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Der Gestirne Schachfiguren?
Warum Stephen Fry's gutes Buch kein großes ist.
Wer Geschichten hören will, der muss seine Ungläubigkeit suspendieren.
Umberto Eco
Sein Lebensweg schien vorgezeichnet.
Ned Maddstone war ein Vorzeigeschüler der englischen
Eliteschule, er sah gut aus, hatte Erfolg, stammte aus
einer traditionsreichen Familie, war Sohn eines einflussreichen
Politikers und - frisch verliebt in die bezaubernde
Portia. Doch nicht alle mochten ihn: Neid, Intrigantentum,
Rach- und Eifersucht vereinten drei gegensätzliche
Jungen, sich am Primus zu rächen. Was als derber
Scherz gemeint war, dem unbeliebten Mitschüler
Rauschgift unterzuschieben, nimmt plötzlich ungeahnte
Dimensionen an, als die Polizei bei Ned eine verschlüsselte
Nachricht der IRA findet, in dessen Besitz und ohne
von deren Bedeutung zu wissen, er zufällig kommt.
Im Ränkespiel der Geheimdienste wird er plötzlich
zum Mitwisser, zur Gefahr und muss verschwinden, ohne
zu begreifen, was geschah. Gequält und erniedrigt
landet er als Häftling in einer Irrenanstalt auf
einer kleinen Insel irgendwo vor der schwedischen Küste.
Fast ist sein Wille nach zehn Jahren Einzelhaft gebrochen,
als er den genialen Babe kennen lernt, Landsmann und
Leidensgenosse, von dem er alles lernt und erfährt,
was später für ihn von Bedeutung sein wird.
Weitere zehn Jahre des gemeinsamen Lernens lehren den
frühzeitig Gealterten nicht nur ein Dutzend Fremdsprachen
und alles, was Philosophie, Literatur und Wissenschaft
zu bieten haben, sondern er erschließt auch die
bis dahin verborgenen Zusammenhänge seines Schicksals.
Als Babe stirbt, ermöglicht er Ned in dessen eigenem
Sarg zu fliehen und hinterlässt ihm zudem ein riesiges
Vermögen.
Ned fasst neu Fuß im Leben, als
Simon Cotter entert er die neue Finanzwelt, als Medienguru
kehrt er zurück nach England, wo er auf ausgetüftelte
Art und Weise - thoroughly thought through - fürchterliche
Rache nimmt an all jenen, die in seinen Lebenslauf zwei
Jahrzehnte zuvor gewaltsam eingegriffen hatten.
Als Graf von Monte Christo für die
dot.com-generation wird uns das letzte Buch Stephen
Fry's angepriesen, als "page-turner", als
Einblick in die dunkelsten Gefilde der menschlichen
Seele.
In
ihm spielt das Schachspiel eine zentrale Rolle! Es symbolisiert
den entscheidenden Wendepunkt in Neds ergreifender Geschichte.
Denn hätte er den einstigen Agenten und nun in
der Anstalt kaltgestellten Freund mit dem lächerlichen
Namen Babe - ein Anagramm von Dumas' Romanfigur Abbè;
Ned Maddstone ist das Anagramm von Edmond Dantès
-, hätte er dieses Superhirn nicht beim Schachspiel
angetroffen und hätten sie sich nicht über
das Spiel kennen- und schätzen gelernt, Neds Schicksal
nach zehnjähriger Isolation schien unabänderlich
im geistigen Dämmerzustand enden zu müssen.
Dabei muss alles konspirativ bleiben, geheim und unauffällig
unter den wachsamen und doch unverständigen Augen
der Wächter. "Wir werden keine Freunde sein,
bis wir nicht eine Partie Schach zusammen gespielt haben.
Du hast es in dir, eine anständige Partie zu spielen.
Jedermann hat es in sich, eine anständige Partie
zu spielen. Es ist nichts anderes als Gedächtnis
und eine Weigerung, von sich selbst als geistigem Versager
zu denken. Wenn eine Seele lesen und schreiben kann,
dann kann sie auch Schach spielen."(214), so lautet
die Bedingung des alten Weisen, der nun schon drei Jahrzehnte
in der Klapsmühle verbrachte, doch dessen Geist
noch immer hellwach ist.
So spielen sie denn Tag für Tag,
Woche für Woche und als der allmählich wiedererwachte
Ned bittet: "Wann können wir über etwas
anders als Schach sprechen?", da erhält er
die enigmatische Antwort: "Wenn du mich geschlagen
hast" (216). Zwar versteht Ned nicht, was mit ihm
geschieht, aber es geschieht doch mit ihm, zusehends
nimmt das Spiel ihn in Bann, beginnen "diagonale
Spannungen" und "energetische Kraftfelder"
nächtlicherweise gegen seine Schläfen zu drücken,
"Schach und die Macht jeder einzelnen Figur dominierten
sein Leben. Er begann, Positionen in seinem Kopf leicht
nachzuspielen, ohne das gesamte Brett anschauen zu müssen.
Seine Fragen, einzig dem Schach gewidmet, begannen Babe
zu gefallen" (216). Nach und nach gelingt es dem
Schlitzohr, ganz nebenbei die großen Lebenslektionen
zu lehren: "Du verwechselst hier Strategie mit
Taktik. Die Strategie, verstehst du, ist der Schlachtplan,
die große Idee. Wir werden die Schlacht gewinnen,
wenn wir diesen Hügel einnehmen. Das ist deine
Strategie, den Hügel zu besetzen. Wie willst du
den Hügel besetzen? Ah jetzt, das ist deine Taktik"
(216f.). Schließlich kommt, was kommen muss, das
erste Remis und vom Erfolg angestachelt der erste Sieg,
lange im Geiste vorbereitet: "Er schlief mit der
Idee in seinem Geiste ein, dass er die Winawer Variante
in der Französischen Verteidigung probieren sollte,
von der er instinktiv wusste, dass Babe sie nicht besonders
gern spielen mochte. Er erwachte mit der festen Idee,
wie er gewinnen könne. Der Plan beinhaltete nicht
nur reine Schachüberlegungen, sondern auch Psychologie".
Und so verlief die darauffolgende Partie: "'Lass
uns einfach spielen', sagte Ned launisch, innerlich
flehend, dass Babes Königsbauer würde gezogen
werden, aber stattdessen auf den c-Bauern starrend,
als ob er auf eine Englische Eröffnung oder eine
hinausgezögerte Damenindische Eröffnung hoffte.
Mit einem Achselzucken spielte Babe Bauer nach e4 und
Ned antwortete sofort, indem er seinen eigenen Königsbauern
spielte, ihm entgegenzutreten. Babe zog seinen Springer
nach f3 und Ned bewegte seine Hand zum Damenspringer,
als ob er sich in eine Italienische oder Spanische Partie
ergeben wollte. Dann zog er die Hand mit ärgerlichem
Geräusch zurück und begann zu denken. Er benötigte
fünf Minuten für seinen zweiten Zug, den schwerfälligen,
scheinbar ultra-defensiven und amateurhaften Zug d6,
der die Französische Verteidigung kennzeichnet.
Babe fuhr fort, seine Züge in der gewohnten Art
und Weise runterzurasseln, die Ned unsicher erwiderte.
Sein Herz schlug schneller und schneller als jeder Zug
die Stellung hervorbrachte, die er nachts zuvor geplant
hatte und schließlich in die sehr scharfe Winawer
Variante mündete, die er vorbereitet hatte. Ein
Augenblick kam, in dem Ned mit größter Genauigkeit
zu spielen hatte, um eine Falle zu vermeiden, die ihm
den Verlust eines aktiven Bauern bescheren würde.
Babe hielt sich nun zurück, den schnellen und offensichtlichen
Zug zu spielen und Ned, den Kopf gesenkt, konnte aus
den Augenwinkeln wahrnehmen, dass Babe den Kopf hob,
ihn anzuschauen. Ned rührte sich nicht, sondern
grübelte weiter über dem Brett, nichts preisgebend,
als Babe, der den Fehler vermied, den einzig korrekten
Zug spielte. Ned hatte nicht alles auf einen billigen
taktischen Trick gesetzt, wie er es noch vor zwei Wochen
getan hätte. Tatsächlich wäre er enttäuscht
gewesen, wenn Babe darauf hereingefallen wäre.
Er wusste, dass er eine gute Stellung hatte und das
war alles, was zählte.
Nach einer Stunde Spannung und Stille
hatte Babe einen Bauern weniger, er musste schlecht
koordinierte Figuren führen um alle möglichen
taktischen Reinfälle zu vermeiden. Wenn eine Stellung
gewonnen ist, dann offerieren sich dem gewinnenden Spieler
Dutzende von Angriffsattacken, Fallen und faszinierender
Opfer. Ned war damit beschäftigt, ein spektakuläres
Damenopfer zu erwägen, von dem er glaubte, es würde
ein Matt in fünf, sechs Zügen erzwingen, als
Babe seinen König umlegte und ein tiefes kräftiges
Lachen von sich gab.
Ausgespielt, von Anfang bis Ende, du verschlagener
Sohn einer Berghure.'
Du gibst auf?'
Natürlich gebe ich auf, du Hastardbund (dastardly
bog) und umgekehrt. Meine Stellung ist voller Löcher,
es ist ein Wunder, dass das Brett nicht auseinander
fällt'" (218ff.).
Das alles "neun, nein, achteinhalb Wochen, seit
du den ersten Stein in meine Richtung bewegtest".
Das ging schnell und weiter geht's in diesem Tempo,
nun, da Ned die große Lektion verstanden hat.
"Es gibt keinen Spieler in der Welt, der dich nun
einen Patzer oder einen Hasen nennen kann. Die Großen
werden dich schlagen, das ist sicher, aber du wirst
dich nie blamieren am Schachbrett.... ". Derart
wiederaufgebaut, dürstet es ihn nach mehr, immer
mehr: "Wirst du mich lehren, Babe? Lehre mich alles,
was du weißt. So wie du es mit dem Schach gemacht
hast. Lehre mich all die Wissenschaften und Poesie und
Philosophie die du kennst. Lehre mich Geschichte und
Geographie. Lehre mich Musik und Kunst und Mathematik.
Wirst du das tun? Du weißt so viel und ich weiß
so wenig. Eigentlich sollte ich nach Oxford gehen, aber
"
(224).
Die lebensrettende Symbiose ist geglückt,
beide sichern sich ihr Überleben "Ned wusste
es nicht, aber die gemeinsamen Schachpartien waren Babes
Rettung. Was immer sie für Ned bedeuteten, sie
bedeuteten mehr für Babe" (225).
Schließlich wird Ned den Irrenknast als halbes
Universalgenie verlassen.
Das Spiel hat damit seine Schuldigkeit
getan, sowohl als gestalterisches Mittel wie auch in
der Beziehung der beiden Leidensgefährten. Nur
noch einmal wird es Erwähnung finden, am Rande
nur und doch bewusst eingesetzt von einem Autor, der
sichtlich nach formaler Geschlossenheit ringt und sie
durch solch kleine kompositorische Tricks herzustellen
glaubt, dann nämlich als die Beziehung der beiden,
Jahre später, zwangsläufig endet, als Babe
schließlich stirbt: "Ned saß am Schachbrett
und wartete auf Babe. Sie spielten mittlerweile nur
noch selten zusammen. Es brachte Ned in Verlegenheit,
wenn er sah, wie leicht er den alten Mann schlagen konnte,
und es störte ihn, dass Babe so willenlos schien,
als interessiere es ihn nicht, wer gewinne" (263).
An diesem Morgen erliegt der Alte einem Herzversagen,
freilich erst nachdem es ihm gelang seinen willigen
Schüler hollywoodreif in den raffinierten Fluchtplan
einzuweihen. Als alles vorbei ist, Ned seinen Abschiedsschmerz
zugunsten der tollkühnen Befreiungstaktik unterdrücken
muss, da treffen wir ihn wieder am Ort, wo alles begann,
am Schachbrett (269).
Der metaphorische Einsatz des Schachs
im Roman ist überdeutlich, so sehr, dass es den
einen oder anderen Leser verstören mag. Metapher
des Lebens, Metapher des Kampfes, Metapher des Leides
- man könnte es auch als Sammelsurium von Klischees
begreifen. Die Richtung freilich war schon lange zuvor
eingeschlagen, als Ned im Selbstgespräch sein Schicksal
auf den griffigen Nenner bringt: "Mein Leben ist
nichts anderes geworden als ein Spiel. Wie jedes Spiel
kann es erheiternd oder tief kränkend sein"
(184). War er bislang Figur im Lebensschach, so wird
er jetzt selbst zum Meisterspieler.
Da das Spiel vom Autor derart mit Bedeutung
belastet wird, muss es dem Leser erlaubt sein, dessen
tieferen Sinn und Funktion zu untersuchen. In der Tat
findet es an prominenter Stelle Eingang in das Geschehen,
es markiert, wie gesagt, den Wendepunkt, allerdings
auch in einem zweiten Sinne. Das Buch beginnt an dieser
Stelle zu kippen, es verliert quasi seine Identität,
selbst seinen Stil. Wenn Langeweile und Überdruss
aufkommen, dann frühestens hier. Den Schachenthusiasten
kann die ausführliche Behandlung des Themas nicht
stören, den bloß Spannung Suchenden mag die
detaillierte Auseinandersetzung mit dem Spiel hingegen
unnütz erscheinen. Denn weshalb sollte er mit einer
Abhandlung über Eröffnungstheorie belästigt
werden? Will hier nicht ein Autor, den man ohnehin immer
wieder seine Intellektualität anrechnet, sein Image
aufpolieren, will er sein Wissen loswerden, will er
mit Bildung beeindrucken? Einen handlungstragenden Sinn
kann man einer Passage wie der folgenden schwerlich
zurechnen: "Während der nächsten acht
Wochen ging Ned mit schmalen Stücken Papier am
Körper versteckt, in seine Zelle zurück. Auf
ihnen war die ganze Schachtheorie niedergeschrieben,
all die Angriffe, Verteidigungen, Gambits, Kombinationen
und strategischen Endspiele, die Babe kannte. Sein Einführungskurs
begann mit Partien, gespielt von Phillidor (sic!) und
Morphy und Meisterwerken der romantischen Zeit, Partien,
die wie Gemälde Namen trugen: Namen wie "die
Immergrüne", "die zwei Herzöge"
und "die Unsterbliche". Ned wurde von diesen
zum Zeitalter eines Steinitz und des modernen Stils
geleitet, dann zu einem Verständnis einer positionellen
Strategie, genannt "Hypermodern", die ihm
viel Kopfzerbrechen bereitete. Es folgte eine Einführung
in das Eröffnungsspiel und Gegenspiel, dessen Sprache
Ned lachen machte. Caro Kann und Königsindisch,
Sizilianisch und Französische Verteidigung, Gioco
Piano und Ruy Lopez. Die Drachenvariante, Tartakower
und Nimzowitsch. Abgelehntes Damengambit und angenommenes
Damengambit. Der Marshall-Angriff. Das Maroczy-System.
Der vergiftete Bauer" (213ff).
Wozu also? Wozu muss er eine Einführung
in die Semi-Slawische Verteidigung haben? Und das auch
noch mit "F3, bishop g2, castle short
Advance
the c pawn, sacrifice him later for space on the queen's
side
Exchange the bish for his knight and the
black squares are mine
". Klingt das nicht
eher verdächtig? Gibt es diese Semi-Slawische Variante
mit f3, Lg2 und kleiner Rochade, sagt man im Schach
nicht "castle kingside" statt "castle
short", kann man die schwarzen Felder beherrschen,
wenn man den eigenen Läufer weggibt?
Und was für ein Französisch ist das denn,
das mit 1.e4 e5 2.Sf3 d6 beginnt?
Es sind diese zahlreichen kleinen Fehler
und Ungenauigkeiten, die den Leser stutzen lassen und
die ersten Überdruss wecken: Dass einer die Französische
Verteidigung mit der Philidor-Verteidigung verwechselt,
dass er die Winawer-Variante [1]
erst nach einer ganzen Reihe von Zügen entstehen
lässt, wo sie doch schon im dritten Zug erreicht
ist [2] - gekennzeichnet durch 3...Lb4:
1.e4 e6! wenn schon Französisch
2.d4 d5!
3.Sc3! (Und nicht Sf3) Lb4!
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Der kleine Unterschied:
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Französische Verteidigung
(Winawer-Variante 3
Lb4)
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Philidor-Verteidigung
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Dass einer in Hamburg als deutscher Muttersprachler
durchgeht, ohne je einen Deutschen sprechen gehört
zu haben, um dann noch sein Gaststättenessen mit
"prachtvoll" (im Original Deutsch) empfängt,
dass einer in Schweden gefangen sitzt und nach den Fußballergebnissen
von Trondheim fragt, dass einer Computer hackt, der
wenige Monate zuvor zum ersten mal ungläubig ein
Mobiltelefon sieht usw., das alles sind Störquellen
- nicht nur das Haar in der Suppe -, die auf mehr als
Unaufmerksamkeit verweisen.
Dabei ist Stephen Fry bekannt für
sein Schachinteresse. Der Bestsellerautor - auch in
Deutschland - ist auf der Insel mehr noch als Schauspieler
(unvergessen die kongeniale Interpretation des Oskar
Wilde) und Komiker bekannt, eine öffentliche Person.
Sein Interesse am Schach ist unübersehbar. Die
eigene Webseite führt Links zu namhaften Chessservern
[3], frühzeitig hat
er sich für das Schachsatiremagazin KingPin stark
gemacht [4], ist dort selbst
schachspielend abgelichtet (KingPin 14, S. 17ff.),
ja hat selbst die Schacholympiade in Thessaloniki im
Fernsehen präsentiert. Die schachliche Kompetenz
wird man ihm vor diesem Hintergrund nicht absprechen
wollen, auch wenn Französisch und Philidor nur
für den blutigen Anfänger zum Verwechseln
ähnlich sehen können. Aber vielleicht darf
man an der literarischen Akkuratesse zweifeln.
Das
Buch ist spannend, ohne Zweifel; dies ist sein größter
Vorteil und wer Spannung erzeu-gen und halten kann,
der versteht sein Handwerk schon zur Hälfte. Aber
erlangt es diese Spannung nicht auf dem Rücken
des namhaften Klassikers? Schon Dumas' Geschichte wurde
aufgrund ihrer Unglaubwürdigkeit seiner Zeit streng
gescholten. Fry unternimmt nichts, die-sen Mangel zu
beseitigen, im Gegenteil. Er folgt dem historischen
Vorbild auch in den Schwächen. Sobald er aber auf
eignen Füßen stehen muss, und das beginnt
eben mit besagter Schachszene, verliert er zusehends
den Faden, die Geschichte wird hausbacken, der Schreibfluss
verflacht, Moralismen werden in didaktischem Ton verbreitet
(z.B.: Schaut euch ja keine Pornoseiten an und onaniert
vielleicht sogar) und die weit übertriebenen Ge-waltphantasien,
die wohl zu deutlich von einer unverarbeiteten Harris-Lektüre
herrühren, sollten dem Eindruck zu "guter"
Letzt abhelfen, erreichen aber nur das Gegenteil. Dabei
stehen Fry jede Menge Möglichkeiten offen; nicht
nur als schneller, auch als sensibler Autor weiß
er gelegentlich zu überzeugen, immer dann wenn
er psychologische Einsichten unaufdringlich serviert:
die Liebe, die Macht des Wärters, die Logik des
Irren - das ist vor-bildlich gelungen.
Es ist wohl Zweigs "Schachnovelle", die im
Zentralabschnitt Pate stand: Als belesenem Mann und
als Schachspieler kann sie Fry nicht unbekannt bleiben.
Noch hier gilt, dass er deren Schwächen übernimmt,
statt der Stärken.
Die Botschaft beider Werke für den
Schachenthusiasten jedenfalls ist wohl diese: Gönne
Dir ein paar Wochen Einzelhaft, schließe Dich
ein mit einem guten Schachbuch (Zweig) oder einem brauchbaren
Schachlehrer und du wirst, wie Phönix aus der Asche,
als hervorragender, wenn nicht gar weltmeisterlicher
Spieler hervortauchen. Warum ist bloß noch keiner
darauf gekommen, diese einfache Idee im Selbstversuch
zu verwirklichen? Gibt es denn keine ehrgeizigen Jünglinge
mehr, die ein knallhartes Depravationstraining nicht
verkraften könnten, die ein paar Wochen Extremschmerz
nicht investieren wollen, um das Höchste zu erreichen,
um Erfolg zu haben? Oder geschieht derartiges gar ungesehen
hinter bürgerlichen Fassaden?
Fry mit Bruder beim
Schach
Irgendwo hatte Umberto Eco über
einen Fiktionsvertrag geschrieben, den jeder Leser unausgesprochen
eingehe, wenn er zu einem literarischen Werk greift,
und der ihn verpflichtet, das Fiktive a priori zu akzeptieren.
Doch muss sich auch der Autor an diesen Vertrag halten
und darf ihn durch übertrieben Unwahrscheinlichkeiten
nicht unnötig belasten, gerade im nebensächlichen
Detail. Fry scheint in seinem Erfolgsroman exakt gegen
dieses Einverständnis verstoßen zu haben.
(Stephen Fry: The Stars' Tennis
Balls. London 2001. 484 Seiten)
Unter http://books.guardian.co.uk/digestedread/story/0,6550,381558,00.html
findet man eine auf eine Seite gekürzte Kurzfassung
des Romans.
Eine der wenigen treffenden, da kritischen, Rezensionen
des Buches findet man unter
http://www.uk-image.net/horse/tennis.htm
--- Jörg Seidel, 24.07.2002 ---
[1]
Ausgerechnet die beiden Plauener Bundesligaspieler Kindermann
und Dirr haben sich um diese Variante verdient gemacht,
besonders nach: 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4 4.e5 c5 5.a3
Lxc3+ 6.bxc3 Se7 7.Dg4 0-0. vgl.: Stefan Kindermann/
Ulrich Dirr: Französisch Winawer, Band I: 7.Dg4
0-0, Chessgate 2001, 352 S. und: Kindermann, Französisch
2. Chessgate 2001, VHS-Video
[2] NCO S. 277
[3] http://www.geocities.com/~quickfry/sizzle.htm
[4] http://www.koenig-plauen.de/Metachess/Polemik/kingpin.php
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