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POLEMIK
27. April 2005

Sacrificare lari oder: Schach als Laxativum

Edler Kacker,
Lasse
wacker
nasse
Masse
schissig,
flüssig
munter
unter
dir sich
breit ergießen.

Rabelais

 

Schach ist, das wissen alle, aber nur die wenigsten gestehen es sich ein, nicht Sport, nicht Spiel, nicht Spaß, es ist ein Abführmittel. Und eines der ertragreichsten dazu! Unfehlbar, zumindest bei denjenigen, die noch unbedarft an es herantreten. Schon ein Blitz gegen Fritz hat die Wirkung eines warmen Einlaufs. Was uns dann im Turniersaal vereint – Gens Una Sumus –, ist weit weniger die Spielleidenschaft oder der Sportsgeist, es ist der gemeinsame Gang auf die Toilette vor der ersten Runde: Gents Una Sumus. Wir sind daher viel eher Scheißer als Spieler. Um ein bisschen Sprachwahrheit zu wagen, sollten wir uns Schpieler und Schportler nennen. Glücklich diejenigen, die ihr dringendes Bedürfnis vor der ersten Runde befriedigen können, obwohl das verdächtig nach purgatio praecox riecht, denn sie gewinnen das erste Schpiel mit hoher Wahrscheinlichkeit, weil sie nicht unruhig auf dem Stuhle herumrutschen müssen oder ihre Partie durch abwesenheitsbedingte Zeitüberschreitung verlieren. Außerdem durften sie sich einer angenehmeren Umgebung erfreuen, auch wenn das Stöhnen, Ächzen, Platschen, Quietschen, Gurgeln und Furzen – nennen wir die Dinge beim Namen – in den Nachbarkabinen mitunter als störend empfunden werden kann. Bekanntermaßen genießt man ja nur den eigenen Furz – gibt es ein einprägsameres Bild für die Gegneraversion? Doch ist die frühe sensorische Attacke das kleinere Übel, gemessen am Posteröffnungsgänger, der seine Notdurft im von 100 Ärschen hervorgezauberten Miasma verrichten darf. Wir wollen gar nicht vom visuellen Zustand der Sanitäreinrichtungen – welch spottender Name – reden, vom fehlenden Papier, den frisch besprenkelten Brillen und all den kleinen Widrigkeiten. Dabei liegt das Paradies meist gleich nebenan, nur eine Tür weiter: die Damentoilette. Das Risiko ist vergleichsweise gering, just in diesem Moment einer der zwei, drei Schpielerinnen – ja, auch sie! – zu begegnen, während man dort eintritt, wo die Welt noch in Ordnung ist, und man muß ja schließlich nicht ins beistehende Eimerchen gucken.

Das Bild vom Paradies ist durchaus kein Sakrileg, wie uns die Etymologie leicht belehrt. Purgativa nennt der Medizinmann das Abführmittel und Purgatorium die katholische Lehre jenen sagenhaften Ort, wo sich die sündigen Seelen reinigen, um ins ewige Licht einzutreten. Daraus lässt sich eine ganze (antiplatonische, antikantische, wen es interessiert) Philosophie ableiten, sofern man die richtigen Fragen zu stellen weiß: "Was ist der offenste Kopf und das offenste Herz ohne die Offenheit der Posteriora, was unsere ganze Philosophie? [1]". Auch eine Schachphilosophie, denn es sind die "Posteriora" partieentscheidender als die eröffnungstheoretischen oder spielstrategischen Apriori – wenn du weißt, was ich meine.

"Abführen und Beichten muss man nicht verschieben" [2] weiß der Volksmund treffend und setzt damit in einer geglückten Assoziation das Scheißhäuschen mit dem Beichtstuhl, fast dem Altar gleich, auf dem man opfert. Sacrificare lari. Opfern ist Abführen. Abführen aber ist das Verb zu zwei Substantiven, die Abführung und die Abfuhr. Tatsächlich gibt es keine bessere Abfuhr, sofern wir den Begriff positiv fassen, als eine zünftige Schachpartie, die alles vergessen, die alles abführen lässt. Das nun wiederum ist der eigentliche Sinn der Vokabel Laxativum – ein zweiter medizinischer Terminus für ein Abführmittel. Während das Purgativ (lat.: purgatio = reinigen) den Gesamtprozess meint, strebt das Laxativum eine Lockerung, Erschlaffung der verhärteten Darmwände an (lat.: lasso = locker, schlaff). Sie kann sowohl biochemisch herbeigeführt werden als auch psychochemisch: Angst, Anspannung, Anstrengung, das ist der weiche Kern des Ganzen, vollführen das Gleiche.

Worin aber wurzelt die Angst im Schach? Gibt es etwas der "Angst des Torhüters beim Elfmeter" Gleichzusetzendes? Ja! Die Angst vor der Abfuhr!

Vermutlich Deutschlands größter Scheißer: Till Eulenspiegel,
der gelegentlich auch zum Schachspiel griff (27. Historie).

Lesetipps:

Rene Faber: Von Donnerbalken, Nachtvasen und Kunstfurzern. Eichborn 1994.
Dundes, Alan: Sie mich auch! Das Hinter-Gründige in der deutschen Psyche. München 1987.

 

 

--- Jörg Seidel, 27.04.2005 ---


[1] Weber, Carl Julius: Demokritos oder die hinterlassenen Papiere eines lachenden Philosophen. Berlin 1895. (1868) Band 12. S. 84. Frei übersetzt: Offen denken kann nur, wer den Arsch offen hat.
[2] Deutsches Sprichwörterlexikon. Ein Hausschatz für das deutsche Volk. Leipzig 1867. Band 1, S. 11


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