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LITERATUR
24. Juni 2003

"Acht Schachfiguren" von Ottomar Starke
oder:
"weil im Leben alles immer wieder auf eine Schachpartie herauskommt"

Und ziehst du lieber Schwarz oder Weiß, du Tomatencatchup?

 

Die Geschichte beginnt mit einer verheerenden Explosion. Aber das ist so ziemlich die einzige wirklich zündende Idee in einem Buch, dessen erster Satz bereits verrät, dass man seine Zeit auch anderweitig verplempern hätte können. Was folgt, entpuppt sich dann doch als phasenweise recht amüsant, wenn auch belanglos wie eine Cocktailpartie beim Abteilungsleiter. Das bisschen Amüsement wird in erster Linie durch eine ganze Reihe von skurrilen, wenn nicht surrealen Figuren garantiert, deren irrationale Handlungs- und Denkweisen so flott aufeinander folgen, dass man viel eher an eine Komödie glauben wollte, als an einen – so präsentiert sich das Büchlein stolz – Kriminalroman. In wenigen helllichten Momenten gewinnt man sogar den Eindruck, als sei der Humor gewollt.

Jedenfalls erschüttert eine gewaltige Explosion das nächtliche Paris, deren Ursache geheimnisumwittert scheint. Auf einem Maskenball treffen sich dann – ganz zufällig - nahezu alle Figuren der Handlung und zeigen sich oder verstecken voreinander verschwörerisch und gestenvoll kleine Schachfiguren. Überhaupt handelt es sich um eines jener Werkchen, in denen jeder jeden verarscht, wo von ungefähr Beweismaterialien aus der Tasche fallen oder der Wind sie vor die Nase des Detektivs weht und wo sich alle wichtigen Personen - zufällig natürlich - wie in einem billigen Theaterklamauk, nacheinander im selben Café treffen.

Nun, ein verrückter Chemieprofessor scheint einen neuen Sprengstoff entwickelt zu haben, der in gewissen Kreisen reges Interesse erweckt. Dies hat diverse Mordgeschichten zur Folge, die der sehr gewitzte Kommissar, der in Schlüsselsituationen im besten Sächsisch stets sein charakteristisches "Nu scheen" von sich gibt, auch irgendwie aufklären wird. Dabei muss er ein ganzes Tohuwabohu von Beziehungen, Maskierungen, Lügen und Täuschungen entwirren, durch das vor allem ein roter Faden führen soll: acht Schachfiguren. Einer der Drahtzieher jener teuflischen Intrigen – in Wirklichkeit scheint jedermann seinen eignen Draht zu ziehen, was das Buch so undurchsichtig macht und alle sind irgendwie auch schuldig -, ein "öliger Schachspieler", verbringt seine trüben Tage in einer Kellerspelunke, spielt das gesamte Geschehen wie ein Voodoopriester am speckigen Schachbrett durch und gibt dabei tiefsinnige Schachweisheiten wie diese von sich: "Mit den Figuren, die auf dem Schachbrett sind, kann man spielen. Mit Figuren, die nicht auf dem Schachbrett sind, kann man nicht spielen". Gemeuchelte heißen dann geschlagene Bauern usw. Die große Frage ist: Wer ist die Dame? Wer ist der König? Die wechseln zu allem Überdruss auch noch, aber schlussendlich wird auch dieses Mysterium noch aufgeklärt, wenn auch, wie nicht anders zu erwarten, aus blauem Himmel.

 

Ein untrügliches Kennzeichen dieses Typs von Literatur – wir haben das an verschiedenen Stellen bereits beobachten können [1] – scheint es zu sein, dass der übereifrige Autor es nicht unterlassen kann, sein Werk selbst kongenial zu karikieren, was dem verunsicherten Rezensenten die Bürde abnimmt, einen eigenen zündenden Schluss finden zu müssen. So lauten denn die letzten Worte des Kommissars: "Sie sind der letzte Überlebende einer, verzeihen Sie, einer der dümmsten, kindischsten, unüberlegtesten und unverschämtesten Hochstapeleien der letzten zehn, zwanzig Jahre. Bei aller Bumserei war es doch im Grunde eine harmlose Gaunerei".

Ottomar Starke: Acht Schachfiguren. Kriminalroman. Deutsche Buchgemeinschaft. Berlin/Darmstadt/Wien 1960. 190 Seiten

 

--- Jörg Seidel, 24.06.2003 ---


[1] vgl. Munzert, Nikula, Yaffe, Carter


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