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Sacrificare lari oder:
Schach als Laxativum
Edler Kacker,
Lasse
wacker
nasse
Masse
schissig,
flüssig
munter
unter
dir sich
breit ergießen.
Rabelais
Schach ist, das wissen alle, aber nur
die wenigsten gestehen es sich ein, nicht Sport, nicht
Spiel, nicht Spaß, es ist ein Abführmittel.
Und eines der ertragreichsten dazu! Unfehlbar, zumindest
bei denjenigen, die noch unbedarft an es herantreten.
Schon ein Blitz gegen Fritz hat die Wirkung eines warmen
Einlaufs. Was uns dann im Turniersaal vereint –
Gens Una Sumus –, ist weit weniger die Spielleidenschaft
oder der Sportsgeist, es ist der gemeinsame Gang auf
die Toilette vor der ersten Runde: Gents
Una Sumus. Wir sind daher viel eher Scheißer
als Spieler. Um ein bisschen Sprachwahrheit zu wagen,
sollten wir uns Schpieler und Schportler nennen. Glücklich
diejenigen, die ihr dringendes Bedürfnis vor der
ersten Runde befriedigen können, obwohl das verdächtig
nach purgatio praecox riecht, denn sie gewinnen
das erste Schpiel mit hoher Wahrscheinlichkeit, weil
sie nicht unruhig auf dem Stuhle herumrutschen müssen
oder ihre Partie durch abwesenheitsbedingte Zeitüberschreitung
verlieren. Außerdem durften sie sich einer angenehmeren
Umgebung erfreuen, auch wenn das Stöhnen, Ächzen,
Platschen, Quietschen, Gurgeln und Furzen – nennen
wir die Dinge beim Namen – in den Nachbarkabinen
mitunter als störend empfunden werden kann. Bekanntermaßen
genießt man ja nur den eigenen Furz – gibt
es ein einprägsameres Bild für die Gegneraversion?
Doch ist die frühe sensorische Attacke das kleinere
Übel, gemessen am Posteröffnungsgänger,
der seine Notdurft im von 100 Ärschen hervorgezauberten
Miasma verrichten darf. Wir wollen gar nicht vom visuellen
Zustand der Sanitäreinrichtungen – welch spottender
Name – reden, vom fehlenden Papier, den frisch
besprenkelten Brillen und all den kleinen Widrigkeiten.
Dabei liegt das Paradies meist gleich nebenan, nur eine
Tür weiter: die Damentoilette. Das Risiko ist vergleichsweise
gering, just in diesem Moment einer der zwei, drei Schpielerinnen
– ja, auch sie! – zu begegnen, während
man dort eintritt, wo die Welt noch in Ordnung ist,
und man muß ja schließlich nicht ins beistehende
Eimerchen gucken.
Das Bild vom Paradies ist durchaus kein
Sakrileg, wie uns die Etymologie leicht belehrt. Purgativa
nennt der Medizinmann das Abführmittel und Purgatorium
die katholische Lehre jenen sagenhaften Ort, wo sich
die sündigen Seelen reinigen, um ins ewige
Licht einzutreten. Daraus lässt sich eine ganze
(antiplatonische, antikantische, wen es interessiert)
Philosophie ableiten, sofern man die richtigen Fragen
zu stellen weiß: "Was ist der offenste Kopf
und das offenste Herz ohne die Offenheit der Posteriora,
was unsere ganze Philosophie? [1]". Auch eine Schachphilosophie,
denn es sind die "Posteriora" partieentscheidender
als die eröffnungstheoretischen oder spielstrategischen
Apriori – wenn du weißt, was ich meine.
"Abführen und Beichten muss
man nicht verschieben" [2] weiß der Volksmund
treffend und setzt damit in einer geglückten Assoziation
das Scheißhäuschen mit dem Beichtstuhl, fast
dem Altar gleich, auf dem man opfert. Sacrificare lari.
Opfern ist Abführen. Abführen aber ist das
Verb zu zwei Substantiven, die Abführung und die
Abfuhr. Tatsächlich gibt es keine bessere Abfuhr,
sofern wir den Begriff positiv fassen, als eine zünftige
Schachpartie, die alles vergessen, die alles abführen
lässt. Das nun wiederum ist der eigentliche Sinn
der Vokabel Laxativum – ein zweiter medizinischer
Terminus für ein Abführmittel. Während
das Purgativ (lat.: purgatio = reinigen) den Gesamtprozess
meint, strebt das Laxativum eine Lockerung, Erschlaffung
der verhärteten Darmwände an (lat.: lasso
= locker, schlaff). Sie kann sowohl biochemisch herbeigeführt
werden als auch psychochemisch: Angst, Anspannung, Anstrengung,
das ist der weiche Kern des Ganzen, vollführen
das Gleiche.
Worin aber wurzelt die Angst im Schach?
Gibt es etwas der "Angst des Torhüters beim
Elfmeter" Gleichzusetzendes? Ja! Die Angst vor
der Abfuhr!
Vermutlich Deutschlands
größter Scheißer: Till Eulenspiegel,
der gelegentlich auch zum Schachspiel griff (27. Historie).
Lesetipps:
Rene Faber: Von Donnerbalken, Nachtvasen
und Kunstfurzern. Eichborn 1994.
Dundes, Alan: Sie mich auch! Das Hinter-Gründige
in der deutschen Psyche. München 1987.
--- Jörg Seidel, 27.04.2005 ---
[1]
Weber, Carl Julius: Demokritos oder die hinterlassenen
Papiere eines lachenden Philosophen. Berlin 1895. (1868)
Band 12. S. 84. Frei übersetzt: Offen denken kann
nur, wer den Arsch offen hat.
[2] Deutsches Sprichwörterlexikon.
Ein Hausschatz für das deutsche Volk. Leipzig 1867.
Band 1, S. 11
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