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Salome Thomas-El: I
choose to stay.
A Black Teacher Refuses
to Desert the Inner City.
Our deepest fear is not that we are inadequate. Our deepest fear is that we are powerful beyond measure. It is our light, not our darkness, that most frightens us. We ask ourselves, "Who am I to be brilliant, gorgeous, talented, and fabulous? … Your playing small does not serve the world. There's nothing enlightened about shrinking so that other people won't feel insecure around you. And as we let our own light shine, we unconsciously give other people permission to do the same.
Nelson Mandela
There is no such
thing as a bad student, only a bad teacher.
Michel Thomas
Evan Hunters moderner Klassiker "The
Blackboard Jungle" ist zwar schon 50 Jahre alt,
hat aber an Aktualität nichts eingebüßt.
Die Geschichte eines jungen enthusiastischen Lehrers,
der glaubt, Jugendliche eines New Yorker Randbezirks
erziehen zu können, der seine gesamte Energie und
Liebe in dieses Unternehmen steckt und der am Ende gebrochen,
desillusioniert, ausgebrannt ist, gescheitert am System,
dürfte in dieser oder jener Form sich hunderttausendfach
wiederholt haben. Auch in Deutschland, in weit günstigeren
Bedingungen, gibt es ganze Generationen von Lehrern,
die in die innere Emigration flüchten, die ihren
"Job machen" als gelte es Maschinen zu bedienen,
oder zum Entertainer verkommen; nicht, weil sie schlechte
Lehrer wären, sondern weil sie es aufgaben, gute
sein zu wollen.
Aber es geschehen noch Zeichen und Wunder,
die Mär vom engagierten Lehrer geht um, vom Lehrer,
der einen Unterschied im Leben seiner Schüler macht.
Salome Thomas-El erzählt diese Legende neu, es
ist seine eigene Geschichte, sie klingt gerade vor dem
Hunterschen Realismus wie ein Märchen.
Er selbst wächst in der "inner
city", einem Schwarzen-Viertel im Norden Philadelphias
auf, vaterlos, wie so viele aus diesem Milieu. Die Erfahrungen
sind zwiespältig: einerseits lernt er Armut, latenten
Rassismus und Gewalt kennen, andererseits einen ausgeprägten
community sense und einige wenige engagierte Lehrerfiguren.
Sie vor allem sind es, die dem Jungen das Selbstvertrauen
geben, an sich zu glauben, zu lernen und am College
zu studieren. Viel Amerikatypisches Pathos fließt
ihm da in die Feder, wenn er im ersten Teil seines Buches
die eigene Kindheit und Jugend rekapituliert; allzu
oft ist die Rede vom Weinen und Lachen, von schmalzigen
Durchhaltereden, von Ich-liebe-Dichs, "dont
give up"- und "you can do it"- Propaganda,
von "Thank God" und innigen Gebeten, von ewigem
Optimismus und Dauerbegeisterung, von ungezählten
Superlativen... Für europäische Ohren klingt
das oft belastend und könnte eine guter Grund sein,
die Lektüre vorzeitig zu beenden.
Das wäre ein Fehler!
Vermutlich zielt Thomas-El auf eine Leserschaft,
die die Botschaft eingehämmert braucht, auf Menschen,
die an ihre Chance nicht glauben können, denen
man die Litanei tausendfach vorbeten muss: Verschafft
euch Bildung! Das ist der Schlüssel, um alle Türen
zu öffnen. Wahrscheinlich wird dieses Publikum
auch nicht Anstoß an der aufdringlichen Ich-Bezogenheit
nehmen, an einer charakterstärkenden Egozentrik,
die sich permanent einredet: ich bin etwas, ich bin
stark und smart und clever, ich bin der beste, alle
lieben mich und die mich nicht lieben, denen zeige ichs
.
Denn Thomas-El spricht in erster Linie zu Menschen,
deren Selbstvertrauen auf dem Nullpunkt zu sein scheint.
Er jedenfalls ist einer, der gegen alle
Wahrscheinlichkeit, mithilfe der Bildung, den Ausbruch
aus dem Ghetto schafft, der studiert und seine Berufung
zum Beruf macht: Lehrer. Auch hier übertrifft er
sich in nervigem Selbstlob, aber warum soll einer, der
das schier Unmögliche schafft, sich nicht feiern
dürfen? Trotz glänzender Angebote entscheidet
er sich für eine Schule im Problemviertel und dort
gelingt es ihm tatsächlich, den Unterschied zu
machen. Natürlich ist er ein hervorragender Lehrer,
liebevoll, verständig, mit unglaublich viel Energie,
Enthusiasmus und Kreativität, sein Meisterstück
jedoch wird die Wiederbelebung des Schulschachteams
"The Mighty Bishops" sein, das in den 80er
Jahren schon einmal landesweite Erfolge feierte. Sobald
El aufhört, sich selbst zu thematisieren wird das
Buch gut lesbar, ja regelrecht fesselnd. Mit der eigentlichen
Schachgeschichte – ab Seite 127 – beginnt
er sein pädagogisches Talent in einfachem Englisch
glaubhaft und lesenswert rüberzubringen. Ausgangspunkt
seiner Entscheidung war die Überlegung, die Kids
auf geistigem Gebiet zu fordern und nicht länger
ausschließlich dem Wunschtraum des Basketballprofis
nachzuhängen - "I wanted respect for the mind
and not just athletic prowess" (149) -, der bislang
einzigen Möglichkeit für "Africa-Americans"
sich einen Namen zu machen.
"Thats when I decided I had
to find something else to challenge them. I had to find
something to get them to expand their minds. I wanted
sharp minds so they would be at their best to compete
(104)."
Chess is a mental sport where they can
gain fame, and they can be popular in the school for
achieving. Kids – like everybody else – want
to be noticed, to be accepted and valued for themselves.
This would make them athletes of the highest calibre.
They could get attention, just like athletes, and be
known and affirmed all over the community. Most of all,
there would be the educational benefit (128).
Pädagogisch mag das Konzept, das
sich primär am Ruhm orientiert, fragwürdig
sein, praktisch jedoch zeichnet es sich durch scharfsichtigen
Realitätssinn aus. Schach stellt den Ausstieg aus
einer verkehrten Welt und den Einstieg in eine bessere
dar. Wenn das gelingt, dann wurden die Möglichkeiten
des Spiels bis an die äußersten Grenzen ausgereizt
und jede gerettete Seele wiegt locker ein Dutzend Kasparows
auf. So gesehen verdienen die Kids Stars genannt zu
werden!
"My biggest challenge will be to
get the kids to buy into chess; I thought. It wont
be the same because this is now a totally different
culture.
Chess is a game of algebraic concepts
So it would be easy for the students to transfer those
skills right over into algebra classroom.
Thats it, I thought. If they could
grasp those concepts, not only would they play excellent
chess, but it would teach them to think, to analyze,
and to broaden their knowledge (130).
Tatsächlich gelingt es mit einem
kleinen didaktischen Trick, einige Kinder zu interessieren.
Schnell nimmt der Verein an Größe und Akzeptanz
zu und bald besteht ein "reges Vereinsleben".
Am Brennen ist diese Flamme nur mit enormem Aufwand
zu halten, zahllose Überstunden, Reisen, Turniere
Geld muss beschafft werden. Dann kann es nicht ausbleiben,
dass erste Erfolge sich einstellen (1996/97). Nebenbei
werden Zusammengehörigkeitsgefühl, Disziplin,
Denkvermögen entwickelt, die Kids beginnen, ihre
Situation zu reflektieren. Vor allem aber dient das
Schach als "confidence game", als Spiel zur
Erlangung von Selbstvertrauen. Hier wird auch deutlich,
dass nichts besser geeignet sein kann als eben das Schach,
dass nicht nur Selbstbewusstsein verleiht, sondern aufgrund
seiner absorbierenden Kraft auch vergessen lässt.
Und zu vergessen haben jene Kinder erschreckend viel!
Thomas-El mit einigen
seiner Schüler des Vaux Chess Teams
Bildquelle: http://www.thechessdrum.net/newsbriefs/2003/NB_Vaux.html
Um die wahre Dimension dieser Leistung
zu ersehen, muss man sich klar machen, dass wir hier
über Kinder aus den Großstadtslums sprechen.
Die sind meist vaterlos aufgewachsen, weil die Väter
im Knast sitzen, ermordet wurden oder dem Elend einfach
geflohen sind. Sie haben die Idee verinnerlicht, dass
Bildung "acting white" bedeutet. In ihrer
Umgebung geht der Tod ein und aus: kaum eine Familie,
die keine Opfer von Schießereien und Drogenkonsum
zu beklagen hat, und nicht selten sind diese Kids selbst
Gewaltopfer geworden. Sie können des Nachts nicht
schlafen, weil vor ihrer Haustüre sich Bandenkriege
austoben, sie wissen mitunter nicht, wo sie sich morgen
betten werden. Wir sprechen von Kindern, die noch nie
in ihrem Leben ein weites Feld oder lebende Kühe
gesehen haben, die noch nie abgasfreie Luft atmeten,
die fast ausschließlich von junk food leben
Erst das Schach wird ihnen neue Welten eröffnen.
Dies sind die Kinder, welche wenig später
Meistertitel erringen werden und deren Besten es sogar
gelingt Spieler zu schlagen, die ihnen 1000 USCF-Punkte
voraus sind.
Zu siegen im Schach, erlangte eine vollkommen
neue Bedeutung.
"We were winning tournaments, but
that was not the point of the chess matches – at
least not from my point of view. I loved it when they
won, and they needed to win. But the winning was to
show them what they could do. They were talented young
people. They were beginning to realize that they had
potential. Just growing up in the inner city didnt
automatically make them losers.
They needed that one thing – a chance
to succeed. Thats one of the important reasons
I stayed in the inner city – to inspire kids and
to help them know that they could succeed in their careers
and in life (221).
Auch wenn Thomas-El nicht alle Kinder
erreicht und einige den kriminellen, den Drogenpfad
gehen, so bleibt die Bilanz doch atemberaubend. Am erfolgreichen
Ende wird der Triumph sogar landesweit medienwirksam
und Prominente stellen sich ein. Wichtiger jedoch ist,
dass Thomas-Els Philosophie offensichtlich aufging:
"that my kids could overcome anything if they only
knew they could be successful"(200). Einige jedenfalls
schaffen es, beenden die Schule mit hervorragenden Leistungen,
studieren und werden die Botschaft wohl weitertragen.
Eine Erfolgsstory die kein Schriftsteller
besser erfinden kann, und ein Buch - ich weigere mich
gewöhnlich, derartige Sätze zu schreiben -
das Kraft gibt!
Interessante Seiten:
http://www.thechessdrum.net/newsbriefs/2003/NB_Vaux5.html
http://www.ichoosetostay.com/
http://www.timesx2.com/vaux/page4.html
(Demetrius Carroll)
http://www.timesx2.com/vaux/
(The Mighty Bishops)
--- Jörg Seidel, 30.06.2004 ---
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Jörg Seidel und darf ohne seine schriftliche Zustimmung
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