt konnte
dieser Versuchung nicht widerstehen; seine Geschichten
zeugen von einem genuinen und weiten Interesse an der
Schönen Literatur. Vielleicht ist dieses Bedürfnis
noch stärker am hinteren Ende des Lebensfadens,
wenn sich unausweichlich die Fragen nach Sinn und Erfolg
eines langen Berufs- und Familienlebens stellen. Schweickhardts
Figuren sind – zumindest in seiner dreiteiligen
Novellen-Sammlung "Einsame Partien" –
Männer dieser Generation, sind melancholisch Rückblickende
und zugleich Suchende: nach Zukunft und Bestand. Sie
wären übrigens weniger gut genießbar,
fehlte der gelegentlich heilsame sarkastische und selbstironische
Humor, mit welchem sie ihr Leben augenzwinkernd betrachten.
Dabei handelt es sich um ganz normale Menschen. Schweickhardt
braucht keine Helden, um sich in Erzählstimmung
zu bringen, ihm ist das Einfache und oft wohl Autobiographische
– wie sich vermuten lässt – gut genug
(deshalb handelt es sich wohl auch eher um Erzählungen
denn Novellen im streng definitorischen Sinne). Sie
wälzen die kleinen Konflikte des Alltags vor sich
her. Vor allem deshalb kann der gemeine Leser genießen,
nachfühlen, mitempfinden. Jedermann fühlt
sich angesprochen bei der Vorstellung, die alte unaufgelöste
Jugendliebe wiederzubeleben, weiß (oder kann sich
mindest vorstellen), wie sich der Rückzug auf die
moderne Robinson-Insel nach gescheiterter Ehe anfühlt
oder was ein zunehmend vereinsamender Mann im Altersheim
empfinden muss. Umgekehrt verzichten die Erzählungen
auf eine breite Leserschaft, wenn extrem spezifische
Probleme des Schachspielers ausführlich –
bis in die konkreten Zugfolgen oder Wertungszahlsorgen
hinein – thematisiert werden. (Des Schachfans Herz
wird freilich höher schlagen, seine geheimste Frage
ausgesprochen zu sehen: Wie gut wäre ich, wenn
ich alle Energie ins Schach steckte, deren Antwort er
vielleicht auch fürchtet, denn was wäre, wenn
ich trotzdem nur mittelmäßig bliebe?) Da
wird zum einen die Enge einer geschlossenen Gesellschaft
aufgezeigt, zum anderen aber auch das enorme psychische
Potential des Spiels aller Spiele. Schweickhardts Frohe
Botschaft scheint zu sein: Es gibt immer einen Weg –
"dass es immer Bewegung im Leben gebe" -,
zumindest solange es das Schach gibt. Glücklich
ist – auch im größten Ungemach –
wer sich dessen versichern kann. Und folgerichtig stirbt
Karl Schäufele, der am besten gelungene der drei
Protagonisten, nachdem er, alterssenil, Springer und
Läufer nicht mehr unterscheiden kann. Frei nach
dem klassischen Stoiker ließe sich sagen: Auf
die Frage, welchen Gewinn ihm das Schach gebracht hätte,
antwortete Antisthenes: "Die Fähigkeit, mit
mir selber zu verkehren". Man nimmt dem Autor selbst
die Weisheitsgeste ab; sie basiert auf einer satten
Lebenserfahrung.
Die Geschichten sind solide gearbeitet,
mitunter etwas ehrgeizig konstruiert, ohne brillant
zu sein; man findet gut und weniger gut gelungene Sätze,
ohne je im Lesefluss ernsthaft beeinträchtigt zu
werden.
Von ganz anderem Kaliber versucht der
erst im vorigen Jahr erschienene "Roman in zwei
Teilen" zu sein: "Teufels Spiel". Schweickhardt
– sagen wir es frei von der Leber weg – übernimmt
sich damit deutlich! Und das in fast jeder Hinsicht,
sowohl kompositorisch als auch sprachlich und selbst
die Idee des Romans ist misslungen – zumindest
die beiden letzten Drittel. Der erste Abschnitt, der
historische und auch schachbezogene, ist durchaus gut
lesbar und hätte eine akzeptable Kurzgeschichte
abgegeben. Man hat bereits Bücher ähnlicher
Machart – lektoral freilich umfassend betreut –
auf Bestsellerlisten gesehen. Ein paar historische Ungereimtheiten
beseitigt, ein paar sprachliche Glättungen bereinigt,
vor allem ein Ende zum rechten Zeitpunkt würde
dem Rezensenten die unangenehme Pflicht erleichtern.
Das frühe Leben der Bodenseefischerin
Marie Zauner, die das Schachzabelspiel so mag und so
gut beherrscht, die deshalb die Aufmerksamkeit der Inquisition
auf sich zieht, in die Zwickmühle der peinlichen
Befragung gerät – wo man immer nur verlieren
kann -, die schließlich unter Hexereiverdacht
steht und dennoch befreit wird, das ist nicht schlecht
gelungen, entfaltet ein ansprechendes, mit Lokalkolorit
verziertes Bild der Zeit der Gegenreformation und des
Dreißigjährigen Krieges und weist sogar die
eine oder andere aufmerksame Beobachtung zum Schachspiel
auf: "Dies erleichtert uns, die Grenze zwischen
Zerstreuung und Besessenheit zu finden. Sie liegt dort,
wo das Spiel nicht mit dem alleinigen Hilfsmittel des
Gehirns, sondern mit Hilfe von Büchern gespielt
wird" (39).
Mit der gesamten Fluchtgeschichte lässt
die Spannung aber deutlich nach. Die Personen verlieren
an Kontur, die Ereignisse überschlagen sich, wirken
unglaubhaft, erwachsen nicht handlungsorganisch, die
Handlung selbst gerät naiv oder konstruiert, sie
wird zu bunt und aufgebläht, sie verlangt schließlich
immer mehr störende erläuternde Eingriffe
des Autors, Nebensätze und Einfügungen, um
sie überhaupt nur als Gebilde zusammenzuhalten.
Man hat den Eindruck als hätte ein anfängliches
Konzept vorgelegen und dann – nach bewährter
schwäbischer Art – "schaue mer mal".
Spätestens als dann die Flusspiraten zum Kentern
gebracht werden, wird das klar und zunehmend unerträglich;
da stehen aber noch der Hochseesturm und die Indianer
und all das bevor. Vielleicht rächt sich da Schweickhardts
Belesenheit, vielleicht spukt ihm da noch zuviel Angelesenes
im Kopfe herum. Das meiste klingt jedenfalls wie schlecht
verdaute und zusammengemixte Lektüre, wie ein dünner
Abguss von Karl May und J.F. Cooper, Mark Twain und
Daniel Defoe, von Felix Dahn und Jack London, von Friedrich
Gerstäcker und Wilhelm Meinhold
Marie Zauner landet schließlich
in Amerika, lehrt ihrem vorehelichen Sohn das Schachspiel,
nennt sich Mary Fencer und stirbt "am 21. März
1685. An diesem Tag wurde Johann Sebastian Bach geboren"
(101) – ach so.
Der zweite – zum Glück wesentlich
kürzere Teil des Romans kümmert sich um ihre
gleichnamige Nachfahrin oder Reinkarnation oder weiß
der Teufel was. Die wiederum hat das Schach im Blut,
spielt um die Weltmeisterschaft "beider Geschlechter".
Sie ist noch immer im Besitz des verhängnisvollen
Schachbuches der Marie Zauner, sie wird sogar deren
"Neuerung" von 1618 oder so im Königsgambit
erfolgreich anwenden. Weshalb sie auch noch Nymphomanin
sein muss, die den erstbesten Zimmerkellner umlegt und
sich die Brustwarzen deshalb mit Honig beträufelt,
blieb mir verborgen und auch dass ihr Gegner niemand
geringeres als der gleichnamige Abkomme Konrad von Baldurwegs
ist – Vater des ersten Kindes der verblichenen
Marie – will nicht recht überzeugen. Na klar,
sie gewinnt – mit den Waffen einer Frau und begibt
sich zurück zum Bodensee, wo alles vor vier Jahrhunderten
begann. Soll das etwas bedeuten?
Peter Schweickhardt: Einsame Partien.
Pfullingen 2001. 72 Seiten
Peter Schweickhardt: Teufels Spiel. Roman in zwei Teilen.
Allitera Verlag 2003. 135 Seiten
--- Jörg Seidel, 04.11.2004 ---
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