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Walter Tevis: The Queen's Gambit
Most of the time,
chess was the only language between them. One afternoon
when they had spent three or four hours on endgame analysis
she said wearily, "Dont you get bored sometimes?
and he looked at her blankly. "What else is there?
he said.
Man hält ein Buch im provokativen
Rot-Weiß-Cover in der Hand, auf dem die Kreml-Silhouette
(rot) und eine gegen sie gerichtete weiße Schach-Dame
zu sehen sind; dann liest man auf dem Umschlag, dass
Martin Cruz Smith, der Bestsellerkönig des Thrillers
(Gorky Park) das Buch als eines der spannendsten der
letzten Jahre bezeichnet. Schließlich wird auch
während der Lektüre bald klar, dass alles
im finalen Kampf des amerikanischen Schachgenies mit
den sowjetischen Schachautomaten enden muss. Und da
sollte man nicht an einen gängigen Politthriller
glauben, spannend vielleicht, aber doch sicherlich nicht
wirklich aufregend?
Tatsächlich, die Seiten blättern
sich fast von alleine um, so flüssig liest sich
das Ganze. Erst am Ende wird einem bewusst, dass man
doch etwas ganz anderes, etwas Ungewöhnliches gelesen
hat. Eine Schachgeschichte, rein und direkt, wie es
sie bisher noch nicht gab. Wer sie noch nicht kennt,
der sollte nicht über Schachliteratur palavern,
wie niemand über Spirituosen sprechen sollte, der
noch nie einen glasklaren, eiskalten Wodka sich hinter
die Binde goss.
"With some people chess is a pastime,
with others it is a compulsion, even an addiction. And
every now and then a person comes along for whom it
is a birthright. Now and then a small boy appears and
dazzles us with his precocity at what may be the worlds
most difficult game. – so weit so gut; alles
schon mal da gewesen, in der Literatur und im wirklichen
Leben: Capablanca, Reshevsky, Fischer
. "But
what if that boy were a girl – a young, unsmiling
girl with brown eyes, brown hair and a dark blue dress?"
(114). Schon ändern sich die Prämissen. Wir
sprechen auch nicht über einen Fall Polgar, sondern
um ein Waisenkind im Heim, wo es unter strengem Reglement
leidet und bald zum Sklaven der verabreichten Psychodrogen
wird. Das Schach kommt zu ihr wie das Schicksal. Sie
erlernt es vom mürrischen alten Hausmeister, der
ihr, als er nicht mehr weiter weiß, die MCO (Modern
Chess Openings) schenkt. Man verbietet ihr sogar das
Spiel, so dass sie beginnt im Kopf zu spielen. Schließlich
wird sie adoptiert, und nach ersten lokalen Turniergewinnen
wird sie von ihrer Adoptivmutter zu den einträglichen
Open begleitet, wo sie anfängt, jede Menge Geld
zu verdienen (was in Amerika ja tatsächlich möglich
ist). Das ist im Großen und Ganzen die Geschichte:
Beth wird besser und besser und spielt gegen immer stärkere
Gegner, wird schließlich US-Meisterin und landet
im internationalen Geschäft, wo sie erst von Borgov,
dem sowjetischen Weltmeister ernsthaft ausgebremst wird.
Dazwischen gibt es, fast am Rande, ein paar Männer
– alles Schachspieler – und jede Menge Pillen
und Alk, so viel, dass ihr die Trunksucht alles zu verderben
droht. Nur wenn sie dieses Problem – dessen Geschichte
noch geschrieben werden muss: Spitzenschach und Alkohol
– in den Griff bekommt, kann sie zum letzten Kampf
in Moskau antreten. Aber selbst dort werden die alten
Klischees nicht bedient. Statt der Parteikader werden
dem Leser wirkliche Menschen vorgestellt, sympathische
Männer, die mehr oder weniger mit Niederlagen umgehen
können. Nichts von Kalter Krieg und so. Wenn Tevis
seine Heldin allein im Moskauer Hotel die Analysen machen
lässt, während im Stockwerk drunter Tal und
Petrosjan aushelfen, dann adressiert er nur ein altes
Problem des Schachs im Westen.
Was das Buch immer und immer wieder vorantreibt
ist das Schach. Zwei Drittel des Buches bestehen aus
Partiebeschreibungen, nichts sonst. Und da gelingt es
Tevis ausgezeichnet die innere Spannung lebendig zu
machen, die Atmosphäre, angefangen bei den Turniersälen,
den Charakteren und Typen, den jeweiligen Ritualen und
kleinen Tricksereien über die inneren Wandlungen
während einer Partie, die Ängste, Freuden,
Reueanfälle, die Scham und der Schmerz nach dem
Verlust, das ewige Problem der Schlaflosigkeit vor und
nach aufregenden Partien, die Selbstverfluchungen, Autosuggestionen
oder Hassanfälle, die Versuche, den Gegner psychologisch
zu beeinflussen, die Panikattacken in Zeitnot, ja bis
hin zu solch subtilen Beobachtungen, wie verschieden
die jeweiligen Spieler ihre Figuren führen und
berühren. In all diesen Betrachtungen kann der
erfahrene Schachspieler mitfiebern, schlägt sein
Herz im selben Rhythmus. Selbst, wo sie Terrain betritt,
das den meisten unter uns versagt bleibt, etwa die Sorge
zu haben, gegen den schier unbesiegbaren Weltmeister
zu spielen und sich wochen- und monatelang in achtstündigen
täglichen sessions darauf vorzubereiten, kann man
ihr emotional folgen. Jeder zumindest, der wie sie das
zauberhafte Gefühl kennt, wenn sich der Geist vom
Körper trennt um als Konzentrationskugel über
dem Schachbrett zu schweben, und vielleicht auch die
gegenteiligen Augenblicke, wo man durch das Schach den
Sinn fürs richtige Leben überhaupt verlieren
kann. Mit jeder neuen Partie lässt Tevis das Herz
des Lesers schneller schlagen, als stünde in jeder
Partie das große Schicksal zur Disposition. Keiner
hat, soweit zu sehen ist, dies literarisch besser bewältigt.
Und wem das immer noch nicht reicht, der wird sich über
zahllose Äußerungen zu diversen Eröffnungen
oder über bekannte Spieler der Schachgeschichte
freuen. Die Tüftler unter den Lesern werden sogar
viele der Partien nachspielen wollen. Sie sind oft so
plastisch geschildert, dass lange Zugfolgen einwandfrei
nachspielbar sein sollten. Es würde nicht wundern,
wenn Tevis Material tatsächliche Großmeisterpartien
oder Endspielstudien waren.
Verlag und Autor versichern die Lesbarkeit
des Buches, auch für diejenigen, die keine Ahnung
vom Schach haben. Daran kann man ernsthaft zweifeln,
denn wer sonst soll seitenlange Abtäusche mit Interesse
lesen, als der gestandene Chess addict? Aber was kümmert
uns das überhaupt?
Walter Tevis: The Queen's Gambit. London 1983
--- Jörg Seidel, 22.06.2006 ---
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