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Auf der Suche nach
der verlorenen Zeit.
Kasparow und die FIDE-WM
"Ökonomie
der Zeit, darein löst dich alles auf."
Karl Marx
Man kann zu Kasparows Persönlichkeit
stehen, wie man will, unleugbar ist, dass er sein Leben
mit dem Schach und den Interessen des Schachbetriebes
– die sich nicht selten mit den seinen verbinden –,
so eng verknüpft, wie kaum einer seiner Zeitgenossen,
so sehr, dass die Intimität dieser Verbindung fast
ein Argument gegen seine Meinung zu werden droht, denn
ein objektiver Blick scheint kaum noch möglich
zu sein. Trotzdem erreichen seine Reflexionen in aktuellen
Schachkreisen ein unerreichtes abstraktes Niveau und
es lohnt sich immer, zumindest aus Sicht der informativen
Belehrung, auf Kasparow zu hören, auch wenn man
seinen Gedankengängen nicht zustimmen muss. Man
kann sogar zu der Schlussfolgerung gelangen, dass revolutionierendes
Schach auf höchstem Niveau überhaupt nur von
Meistern kommen kann, die auch über außergewöhnliche
außerschachliche Geistesgaben und Charaktereigenschaften
verfügen, von Leuten wie Steinitz, Lasker, Nimzowitsch,
Reti, Aljechin, Fischer, Karpow und eben Kasparow, und
umgekehrt die Prognose wagen, dass eher farb- und charakterlose
Figuren wie Anand?, Kramnik?, Leko, Adams oder der neue
FIDE-Weltmeister Ponomariov, sich nie werden in diese
illustre Reihe einordnen können, mögen sie
nun Weltmeister sein oder nicht, denn sie sind Schachspieler
und eben nicht mehr, sie sind Schachdenker, aber keine
Denker.
Nun
hat Kasparow auf www.kasparovchess.com
kürzlich einen Artikel veröffentlicht, der
nicht unbeachtet bleiben darf, eine interessante, gewagte
und engagierte Stellungnahme zur Situation des professionellen
Schachs nach dem "historischen" Sieg des jungen
Ponomariov, ein Aufsatz der die Menge der Polemiken
zum Thema deutlich überbietet. Mit den Moskauer
Ereignissen fand ein Prozess Ausdruck, so Kasparow,
dessen negative Folgen für die Entwicklung des
Schachs unübersehbar seien. Sicher werden manche
erneut auf den arroganten Ton des Artikels anspielen,
oder aber auf die überspitzte Argumentation, die
vielleicht übertriebene Dramatisierung und dergleichen,
aber das alles spielt in Wahrheit keine entscheidende
Rolle, denn, wie gesagt, zu Kasparow kann man stehen
wie man will, seinen Argumenten aber muß man aufmerksam
folgen.
Worauf es ihm ankommt ist dies: "The
main result of the match, and maybe even of the whole
tournament, is the complete failure of the idea of the
new time control. We must say openly that with this
time control we cannot seriously expect to see any games
that can be even roughly compared in quality to the
games with a classical seven-hour control[1].
Das wird um so deutlicher, da der Gegner Ponomariovs
kein geringerer als Wassily Iwantschuk war, ein Spieler,
der nun schon seit einem Jahrzehnt zur engeren Weltspitze
zählt und dessen Leistungen überragend sind,
dessen größtes Handicap jedoch ein nicht
allzu festes Nervenkostüm sei. Es ist jedoch erstaunlich,
dass, zumindest in Teheran/Neu Delhi und Moskau, tatsächlich
sich stets einer der Spitzenspieler durchsetzte. Das
widerlegt z.T. das Argument, hier würde es sich
um Lotterie handeln: Anand, Adams, Shirov, Iwantschuk
– das sind Favoriten gewesen, die sich da in die
Finale und Halbfinale durchkämpften. Aber dass
Anand während der letzten WM schon in der ersten
Runde schwer gefährdet war, das gibt zu denken.
Ponomariov schließlich, die Nr. 7 der Weltrangliste,
das darf man nicht vergessen, schaltete mit Morozevich,
Barejew und Swidler wirkliche Topleute aus, auf dem
Weg zum Finale. Kasparows Argument unterstellt nun,
dass dies nicht hätte geschehen können, wären
die Partien unter klassischen Bedingungen ausgetragen
worden, was sich bis ins Finale fortsetzte, denn Iwantschuk
"is the only leading player capable of such mistakes
as he made in the final. Neither Anand, nor Leko, nor
Shirov, nor Topalov would ever give Ponomariov such
chances"[2].
Auf eine griffige Formulierung gebracht:
"But the main reason for Ponomariovs sudden
success this year is nothing other than the time control"[3].
Insbesondere Spiel 2 und 5 hätten den Nachweis
der theoretischen Überlegenheit Iwantschuks erbracht,
allein die sich anbahnende Zeitnot – derart komplexe
Pläne seien eben nicht in verkürzter Zeit
zu realisieren -, allein die Zeitnot verursachte das
mehrfache Verpassen klarer Gewinnwege, mehr noch, führte
zu groben Fehlern, so dass an sich gewonnene Stellungen
nicht nur nicht gewonnen wurden, sondern gar verloren
gingen. Dies ist in doppelter Hinsicht zu bedauern:
"We can only feel sorry for the great ideas that
never got a chance to be realised"[4].
Und: Iwantschuk wurde um die Anerkennung jahrelanger
Arbeit gebracht. Damit soll nicht behauptet werden,
es hätte einen Anspruch Iwantschuks auf den Titel
gegeben, auch ein klassisches Match zwischen der Nr.
7 und Nr. 8 der Weltrangliste hätte ein offenes
Ende gehabt, aber dann hätte das Resultat auf einer
festeren Basis gestanden. Nicht dass es so gekommen
ist, macht den Erfolg Ponomariovs problematisch, sondern
die Art und Weise, wie er zustande kam.
Warum das so sei, dafür gibt Kasparow
zwei so einfache wie überraschende Gründe
an, deren Konsequenzen enorm sind, übrigens auch
für ihn, denn er erreicht, dies einmal zu Ende
gedacht, nichts weniger als die Relativierung seiner
eigenen Erfolge. Erfolg im Schach definiert sich demnach
ganz wesentlich über den Zeitfaktor (das ist bekannt)
und Schachweltmeister ist man nicht an sich, sondern
nur über diese Definition. Kasparow gibt hier ein
Gutteil seines Titel und seiner Ansprüche preis:
er ist nicht der stärkste Schachspieler schlechthin,
sagt er unausgesprochen, sondern der stärkste Schachspieler
innerhalb eines recht arbiträren Rahmens, innerhalb
der klassisch gewordenen Zeitreglements. Wer also ist
der stärkste Spieler der Welt? Ist es Roland Schmaltz,
der WM im Internetblitz (Bedenkzeit 1 min), ist es Ponomariov
oder Kasparow oder gar Tonu Oim, der Fernschachweltmeister?
Welches Kriterium will man nun hier in Anwendung bringen?
Kasparow optiert für das Qualitätskriterium.
Qualität wiederum definiert sich umgekehrt über
Zeit, denn wer das beste Spiel innerhalb eines bestimmten
Zeitrahmens spielt, darf sich Meister dieser Klasse
nennen. So gesehen ist der 7-Stunden-Rahmen schon eine
Konzession an die Qualität, doch lässt er
sich anderweitig legitimieren. Die Erfahrung lehrt,
dass die klassische Zeitklammer ein Schach erlauben
sollte, in dem auf dem Spitzenniveau die objektive Möglichkeit
besteht – bedingt durch die psychisch-physischen
Parameter des Menschen -, nicht durch Patzer die Partie
zu entscheiden, oder anders gesagt: der Qualitätsunterschied
zwischen Fernschachpartie und klassischer Partie ist
potentiell und erfahrungsgemäß geringer,
als der zwischen klassischer Partie und Schnellschach-
oder gar Blitzpartie. Sie, die klassische Partie, repräsentiert
also eine goldene Mitte, deren Valenz sich in der Geschichte
bestätigt hat. Wird die Partie zeitlich wesentlich
gekürzt, so wird nicht der an sich bessere Spieler
gewinnen, sondern derjenige verlieren, der die meisten
oder signifikantesten Fehler begeht. Dies kann paradoxerweise
ein und dieselbe Person sein: Iwantschuk sei der bessere
Spieler und hat aufgrund seiner Fehlerquote, verursacht
durch Zeitnot, verloren. "...both opponents had
chances there, and in the games two and five the advantage
was clearly on one side, but only until time trouble
began
"[5]. An
dieser Argumentationslinie ist logisch kaum zu rütteln.
Die zweite Schlussfolgerung besagt nun,
dass sich aus dieser Situation, gemessen an den tradierten
Werten, eine Art Wettbewerbsverzerrung ergibt. Junge
und talentierte Spieler, deren Konditionierung noch
nicht abgeschlossen und also flexibler ist, von der
jugendlich rascheren Auffassungsgabe ganz abgesehen,
verinnerlichen die neuen Regeln und werden ihnen schneller
gerecht, spielen folglich, wenn schon nicht besser,
so doch erfolgreicher. Man könnte darin auch eine
a priorische und prozessuale Diskriminierung des Alters
sehen, ein Prozess, ganz nebenbei, der sich gesamtgesellschaftlich
längst etabliert zu haben scheint. Erfolg ist also
auch kein Kriterium für Qualität! So geschehen,
folgt man den kasparowschen Ausführungen, mit Ponomariov,
der scheinbar unbeeindruckt von der Autorität seines
legendären Landsmannes die Partie solange aussitzt,
zu halten versucht, bis dieser den entscheidenden Fehler
macht. Mit dieser außer- und antischachlichen
Strategie, so intendiert Kasparow, kann man sich Kreativität
ersparen, denn sie ist wesentlich destruktiv.
"Lass den anderen seine gigantischen
Gedankengebäude aufbauen" – so lautet
das Motto -; "er kann sie nicht vollenden in der
Zeit und wenn er dann gezwungen wird zu ziehen, wird
er Fehler machen". Innerhalb der vorgegebenen Bedingungen
hat Ponomariov besser gespielt, sagen die einen, und
Kasparow will dies nicht verstehen: "They say Ponomariov
played better that the others but I do not understand
what "better means here given the quality
of the games. This "better obviously has
an atypical meaning – probably people are talking
about his determination, or about other qualities like
those that young Kamsky had, for example"[6].
Jedenfalls sprechen diese Leute nicht über Qualität
an sich. Schon daher sei der Titel "Weltmeister"
absolut unvertretbar.: "But the present situation,
when the time control affects every part of the game
and is practically constant, does not allow us to call
what is happening on the board by the name this game
used to have. Ponomariov won the FIDE championship under
absolutely different circumstances, and we should not
ignore this"[7]. Selbst
wenn man ihn mit früheren FIDE-Titeln vergleicht
[8]: "...but it would
not be fair to consider Ponomariovs title equal
to Anands and Khalifmans titles. The quality
of the games in Moscow cannot be compared with the quality
of the games in Las Vegas or New Delhi. The way Ponomariov
plays can hardly be compared with how Khalifman played
in Las Vegas or how Anand played in New Delhi"[9].
Keine Frage: Iwantschuk wählte die falsche Strategie
für diese zeitliche Situation, in dieser Hinsicht
war er der schwächere Spieler. Er spielte so, als
wäre alles beim alten geblieben, während Ponomariov
klug sein Schach den geänderten Gegebenheiten anpasste.
Es ist nun zu fürchten, dass Spieler von Iwantschuks
Klasse dies nie begreifen werden, nicht weil sie zu
dumm sind, vielmehr sind sie zu intelligent: hier liegt
die Crux, dass positive qualitative Eigenschaften zum
Nachteil gereichen können.
Ist dies richtig gesehen von Kasparow,
dann ist in der Tat das Schachspiel als Ganzes gefährdet,
wenn nicht mehr schachliche sondern anderweitige Fähigkeiten
gefragt sind um zu siegen und sofern man insbesondere
den künstlerischen Aspekt der Erzeugnisse der Besten
zum Maßstab macht, so wie das Bleibende der Musik
oder der Malerei, der Literatur etc. in ihren besten
Exemplaren lebt und nicht in irgendwelchen zweit- und
drittrangigen Versuchen. Es ist, als hätte man
Marcel Proust nur ein Tintenfass zugestanden, um sein
siebenbändiges und mustergültiges Werk "Auf
der Suche nach der verlorenen Zeit" zu schreiben.
Wir können aber die Augen nicht vor der aktuellen
Entwicklung verschließen, die es tatsächlich
ermöglicht, mit zweit- und drittrangigen Erzeugnissen
als gefeierter Künstler auftreten zu können;
bislang war es ein Vorteil der Schachwelt, sich diesem
Trend weitestgehend verweigert zu haben. Auf das WM-Match
bezogen sieht Kasparow vollkommen zu recht: "Now
you do not need to have a deep understanding of chess
in order to win – you need absolutely different
qualities. It was obvious that Iwantschuk was outplaying
him with both black and white"[10].
Bezeichnenderweise wird dies durch den Fakt unterstützt,
dass im momentanen FIDE-System die Chance gering ist,
dass die Spitzenspieler regelmäßig aufeinander
treffen. Theoretisch könnte jemand Weltmeister
werden, ohne gegen einen Spitzenspieler (der Top Ten)
gespielt zu haben, wie übrigens bei jedem anderen
K.O.-System auch. In der Summe der Veranstaltungen,
also statistisch gesehen, sollten sich trotzdem die
besten Spieler durchsetzen, von gelegentlichen Außenseitererfolgen
unterbrochen, aber die Besten innerhalb des bestimmten
Zeitrahmens, nicht mehr die potentiell Besten. Die Rechnung:
Akopjan schlägt Adams, also ist Akopjan stärker,
oder Liviu-Dieter Nisipeanu schlägt Shirow, also
ist Liviu-Dieter Nisipeanu stärker, geht unter
diesen Bedingungen und bei der geringen Zahl der Spiele
einfach nicht auf.
Vieles wird davon abhängen, wie
Ponomariov gegen die besten Spieler der Welt wird bestehen
können; Linares 2002 könnte aus dieser Sicht
eine besondere Bedeutung erlangen, hier werden sich
die Thesen Kasparows am konkreten Beispiel, nicht aber
prinzipiell, verifizieren; widerlegen könnte sie
auch ein hypothetischer Gewinn des Newcomers, selbst
gegen Kasparow, nicht. Allerdings greift Kasparow zu
weit, wenn er des FIDE-Weltmeisters Zögern, am
Turnier teilzunehmen, schon wieder als Ausflucht interpretiert
– man müsste schon wissen, welche Gründe
den Jungstar bewegen.
Ist diese Entwicklung zu begrüßen
oder zu verurteilen? Auch Kasparow scheint da seine
letzten Zweifel noch nicht ausgeräumt zu haben.
"This is the direction in which chess is developing
and so, in my opinion, all those who care about chess
must intervene and prevent what will happen if we continue
down this road. We must decide if that is what we
want – or if this will be the end of chess as we
know it. By the way, I am not at all certain what the
answer will be. And I do not rule out the possibility
that soon we will all witness the elimination of classical
chess"[11]. Es mag
schließlich andere Werte, denn die Qualität
des Spiels geben, die das zu erwartende qualitative
Absinken durch andere Vorteile ersetzen könnten.
Welche das freilich sein sollten, ist nicht ersichtlich.
Der insbesondere von Ilyumzhinov erhoffte Popularitätsgewinn
ist, so weit zu sehen ist, nicht auszumachen.
Sicher ist jedoch, dass es sich um eine
Problematik handelt, die durchaus nicht nur in elitären
Kreisen der Spitzenspieler und FIDE-Funktionären
zu diskutieren ist, da sie mehr als deren partikulare
Interessen berührt. Hier muss sich die gesamte
weltweite Schachgemeinde positionieren; schließlich
bildet die Masse der Schachspieler und Interessenten
die Basis – man verzeihe das ideologisch belastete
Vokabular – für den administrativen, organisatorischen
und medialen Überbau. So weit man demokratische
Grundsätze walten lassen will, sollte ein plebiszitäres
Verfahren unbedingt in Erwägung gezogen werden,
warum nicht auch bis in die kleinsten und unbedeutendsten
Schachklubs hinein?
Stellung in der
zweiten Partie –
Kasparows Verdikt und seine Einschätzung des Wettkampfes
nach der vierten Partie
"Ivanchuk played very strongly
in the first half of the second game; he outplayed
his opponent but then time trouble began. Of course,
white really should have won this game. The best was
probably 45.Rc2 (instead of 45.Bg5), forcing
a winning bishop endgame; white would keep winning
chances also after 46.h4 (instead of 46.Kf1)
46
h6 47.Kf1 hxg5 48.Rd3+ Kf4 49.Kh3+ Ke4 50.Rc3,
and the extra pawn should be enough to win.
The fourth game was another one
not devoid of mistakes that were caused, in my opinion,
primarily by the new time control. Ponomariov didnt
find 28
Ne3! – and it shouldnt be
too hard for such a high-class Grandmaster to see
this rather simple move. In the endgame Ivanchuk probably
had winning chances. He had to calculate a lot of
course but I think that even with this time control
Vassily could find a winning strategy. However we
cant argue with the fact that the time control
greatly affects the psychology of the game.
Its now clear that if the
same time control will continue to be used (as it
seems to be the case) then the quality of the games
will decline greatly for one particular reason: the
main concern for the players would be to manage to
physically make all the required moves a tempo, and
all the rest is of secondary importance. By the way,
it is already obvious that Ponomariovs success
is to a large part due to the new control. He adjusted
to it much better than many of his more experienced
colleagues.
With the normal time control many
things could be absolutely different. Ivanchuk might
not have made it to the finals, but when he is in
his best form he is a player fully worthy of the final.
No doubt that his victory against Anand was well deserved."
(http://www.kasparovchess.com/serve/templates/folders/show.asp?p_docID=19584&p_docLang=EN)
--- Jörg Seidel, 30.01.2002 ---
[1]
Das wesentliche Resultat des Zweikampfes und möglicherweise
des gesamten Turniers, ist das vollständige Versagen
der Idee der neuen Zeitkontrolle. Wir müssen offen
eingestehen, dass wir mit dieser Zeitkontrolle nicht
ernsthaft erwarten können, Spiele zu sehen, die
auch nur annähernd mit der Qualität der klassischen
7-Stunden Zeitkontrolle verglichen werden können.
[2] Iwantschuk ist der einzige
führende Spieler, der zu solchen Fehlern, wie er
sie im Finale machte, fähig ist. Weder Anand, noch
Leko, noch Shirow oder Topalow würde Ponomariov
solche Chancen einräumen.
[3] Aber der Hauptgrund
für Ponomariovs plötzlichen Erfolg dieses
Jahres ist nichts anderes, als die Zeitkontrolle.
[4] Wir können es nur
bedauern, dass die großartigen Ideen nie eine
Möglichkeit bekamen, realisiert zu werden.
[5] ...beide Gegner hatten
da ihre Chancen, und in Partie 2 und 5 war der Vorteil
klar auf einer Seite, aber nur bis die Zeitnot begann...
[6]Sie sagen, Ponomariov
spielte besser als die anderen, aber ich verstehe nicht,
was "besser" in diesem Zusammenhang bedeutet,
hinsichtlich der Qualität der Spiele. Dieses "besser"
hat offensichtlich eine untypische Bedeutung –
wahrscheinlich reden die Leute über seine Entschlossenheit
oder über andere Qualitäten wie die des jungen
Kamsky zum Beispiel.
[7] Aber die gegenwärtige
Situation, wenn die Zeitkontrolle jeden Abschnitt des
Spiels beeinflusst und dies praktisch ständig,
erlaubt es uns nicht, zu sagen, was auf dem Brett geschieht,
zumindest nicht mit den gewohnten Begriffen. Ponomariov
gewann die FIDE-Meisterschaft unter vollständig
anderen Umständen und das sollten wir nicht ignorieren.
[8] Kasparow bezieht sich
hierbei auch auf die neue Zeitregelung für Moskau,
von der Plauens Stefan Kindermann meinte: "Eine
Frage von großer praktischer Bedeutung würde
natürlich auch die Anpassung an die neue und sicherlich
zu Recht viel kritisierte Bedenkzeitregelung darstellen.
Eine Partie mit 90 Minuten Gesamtzeit pro Spieler mit
30Sekunden Zugabe pro Zug hat ihre eigenen Gesetze.
Kommt ein Spieler hier einmal in Zeitnot, wird er es
für den gesamten Rest der Partie sein und muss
mit seinen 30 Sekunden pro Zug auskommen!"
[9] ...aber es wäre
nicht fair, Ponomariovs Titel mit Anands und Khalifmans
Titel gleichzusetzen. Die Qualität der Moskauer
Spiele kann nicht verglichen werden mit der Qualität
der Spiele in Las Vegas und Neu Delhi. Die Art und Weise
wie Ponomariov spielt kann schwerlich verglichen werden
mit Khalifmans Spielweise in Las Vegas oder Anands in
Neu Delhi.
[10] Nun benötigt
man kein tiefes Verständnis des Schachs mehr, um
zu gewinnen – man benötigt vollkommen andere
Qualitäten. Es war offensichtlich, dass Iwantschuk
ihn sowohl mit Weiß als auch mit Schwarz ausspielte.
[11] Dies ist die Richtung,
in die sich das Schach entwickelt und deshalb müssen,
meiner Meinung nach, all jene, die sich um das Schach
sorgen, eingreifen und verhindern, was geschehen wird,
wenn wir weiter diesen abfallenden Weg beschreiten.
Wir müssen uns entscheiden, ob es dies ist, was
wir wollen – oder ob dies das Ende des Schachs,
so wie wir es kennen, sein wird. Nebenbei, ich bin keineswegs
sicher, wie die Antwort lauten wird. Und ich schließe
die Möglichkeit nicht aus, dass wir alle bald Zeuge
der Eliminierung des klassischen Schachs sein werden.
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