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Versuch, die Frage zu beantworten:
Warum der Computer den Menschen nicht besiegen kann?
"Das Langsamste wird im
Lauf niemals vom Schnellsten eingeholt werden; erst
einmal muss doch das Verfolgende dahin kommen, von
wo aus das Fliehende losgezogen war, mit der Folge,
dass das Langsamere immer ein bisschen Vorsprung haben
muss."
Aristoteles über das Achillesparadox des Zenon von Elea (Physik VI 9. 239 b)
Seit Jahrzehnten gehört in ein gutes
allumfassendes Schachbuch die Computerrubrik, und die
wiederum kann es sich offensichtlich nicht leisten,
ohne Prognose auszukommen: wann wird der Computer endgültig
den Menschen - gemeint sind natürlich immer nur
die besten der Spezies - hinter sich lassen. Gesucht
wird der Zeitpunkt, an dem auch die hervorragendsten
Geister keinerlei Chance mehr haben werden, so als würde
Max Mayer tausend mal gegen Kasparow antreten und tausend
mal verlieren. Doch Max würde eine statistische
Chance durchaus besitzen, auch wenn sie auf Grund der
beschränkten Lebenserwartung keine Hoffnung auf
Realisierung hätte. Vielleicht läge sie bei
1 zu 1 Mio. oder 1 zu 1 Mrd.; es ist müßig,
derartige Prognosen zu tätigen, aber es ist ebenso
einsichtig, dass dieses unwahrscheinliche Ereignis doch
eintreten würde, wenn eine entsprechend große
Zahl von Partien zu Verfügung stünde. Vollends
verständlich wird der Gedanke, wenn wir hier vom
menschlichen Faktor abstrahieren. Stellen wir uns Kasparow
und Kramnik oder Kramnik und Anand, darauf kommt es
nicht an, als feste unveränderliche und ideale
Größen vor, vergleichbar dem Massenpunkt
der Physik, als Größen also, die weder biologischen,
psychischen, physischen, historischen Veränderungen
unterliegen. Stellen wir uns weiterhin vor, wir könnten
die Spielstärke einfrieren und für die Ewigkeit
konservieren. In diesem "ewigen Zustand" hätte
die beiden Glücklichen nichts anderes zu tun, als
ununterbrochen Schachpartien miteinander auszutragen.
[...]
Dieser Artikel wurde in das Buch "Metachess.
Zur Philosophie, Psychologie und Literatur des Schachs"
(Edition Grundreihe, 2009, ISBN: 978-3-937206-07-3,
Paperback, 14,8 x 21 cm, 426 Seiten, 22,90 Euro)
aufgenommen und kann dort in voller Länge gelesen
werden.
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Jörg Seidel und darf ohne seine schriftliche Zustimmung
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