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Josef Seifert: "Schachphilosophie"
Ein Buch für Schachspieler,
Philosophen und ‚normale’ Leute
Der Philosoph ist eine Figur, die durch die Professionalisierung des Nachdenkens über Grundfragen der Existenz und die metaphysischen Ideen aufkam. Erst seit 200 Jahren, seit Immanuel Kant, gibt es diese Professoren-Philosophen, die sich von der Kommunikation mit ihren Zeitgenossen abkehren und nur noch mit Kollegen und Schülern über selbsterfundene Probleme kommunizieren.
Peter Sloterdijk
Schachphilosophien sind ein seltenes
Ereignis, sie sind kostbare Kleinode, von vorn herein;
ihren Erscheinungsrhythmus muss man in Jahrzehnten rechnen.
Jede einzelne verdient daher besondere Aufmerksamkeit.
Josef Seiferts Schachphilosophie –
die letzte im deutschsprachigen Raum – erschien
1989. Ihr Verfasser ist professioneller Philosoph, akademischer
Angestellter, bezahlter Denker, er ist ein "hohes
Tier", Professor und Rektor und Vorstand und Mitglied
und überhaupt alles, was man auf diesem Bildungswege
erreichen kann. Professionell und professoral entledigt
er sich denn der selbstauferlegten Aufgabe einer Schachphilosophie,
die dementsprechend nicht immer leicht zu lesen ist.
Ein Buch für "Schachspieler und normale Leute"
ist es daher wohl eher weniger, ein Buch für Philosophen
vielleicht, für akademische zumindest.
Der bewusst kühl, objektiv und -
soll ich es schon wieder sagen? - akademisch gehaltene
Ton will dem Schachliebhaber nicht recht schmecken.
Nichts gegen Objektivität der Sache nach, aber
eine Philosophie des Schachs ist immer auch, konstitutiv,
die Philosophie einer Liebe und Leidenschaft; sie darf
daher in gewissem Umfang Emotionen zeigen und emotional
werden. Geschmackssache? Sicherlich! Wenden wir und
also dem Inhalt, der geschmacksfreien Zone, zu.
Von den sechs Hauptkapiteln kann man
das letzte getrost vergessen. Nicht nur dass es, das
obligatorische Computerkapitel, hoffnungslos der Zeit
hinterherhinkt – dafür kann Seifert nichts
-, sondern vor allem ist nicht diskussionswürdig,
wer sich Poppers verbalem Missgriff vom Computer als
"glorifiziertem Bleistift" vorbehaltlos anschließt
oder Jeanne Herschs albern-anmaßende Antwort
auf die listige Frage, "wie sie denn wissen kann,
dass Computer nicht denken": "Weil ich weiß,
was Denken ist" für treffend hält. Da
zeigt sich doch lediglich, dass diese Philosophengeneration
vom Problem vollkommen überfordert ist. Auch Seifert
fühlt sich auf dem Terrain sichtlich unwohl und
hätte gut daran getan, auf den systematischen Anspruch
zu verzichten und dieses ihm fremde Gebiet zu meiden,
statt den Leser mit Verweisen auf eigene Leib-Seele-Veröffentlichungen
zu malträtieren oder sich in Verweisungsexzesse
zu begeben, auf dass niemand verstehe, was man (oder
dass man eben nichts) zu sagen hat.
Dabei ist Kapitel 6 nur der krönende
Abschluss einer Talfahrt: was relativ vielversprechend
begann, gleitet immer mehr in Obskurantismus und Banalität
ab (sieht man mal von der unbeantwortet gebliebenen
Eingangsfrage "Wozu eine Schachphilosophie?"
ab). So kommt es, dass das Buch dort am stärksten
ist, wo "es" nicht denkt, sondern sammelt,
wo Seifert der Frage nachgeht, was das Schachspiel sei
und woher es seine Faszination erlange. En passant erledigt
er dabei Wittgenstein – den Wittgenstein
-, sowie de Groot (und später noch Ryle, ohne leider
dieselbe Entschlusskraft hinsichtlich Popper aufbringen
zu können) und kommt schließlich zu folgenden
Gründen:
- "Astronomische Fülle möglicher
Positionen und Spiele"
- "Die Geregeltheit, Intelligibiltät und
Logik des Schachspiels", was soviel heißt,
dass Schachspieler (meist) unbewusst an den ewigen logischen,
mathematischen, geometrischen intelligiblen Gesetzen
genießend teilhaben.
- "Notwendige und frei gewählte Züge
– das Schachspiel als Lösung der scheinbaren
Kantischen Antinomie von schöpferischer Freiheit
und notwendiger Regelhaftigkeit"; auf gut Normale-Leute-Deutsch:
die faszinierende dialektische Wechselwirkung von Freiheit
und Notwendigkeit.
- "Das Ganzheitsprinzip und die Relativität-Relationalität
der materialen und positionellen Werte beim
Schachspiel", sprich den relativen Wert der Figuren
entsprechend der aktuellen Stellungsanforderungen in
deren Zusammenspiel und die als befriedigend empfundene
Ganzheit von Raum, Zeit und Material. Saussure und Wittgenstein
haben daraus sprachliche Analogien abgeleitet, zu denen
Seifert "kritisch bemerkt", "dass weder
Saussure noch Wittgenstein den fundamentalsten Unterschied
zwischen den zwei Arten von Gestalten und sinnvollen
Ganzheiten sehen, die die Sprache vom Schachspiel trennen"
(32).
- "Die Dialektik von strenger Vorhersehbarkeit
und Überraschung"
- "Pluridimensionalität der Regeln und Dynamik
des Schachspiels: Die Kunst des Schach als Analogie
zur Detektiv- und Feldherrenkunst"
- "Die Anziehungskraft der konzentrierten
Stille des Nachdenkens und möglicher Formen
der Kommunikation" (38)
- "Siegesabsicht, Wettbewerb, Kräftemessen
und allgemeinere Momente der Faszinationskraft des Spiels"
(40)
- "Schach als Problemschach – Quasi-Wissenschaft
und rationales Rätsel" (40)
Im zweiten Kapitel, dem eigentlichen,
widmet sich der Autor den Schachgesetzen und deren ontologischen
und erkenntnistheoretischen Aspekten. Leider wird da
noch einmal im großen Stile exemplifiziert, was
Abschnitt 1/3 bereits andeutete: dass hier weniger das
Schachspiel metaphysisch durchdrungen und zum Denkanlass
genommen wird, sondern bereits getätigte Forschungen
und Veröffentlichungen auf das Schach gepresst
werden. Wer über die dritte Kantische Antinomie
gearbeitet hat, der sieht im Schachspiel (und anderswo)
eben die dritte Kantische Antinomie oder deren Widerlegung,
und wer sein Leben damit verbrachte, die unerschöpfliche
Literatur zum Leib-Seele-Problem zu wälzen um sie
mit eigenen Werken zu bereichern, der sieht eben im
Schach (oder sonst wo) das Leib-Seele-Problem konfiguriert,
und wer die "schlechthin unbezweifelbare objektive
Evidenz der Erkenntnis zu erweisen (sucht), die sich
auf die Realexistenz des ego cogito und auf notwendige
allgemeine Wesensgesetze bezieht" (53), der wird
versucht sein, sie eben auch aufs Schach (oder auf alles)
zu beziehen. Wäre Seifert Taoist, so hätte
er uns von Yin und Yang im Schach erzählt, wäre
er Marxist, vom symbolisierten Klassenkampf, als Strukturalist
die Beziehung von Signifikant und Signifikat und als
Vertreter der Kritischen Theorie hätte er uns wohl
vom idealen Diskurs als Schachspiel belehrt. So fügt
es sich also, dass wir etwas über den ontologischen
und epistemologischen Status von Schachgesetzen und
-regeln erfahren, was ja, immerhin, als Beitrag
zu einer Schachphilosophie, auch erhellend sein kann.
Wer es denn wissen will, der liest also, dass "die
Regeln des Schachspiels in ihrer Konventionalität
einen radikalen Gegensatz zu Wesensgesetzen" (43)
bilden, dass sie z.T. konventioneller, z.T. apriorischer
Natur sind und in stetiger Wechselwirkung stehen ("Denn
die notwendigen Gesetze des Schach hängen ja außer
von Logik und Mathematik auch von der Dreiheit der Grundelemente
des Schachspiels ab: dem Schachbrett, dessen Figuren
und Regeln sowie deren weiteren Bestimmtheiten";
49). Und dass dies schließlich die Grundbedingung
für die Faszination am Schach sei: "Die innere
Notwendigkeit jener ewig-gültigen Gesetze, die
– stets unter der einmal gemachten Voraussetzung
konventioneller Schachregeln – für das
Schachspiel gelten, machen mit den einmaligen Reiz des
Schachspiels aus. Das Schachspiel bringt uns in Berührung
mit einer besonderen Eigenwelt notwendiger Zusammenhänge,
ähnlich wie die Mathematik oder die Logik oder
andere apriorische Wissenschaften" (51).
Das vage Gefühl, dass der Alltagsverstand
sich den Talar überzieht um unerkannt anerkannt
zu werden, wird man nicht los. Nirgendwo deutlicher
als im allerletzten Satz des Buches verrät sich
Seiferts Doppelseele (der provinzielle Schach-Lieb-Haber
in akademischer Robe?): "Das Schachspiel als Spiel
bleibt also, ebenso wie sein Verstehen und die Freude
an seiner unendlichen Vielfalt und analogen und symbolischen
Bedeutung, für immer ein Prärogativ von Menschen
und damit eine Gabe für Schachmeister und Vereinsspieler,
Hobbyspieler und Turnierspieler, Schachfreundinnen und
Schachfreunde, denen ich diese Ausführungen herzlich
widme" (142).
Selbiges gilt für das Kapitel "Schach
und Erkenntnis". Man ahnt es schon: Prof.
Seifert hat auch auf diesem Gebiete dicke z.T. mehrbändige
Werke verfasst und macht uns nun anhand des Schachs
mit ihnen indirekt bekannt. Und als wollte der Talarträger
den soeben geäußerten Verdacht bestätigen,
schreibt er zusammenfassend: "Dieser synthetisch
notwendige Charakter, der auch den meisten philosophischen
Wesensgesetzen, wie auch übrigens (entgegen der
Meinung Kants) den obersten ontologischen und logischen
Gesetzen selbst, eigen ist, findet also eine besonders
reine und klare Exemplifizierung in den notwendigen
Schachgesetzen, die man aus diesem Grunde als besonders
geeignete Beispiele synthetisch-apriorischer Beispiele
wird ansehen können" (72).
Philosophische Verklausulierung des Banalen?
Mehr zum Thema jedenfalls erfährt man bei den philosophischen
Laien Suetin, Krogius, Nunn u.a.
Mit seinen Gedanken "Zu einer Ethik
des Schachspiels" beginnt Seifert – und setzt
dies im folgenden Kapitel fort – was man akademisch
als "Phänomenologie der Analogetik und Metaphorik"
bezeichnen könnte um dahinter die schlichte Tatsache
der Sammlung von Schachanalogien zu verbergen. Prinzipiell
wird das Schachspiel als "ethische Analogie"
enttarnt, nicht zuletzt, weil in seinem Vollzug "immanente
moralische und quasimoralische Tugenden", wie etwa
die Klugheit, die Umsicht, die Demut, die Bescheidenheit
eine Rolle spielen (sollen). Dabei wird von der fraglichen
Prämisse ausgegangen: "Dass die Klugheit im
Abwägen der Konsequenzen, die bedachte Handlungsweise
des Schachspielers, nicht selber eine sittliche Qualität
besitzt, hindert freilich nicht, dass die für sich
allein betrachtet immer extrasittliche Fähigkeit
der Klugheit, die erst durch Einsatz für das Gerechte
und Gute bzw. sittlich Relevante selber sittlich
gut wird, im Schachspiel geübt wird und,
nachdem sie so im Spiel geübt wurde, auch in den
Dienst des Lebens gestellt werden kann" (88). So
weit so gut, aber wird sie es auch und kann
sie es überhaupt werden? Fragen, die innerhalb
der Seifertschen Schachphilosophie, wo man sich offensichtlich
mit bloßen Möglichkeiten zufrieden gibt,
nicht gestellt werden. Stattdessen wird im Trüben
gefischt und von Analogien zu "Weltgeschehen und
Weltgericht" palavert um als deus ex machina zu
der Fundamentalerkenntnis zu leiten: "In dieser
Sicht kann das Schachspiel über sich hinaus zu
einer Betrachtung führen, indem es uns konkret
und in besonders eindringlicher Form lehrt, dass alle
unserer Handlungen, selbst wenn sie im besten Sinne
gemeint sind, bei unbedachter und unkluger Ausführung
und bei Mangel der Erwägung aller möglichen
Konsequenzen unseres Handeln in der Welt großen
Schaden stiften können" (89).
Interessanter wird es da, wo die "eigentlich sittliche
oder unmoralische Dimension im Schachspiel" abgehandelt
wird. Zwar ist durchaus nicht deutlich gemacht, was
den Schachspieler - der "ja die Person des Partners
nicht kalt ignorieren" darf, "er soll nicht
bloß ein guter und menschlich angenehmer Spielpartner
sein, sondern auch eine sittlich gute Beziehung zum
Gegenüber haben" (91) - von jedem Teilnehmer
einer interpersonellen Relation unterscheidet, aber
dass er offensichtlich schachspezifischen Versuchungen
zu Selbstsucht, Stolz und Ehrgeiz ausgesetzt ist, vor
allem da es sich um ein Intellektbezogenes Spiel handelt,
ist detaillierter moralphilosophischer Analyse wert,
ebenso wie die Tatsache, dass es sich an sich
um ein Kriegs- und Kampfspiel handelt, dessen Ziel es
bleibt, den Gegner auf hochsensiblem und identitätsstiftendem
Gebiet zu besiegen. Die einfache aber erhellende Einsicht
des Berufsphilosophen ist überzeugend: "Die
beiden Gegner greifen sich nicht tätlich
an, sondern nur geistig, und außerdem sind beide
auf ein von ihnen ganz verschiedenes Drittes gerichtet,
nicht aufeinander" (93).
Und schön wärs, wenn
der Spieler sich die folgenden Zeilen hinter die Ohren
schriebe, um ein sittlich vollkommenerer zu werden:
"Im positiven Sinn bietet sich dem Schachspieler,
vor allem je größer und talentierter er ist,
eine besondere Möglichkeit, die sittlichen Werte
der Demut und der Freundschaft bzw. Liebe zu verwirklichen.
Wenn er bei allem Kampf des Schachspiels dennoch die
Person des anderen bejaht, sich an dessen Erfolgen und
Intelligenzleistungen freut, diese anerkennt und den
wirklichen oder potentiellen Gegner selbst zu besserem
Spiel anleiten möchte, anstatt ihn einfach besiegen
oder unterdrücken zu wollen, dann ist dem Schachspieler
oder Meister eine Noblesse eigen... Sich die eigenen
Schwächen einzuge-stehen und sie aus Liebe zur
Wahrheit und in Bescheidenheit zu bejahen und anzuerkennen,
macht einen Teil des sittlichen Wertes des Schachspielers
aus" (93f.).
Eine weitere Gefahr sieht Seifert in
der subjektiven Generalisierung, von einer intellektuellen
Glanzleistung auf allgemeine intellektuelle Großartigkeit
kurzzuschließen (was ja schon das beste Argument
dagegen wäre). Kasparow als Kronzeuge, der angeblich
"die Begrenztheit seiner eigenen Leistung und ihre
Beschränkung auf das Gebiet des Schachspiels anerkennt",
ist im Nachhinein, war allerdings auch schon 1989, unglücklich
gewählt und zeigt nur, wie zeitrelevant Seiferts
Arbeit ist. Das gilt freilich nicht für die gutgemeinte
Warnung: "Es ist die Gefahr, dass die leidenschaftliche
Begeisterung auf einem gewissen Gebiet uns so sehr packt
und beherrscht, dass sie zu einer blinden Leidenschaft
wird, in der wir andere und viel höhere und wichtigere
Aufgaben unseres Lebens übersehen oder vernachlässigen
"
(99). Dies kann sich durch "Zeitverschwendung"
und die "hohle Art des Schachspiels" entäußern
oder als "Flucht vor dem, was eigentlich zählt"
oder aber als "leidenschaftliches Gehabtsein".
"Schach, Kunst und Leben",
Kapitel 5, verkommt nun fast vollständig zur "analogischen
Phänomenologie"; Schach als Analogon zu Leben
und Tod, zum Hermeneutischen Zirkel (Illustration),
zur menschlichen Freiheit oder Determiniertheit, zur
göttlichen Fügung oder Führung, zur "Realität
der Geschichte als ganzer", deren "Unübersehbarkeit",
zur "Sinnverwirklichung im Einzelleben", zur
Liebe usw. Viel mehr als diese Aufzählung scheint
der Autor nicht beitragen zu wollen und er kompensiert
die Inhaltslosigkeit durch plötzlich ausgiebige
seitenlange Zitationen. Prinzipiell jedoch ist anzuzweifeln
und müsste zuallererst geklärt werden, ob
eine philosophische/ethische/ästhetische Relevanz
überhaupt aus Analogien erschlossen, ob dies die
jahrhundertealte metaphysische Attraktion des Spiels
erklären kann oder ob es nicht eine wesenhafte
Entsprechung geben muss. Außerdem ist die Analogie
das schwächste aller Elemente: alles kann schließlich
für alles Analogie werden. Metapher und Gleichnis
verleiten – darauf hat Hans Blumenberg in mehreren
Anläufen ausgiebigst hingewiesen [1]
– zur sinnfreien Sinndrift; das Bild scheint noch
zu stimmen, aber der Realbezug ist bereits verschwunden.
Schließlich gelangt Seifert in
etwas holprigem Ton zum Kern des Anliegens: "So
kann das Schachspiel als Träger und Relat analoger
Ähnlichkeiten und symbolischer Bedeutungen Ansatzpunkt
für eine Entdeckung und Philosophie der Analogie
und des Symbols werden. Ähnlich wie wir für
Erkenntnistheorie und Ontologie grundlegende Sachverhalte
im Schachspiel fanden, könnten wir auch ein ähnlich
weites Feld für die Betrachtung einer Metaphysik
der Analogie oder der Theorie symbolischer Formen, wie
E. Cassirer sie vorlegte, aus einer Schachphilosophie
entwickeln" (124f.). Nun endlich wird es spannend!
Ja, das ist es, was die schachphilosophische Anstrengung
verlangt und Cassirers "Philosophie der symbolischen
Formen" wäre in der Tat ein vermutlich fruchtbringender
Ansatz oder auch Blumenbergs Metaphorologie, wenn denn
schon Wittgensteins Sprachspiele abgetan worden, oder
Gadamers Hermeneutik oder gar Laskers – der signifikanterweise
noch nicht mal Erwähnung fand! - Macheïde.
Wir lesen nun - aufs Äußerste
gespannt -, was Seifert darüber zu sagen hat:
"Wir möchten hier nicht auf
die unerschöpflich reichen philosophischen Aspekte
eingehen, die sich hier bieten" (125).
Das ist mehr als ein seltsamer Satz innerhalb
einer Schachphilosophie. Es ist der einzig unmögliche!
Anhang: Schlüsselaussagen
in beiderlei Gestalt:
dass
die Schachfiguren an sich zwar Regeln unterstehen,
wie die Sprache, aber – ganz im Gegensatz
zu dieser – keinen Sinn und keine Bedeutung
haben. Die Schachfiguren sind etwas, aber meinen
nichts (9).
ist
eine Philosophie des Schachspiels im eigentlichen
Sinn, d.h. des Spiels als solchem und seiner Regeln,
unmöglich. Denn Philosophie bezieht sich
– neben grundlegenden Fragen realer Existenz
– hauptsächlich auf notwendige Wesenheiten
und Wesensgesetze oder auf tief sinnvolle Modifikationen
notwendiger Wesensgesetze, nicht auf empirische
Naturgesetze oder gar konventionelle Regeln als
solche.
Es
ist durchaus möglich, dass der größte
Schachmeister ein schwacher Theoretiker ist und
dass ein hervorragender Schachtheoretiker ein
schlechter Spieler ist. Denn die konkrete Erkenntnis
des besten Zuges setzt nicht nur ein theoretisches
Wissen nicht unbedingt voraus, sosehr dieses auch
in gewissem Ausmaß zur Verbesserung des
Spiels eine entscheidende Hilfe bietet, sondern
es ist vielmehr auch so, dass das genaueste theoretische
Wissen nicht genügt, um konkret innerhalb
der unendlichen Vielzahl von Situationen innerhalb
eines Spiels den richtigen Zug zu erkennen (81).
Die
Moralität der Spieler ist allerdings ungleich
wichtiger als ein Spiel wie das Schachspiel und
die Spielstärke selbst. Es ist ja unermesslich
viel wichtiger, ein edler Mensch als ein guter
Sportler oder Schachspieler zu sein (86).
Ein
Größenwahn, das Gefühl, die intelligentesten
Menschen der Welt oder die intelligentesten Menschen
in einem Land zu sein, weil sie alle Schachturniere
gewinnen, ist gewiss für Schachmeister eine
erhebliche Gefahr. Dabei bedenkt der Schachspieler
nicht, dass andere Menschen weniger Zeit für
das Spiel aufwenden und vielleicht nur aus diesem
Grunde unterlegen spielen. Er realisiert ferner
nicht, dass es neben jener Intelligenz, die für
das Schachspiel erforderlich ist, viele andere
und in wesentlichen Hinsichten weit überlegene
Formen der Intelligenz, etwa jene des Künstlers,
des Wissenschaftlers oder des Philosophen gibt
(97).
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Dabei ergeben sich wiederum
weit über das Schachspiel hinaus faszinierende
Aspekte der Erkenntnistheorie als solcher, ja
eine Form des Cogito-Arguments und anderer Argumente
für die unbezweifelbare Gewissheit der Erkenntnis
objektiver Wahrheit (Fußnote: Siehe Josef
Seifert, Erkenntnis objektiver Wahrheit, a.a.O.,
Teil II. Siehe auch Josef Seifert; Back to Things
in Themselves. a.a.O.; dort versuche ich, eine
Neuinterpretation des Cogito-Arguments als Einstieg
zu unbezweifelbaren Realerkenntnissen und Wesenseinsichten
darzulegen.) (57).
H. Putnam und eine Reihe
anderer Autoren nach ihm (Block, Armstrong, Lewis,
Smart, Fodor, Harman etc.) haben eine funktionalistische
Leib-Seele-Theorie entwickelt, deren unterscheidender
Gegensatz zu Ryles "linguistischem Behaviourismus"
(dem sich Smart, Shoemaker, Armstrong, Lewis u.a.
ausdrücklich verpflichtet wissen) und auch
zur physikalistischen Identitätstheorie darin
besteht, dass Putnam, wie Metzinger es treffend
ausdrückt, "Personalität und Bewusstsein
von Menschen über nichtphysikalische Eigenschaften
des Gehirns, nämlich über funktionale
Zustände, beschreibt" (127).
In manchen seiner Gestalten
setzt der Funktionalismus sogar Identität
zwischen Materie und Geist an. Deshalb wird er
von jedem Beweis einer wesenhaften Verschiedenheit
des Geistes von Hirnfunktionen oder anderen Gestalten
materieller Leistung in noch stärkerem Maße
getroffen als der Epiphänomenalismus. So
können wir auch Jonas (Fußnote:
Siehe H. Jonas, Macht oder Ohnmacht der Subjektivität.
Das Leib-Seele.Problem im Vorfeld des Prinzips
Verantwortung, Frankfurt 1981. Siehe auch J. Seifert,
Das Leib-Seele-Problem, Kap. III) Kritik des Epiphänomenalismus
als Kritik sowohl der Supervenienz-Theorie als
auch des Funktionalismus sowie anderer Versionen
des Materialismus anerkennen (129).
Der Computer ist, wie
Popper sagt, bloß ein glorifizierter Bleistift,
da er um nichts mehr als dieser dem Verstehen
selbst nahe ist. Das leuchtet aus Searles Beispiel
ebenso wie aus der von mir (1989) gegebenen Analyse
der Wesensunterschiede zwischen Physischem und
Psychischem ein und erfordert, wie Jeanne Hersch
(1986) sagt, nichts, als zu wissen, was Denken
heißt (131).
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--- Jörg Seidel, 19.03.2003 ---
[1]
etwa: "Schiffbruch mit Zuschauer", "Die
Lesbarkeit der Welt" oder "Höhlenausgänge"
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Jörg Seidel und darf ohne seine schriftliche Zustimmung
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