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Murray Smith: The Devil's Juggler
Stellt man sich die Aufgabe, ein umfangreiches
Archiv von Rezensionen über Schach-Literatur anzulegen,
dann hat man durch die Wüste zu gehen, mit allen
Entbehrungen, Täuschungen und Enttäuschungen,
die solch ein Trip mit sich bringt, und nur seltenen,
ganz seltenen Freuden. Denn neun von zehn Büchern,
die das Schach im Titel oder Titelbild tragen, sind
trocken wie Wüstensand, langweilig wie die Einöde,
zum Verrecken karg. Irgendwann erscheint dann eine rettende
Oase am Horizont, ein viel versprechendes, sattes, buntes
Werk, aber auch dann handelt es sich meist nur um eine
Fata Morgana, die in der Wüstenglut zerrinnt, je
näher man ihr kommt, je aufmerksamer man sie betrachtet.
Und dann steht eines seligen Tages der
erschöpfte Leser doch vor einer blühenden
Insel, mit kräftigen Farben, schillernden Figuren
wie Paradiesvögeln, mit sprudelnden Quellen köstlichen
Nass und er soll diesen Fund verschweigen, nur
weil sich doch kein Schach darin befindet, nur weil
das Titelbild trog, soll er seine Freude für sich
behalten, die genossene Köstlichkeit verheimlichen?
Nein, das ist zuviel verlangt, so grausam kann niemand
sein – man muß ihn diese Begeisterung verkünden
lassen! Es bleibt ja trotzdem ein verdammt gutes Buch,
überaus lesenswert, spannend und authentisch, Murray
Smiths Erstling "The Devils Juggler",
das den weißen Bauern auf dem schwarzen Spielfeld,
Spritze und Patrone haltend, aus anderen als Schachgründen
auf dem Umschlag trägt.
Wir beschweren uns auch nicht über
die Irreführung, wir danken dem Designer vielmehr,
dass er durch einen kleinen Trick uns diesen Thriller
zur Aufmerksamkeit brachte. Und ein Thriller ist es,
im wahrsten Sinne des Wortes, und damit nicht alles
umsonst war, können wir sogar einen Schachsatz
zitieren: "If her instinct was right, she suspected
Jardine would be pleased the Columbian lawyer was still
on the chessboard, free to play on, and be played against"
(333). Außerdem, wenn das eine Rechtfertigung
ist, sehen fast alle "major players das Geschehen
als "game", als Partie. Jardine, der Britische
Sicherheitsoffizier, nicht anders als Restrepo und Envigado,
die kolumbianischen Drogenbosse, Homicide Lieutenant
Lucco aus New York ebenso wie Eugene Pearson, der nordirische
Richter und Autorität im militärischen Flügel
der IRA. Aus diesen vier Haupt- und vielen kleineren
Nebensträngen wird eine überaus komplexe Geschichte
gesponnen mit einem furiosen und vor allem realistischen
Finale. Der Autor, selbst ein vormaliger "Special
Force Officer", so wird uns versichert, hat lange
Zeit in Kolumbien und Nordirland recherchiert, um sowohl
die unbegreifliche Menschenverachtung der Drogenbosse,
die mit empörender Gewalt vorgehen, deren ausgeklügeltes
Informationsnetzwerk und die politisch-wirtschaftlichen
Verflechtungen weltweit, überzeugend darzustellen,
als auch den Hass der IRA-Leute auf die Briten und den
ehrlichen Willen, die Heimat zu verteidigen. Was entstand,
sind sehr realistische Figuren und keine Hollywoodhelden
oder -bösewichter. Auch der brutalste Kartellboss
zeigt menschliche Züge, auch der kühlste Cop
ist erpressbar, auch der fanatischste Terrorist hat
Gewissensprobleme und auch der fähigste Geheimdienstmann
wird manchmal von seinem Unterleib geleitet. Man fragt
sich als Leser immer wieder: Wie hättest du gehandelt?
Hätte man der Bestechung widerstanden oder den
Verführungskünsten, wäre man hart genug,
die angedrohte Ermordung der Familie zu ignorieren,
um der Sache zu dienen, kann man die moralischen Probleme
des Fanatikers akzeptieren
? Das, und die zahlreichen
Insiderinformationen machen die Geschichte um die unbekannte
Tote in New York, den Versuch der IRA neue Geldquellen
durch Drogenschmuggel zu erschließen, den Plan
des Geheimdienstes einen Agenten in den inneren Zirkel
der Kolumbianer einzuschleusen und deren europäische
Expansionspläne so authentisch, glaubhaft und überaus
lesenswert. Murray vereint das Beste aus Frederick Forsyth,
John le Carré und Ed McBain, des einen hartnäckige
Recherche, des anderen Ernsthaftigkeit und des dritten
leichte Feder und Glaubhaftigkeit. Kurz: das muss einer
der besten Thriller sein, die je geschrieben wurden.
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--- Jörg Seidel, 02.08.2005 ---
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