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"Acht Schachfiguren"
von Ottomar Starke
oder:
"weil im Leben alles immer wieder auf eine Schachpartie
herauskommt"
Und ziehst du
lieber Schwarz oder Weiß, du Tomatencatchup?
Die Geschichte beginnt mit einer verheerenden
Explosion. Aber das ist so ziemlich die einzige wirklich
zündende Idee in einem Buch, dessen erster Satz
bereits verrät, dass man seine Zeit auch anderweitig
verplempern hätte können. Was folgt, entpuppt
sich dann doch als phasenweise recht amüsant, wenn
auch belanglos wie eine Cocktailpartie beim Abteilungsleiter.
Das bisschen Amüsement wird in erster Linie durch
eine ganze Reihe von skurrilen, wenn nicht surrealen
Figuren garantiert, deren irrationale Handlungs- und
Denkweisen so flott aufeinander folgen, dass man viel
eher an eine Komödie glauben wollte, als an einen
– so präsentiert sich das Büchlein stolz
– Kriminalroman. In wenigen helllichten Momenten
gewinnt man sogar den Eindruck, als sei der Humor gewollt.
Jedenfalls erschüttert eine gewaltige
Explosion das nächtliche Paris, deren Ursache geheimnisumwittert
scheint. Auf einem Maskenball treffen sich dann –
ganz zufällig - nahezu alle Figuren der Handlung
und zeigen sich oder verstecken voreinander verschwörerisch
und gestenvoll kleine Schachfiguren. Überhaupt
handelt es sich um eines jener Werkchen, in denen jeder
jeden verarscht, wo von ungefähr Beweismaterialien
aus der Tasche fallen oder der Wind sie vor die Nase
des Detektivs weht und wo sich alle wichtigen Personen
- zufällig natürlich - wie in einem billigen
Theaterklamauk, nacheinander im selben Café treffen.
Nun, ein verrückter Chemieprofessor
scheint einen neuen Sprengstoff entwickelt zu haben,
der in gewissen Kreisen reges Interesse erweckt. Dies
hat diverse Mordgeschichten zur Folge, die der sehr
gewitzte Kommissar, der in Schlüsselsituationen
im besten Sächsisch stets sein charakteristisches
"Nu scheen" von sich gibt, auch irgendwie
aufklären wird. Dabei muss er ein ganzes Tohuwabohu
von Beziehungen, Maskierungen, Lügen und Täuschungen
entwirren, durch das vor allem ein roter Faden führen
soll: acht Schachfiguren. Einer der Drahtzieher jener
teuflischen Intrigen – in Wirklichkeit scheint
jedermann seinen eignen Draht zu ziehen, was das Buch
so undurchsichtig macht und alle sind irgendwie auch
schuldig -, ein "öliger Schachspieler",
verbringt seine trüben Tage in einer Kellerspelunke,
spielt das gesamte Geschehen wie ein Voodoopriester
am speckigen Schachbrett durch und gibt dabei tiefsinnige
Schachweisheiten wie diese von sich: "Mit den Figuren,
die auf dem Schachbrett sind, kann man spielen. Mit
Figuren, die nicht auf dem Schachbrett sind, kann man
nicht spielen". Gemeuchelte heißen dann geschlagene
Bauern usw. Die große Frage ist: Wer ist die Dame?
Wer ist der König? Die wechseln zu allem Überdruss
auch noch, aber schlussendlich wird auch dieses Mysterium
noch aufgeklärt, wenn auch, wie nicht anders zu
erwarten, aus blauem Himmel.
Ein untrügliches Kennzeichen dieses
Typs von Literatur – wir haben das an verschiedenen
Stellen bereits beobachten können [1] – scheint
es zu sein, dass der übereifrige Autor es nicht
unterlassen kann, sein Werk selbst kongenial zu karikieren,
was dem verunsicherten Rezensenten die Bürde abnimmt,
einen eigenen zündenden Schluss finden zu müssen.
So lauten denn die letzten Worte des Kommissars: "Sie
sind der letzte Überlebende einer, verzeihen Sie,
einer der dümmsten, kindischsten, unüberlegtesten
und unverschämtesten Hochstapeleien der letzten
zehn, zwanzig Jahre. Bei aller Bumserei war es doch
im Grunde eine harmlose Gaunerei".
Ottomar Starke: Acht Schachfiguren.
Kriminalroman. Deutsche Buchgemeinschaft. Berlin/Darmstadt/Wien
1960. 190 Seiten
--- Jörg Seidel, 24.06.2003 ---
[1]
vgl. Munzert, Nikula,
Yaffe, Carter
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