|
John Luckless: Mörderschach
Spiele, immer
Spiele. Wir gegen sie.
John Luckless ("auch bekannt
als Clifford Irving und Herbert Burkholz") Buch
"Mörderschach" ist die Mittelmäßigkeit
übers ganze Gesicht geschrieben: Pseudonym, Titel,
Umschlaggestaltung, Vorwort
alles deutet auf literarische
Armut hin und das Buch hält tatsächlich, was
es verspricht! Nur eine geistlose oder eine masochistische
Seele kann da Genuss empfinden; von diesen Fehlformen
abgesehen ist es wohl nur der Schachfreak, der Sammler,
der sich 336 Luckless-Seiten freiwillig gönnt.
Hat man sich aber einmal in sein Schicksal
ergeben und liest das Buch verzweifelt in einem Ritt,
dann offenbaren sich überraschenderweise doch zwei,
drei genussfähige Momente. Da ist an erster Stelle
natürlich das geliebte Schach, das bereits in großen
Lettern auf dem Umschlag prangt und dessen kompositorischen
Missbrauch man gerne verzeiht: ob Gespensterschach,
Todesschach oder Mörderschach – am Ende ist
es doch das "Königliche Spiel". Da ist
des weiteren ein gewisser Witz, ein angenehmes Tempo
in der ansonsten unsäglichen Schreibe der amerikanischen
Autoren und da ist schließlich eine, wenn auch
niedrige, primitive, nur gelegentliche Spannung; nichts,
was einem Gruselschauer über den Rücken jagt
oder Schweißperlen auf die Stirn, aber doch genug,
um den willigen Leser bei der Stange zu halten, um –
in einem Wort – zu amüsieren.
Eddie Mancuso vom CIA und Wassilij Borgnew
vom KGB haben vieles gemeinsam: beide sind die unangefochtenen
Waffenspezialisten ihres Geheimdienstes, beide haben
die Nase voll vom dauernden Morden und beide wollen
aussteigen. Eddie ist das verlotterte Genie, unschlagbar
auf seinem Gebiet, ansonsten aber kaum selbständig
überlebensfähig, Wassilij dagegen ist der
kühle Rechner, eiskalt aber im Basteln phantastischer
Waffenvorrichtungen doch nur die Nummer Zwei. Kein Wunder
also, dass die beiden Hochbegabten trotz Eisernen Vorhangs
zusammenfinden, ja zusammenfinden müssen, um ihren
Ausstieg zu organisieren. Werden ihre Pläne bekannt,
sind sie tote Männer, das ist doch klar! Nicht
nur die jeweiligen spezialisierten Killerkommandos haben
sie am Hals, sondern auch den unfehlbaren CYBER, einen
Hochleistungscomputer, der mit mathematischer Genauigkeit,
bis auf die Stelle hinterm Komma, Verhaltensweisen voraussagt.
So wissen die Geheimdienste denn eher als die potentiellen
Delinquenten selbst, dass sie quittieren wollen: "Irrtumsrate
dieser Prognose: 3,2%".
Auch wenn das faktischer Unsinn ist,
macht es in der Fiktion, als Science Fiction,
durchaus Sinn und kreiert eine recht intelligente Ausgangssituation.
CYBER kann, wenn man so will, Gedanken lesen. Beide
wissen von CYBER und also auch, dass er Gedanken lesen
kann. Beide ahnen, dass sie, wenn sie erfolgreich fliehen
wollen, die gesamte Sondergruppe (je fünf Profikiller)
eliminieren müssen und sie wissen, dass die anderen
das wissen und umgekehrt
Mit anderen Worten haben
wir es mit einer Schachsituation zu tun: der kompliziertere
richtige Gedanke gewinnt am Ende und richtig ist er
nur, wenn Plan und Idee des Gegners korrekt vorausgesagt
wurden.
Die Gedanken des anderen richtig zu erraten
bedeutet aber die Zukunft zu wissen und dieses an sich
unmögliche Wissen produziert immer wieder Paradoxien,
insbesondere dann, wenn eine absolute Größe
hinzukommt – wie der Tod. Eine ganze Reihe mittelmäßiger
Filme bezieht aus dieser Konstellation seine Reize ("Die
Zeitmaschine", "Total Recall", "Zurück
in die Zukunft" etc.) und auch dieses Buch lebt
partiell davon oder hätte gut davon leben können,
denn leider beuten die Autoren die versteckten Möglichkeiten
nur ganz grob aus und vertrauen lieber der gewöhnlichen
Blut- und Actionlogik, gewürzt mit allzu direkten,
quasi pornographischen Sexszenen: nach und nach werden
eben auf mehr oder weniger raffinierte Art und Weise
zehn Profikiller niedergemacht und ein Dutzend –
das lässt sich leider nicht vermeiden – Umstehende
dazu. Kreative Phantasie wird hauptsächlich in
Beschreibung brutaler Abschlachtszenen sowie ungewöhnliche
hochtechnisierte Methoden umgesetzt; man hat es eher
mit Bastelfreaks statt Denkern zu tun. Das alles war
auch schon da, besser natürlich. James
Bond (vor allem als Film) und Arthur C. Clarks "HAL"
scheinen unverblümt an tausend Stellen durch.
Das gilt auch dort, wo das Schach direkt
Erwähnung findet; während das Messie-Genie
"schlecht Schach und Puff" spielt (17), wird
der Kronsteen-ähnliche eiskalte
Russe als "meisterhafter Schachspieler" charakterisiert
(74), der auch mal eine Kampfpause für ein Spielchen
nutzt, eine Endspielstudie oder ein Matt in vier Zügen
aufbaut und darüber brütet (246f.). Alles
in allem ein Motiv, welches immer und immer wieder in
diesem Genre auftaucht. Potentielle Gegner werden mitunter
aufgrund ihrer Schachfähigkeiten eingeschätzt:
"Artaega wird der Messerstecher genannt,
aber er ist viel mehr als das. Zum Beispiel spielt er
Schach. Sie sind gut, Wassilij, bei vier Spielen schlagen
Sie mich dreimal, aber Romeo nimmt Ihnen einfach einen
Turm weg und macht Sie fertig. In Havanna hielt man
ihn für einen zweiten Capablanca" (239, ähnlich.
262).
Schließlich spielt auch noch eine
geheimnisvolle Frau (Typ Pussy Galore) eine Rolle, die
von beiden Männern geliebt wird. Man schmiedet
sogar gemeinsame Zukunftspläne: "Wenn alles
vorbei ist – na ja, wenn die Umstände anders
wären, würde ich Sie dahin mitnehmen, wohin
ich gehe. Ich würde ihnen beibringen, wie man anständig
Schach spielt, und wir könnten zusammen alt und
quengelig werden" (284). Aber natürlich kommt
alles ganz anders, ganz unerwartet und wer noch immer
nicht ahnt, welcher der Helden letztlich triumphiert,
nun, der muss leider in den sauren Apfel beißen
und das Buch lesen.

John Luckless: Mörderschach.
(The Death Freak) Moewig Verlag Rastatt 1980. 336 Seiten
--- Jörg Seidel, 07.04.2005 ---
Dieser Text ist geistiges Eigentum von
Jörg Seidel und darf ohne seine schriftliche Zustimmung
in keiner Form vervielfältigt oder weiter verwendet
werden. Der Autor behält sich alle Rechte vor.
Bitte beachten Sie dazu auch unseren Haftungsausschluss.
|
|